Wie wird das Berliner Schloss ein lebendiges Haus?
Mit heißer Nadel gestrickt – so lautet die Kritik des "FAZ"-Redakteurs Andreas Kilb an den Plänen für das Berliner Schloss. Die Chance für eine grundlegende Neugestaltung der Berliner Museumslandschaft sei vertan worden. Der Präsident des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann, hält dagegen.
Der Präsident des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann, hat die Planung des Humboldt-Forums in Berlin in einem Streitgespräch mit "FAZ"-Redakteur Andreas Kilb gegen Kritik verteidigt. Für die Konzeption des Humboldt-Forums sei die Idee des interkulturellen Dialogs entscheidend gewesen, sagte Lehmann dem Deutschlandradio Kultur:
"Insofern bin ich der Auffassung: Wenn wir auf der Museumsinsel die Geschichte Europas mit der Kunst und Kultur erzählen, dann müssen wir genau gegenüber im Dialog die Geschichte der außereuropäischen Kulturen erzählen. Das ist das, was ich unter einem Platz der Weltkulturen verstehe", so Lehmann. Er gehörte als früherer Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu den Mitinitiatoren des Stadtschloss-Projektes.
Diese Chance des interkulturellen Dialogs biete sich für Deutschland gerade mit der Verlagerung der Dahlemer Museumsbestände in das Humboldt-Forum, betonte Lehmann:
Diese Chance des interkulturellen Dialogs biete sich für Deutschland gerade mit der Verlagerung der Dahlemer Museumsbestände in das Humboldt-Forum, betonte Lehmann:
"Wenn Deutschland so selbstgenügsam und nur auf sich selbst bezogen ist und nur seine eigenen, europäischen Dinge betrachtet - und das Ausland mit all den Kulturen nicht -, dann ist das eine Fehleinschätzung. Heutzutage muss man sehen, dass man die Chancen, die ein Dialog in der Kultur nutzen kann, auch wirklich nutzt."
Jetzt müsse ein geeigneter Intendant für das Humboldt-Forum gefunden werden. Er müsse den unterschiedlichen Interessenlagen der beteiligten Institutionen eine Struktur geben, äußerte Lehmann. Das sei ein "spannendes Geschäft" und "die große Chance im 21. Jahrhundert". Nach seinen Vorstellungen müsse das eine Persönlichkeit mit Charisma sein, meinte Lehmann: "Der wirklich auch die Außendarstellung liefern kann, die bislang nicht wirklich lebhaft und farblich unterlegt ist."
Kilb: Es gibt noch großen Diskussionsbedarf
"FAZ"-Redakteur Andreas Kilb bekräftigte seine Kritik am Konzept des Humboldt-Forums. Mit der Integration der Dahlemer Museen ergäben sich bestimmte Probleme, die man immer wieder neu angehen müsse. Das zentrale Problem sei noch ungelöst. Für ihn sei nicht erkennbar, wie die Vermittlung der im dritten und vierten Stock untergebrachten Museen mit den übrigen Etagen gelingen könne:
"FAZ"-Redakteur Andreas Kilb bekräftigte seine Kritik am Konzept des Humboldt-Forums. Mit der Integration der Dahlemer Museen ergäben sich bestimmte Probleme, die man immer wieder neu angehen müsse. Das zentrale Problem sei noch ungelöst. Für ihn sei nicht erkennbar, wie die Vermittlung der im dritten und vierten Stock untergebrachten Museen mit den übrigen Etagen gelingen könne:
"Dass der Besucher, der Betrachter, der da unten reingeht und zunächst einmal so einen bunten Kulturrummel vor sich hat (…) wirklich angezogen und angelockt wird, in die oberen Stockwerke zu gehen." Hier gebe es noch einen großen Diskussionsbedarf.
Diese Vermittlung sei eine der Aufgaben des neuen Intendanten, forderte Kilb. Es müsse dieser "Sog nach oben" zu den Museen und gleichzeitig eine Kommunikation mit der "Ereignisebene" hergestellt werden:
"Er müsste sozusagen eine Belüftung, eine geistige Belüftung für dieses sehr, sehr große Bauwerk erreichen. Was, ähnlich wie beim Centre Pompidou oder bei anderen sehr großen Museen, wirklich für eine Belebung sorgt."
Er glaube allerdings, dass die Berliner Kulturpolitik und auch die Bundeskulturpolitik auf lange Sicht "Flickwerk" bleiben würden, kritisierte Kilb: "Weil das alles mit sehr heißer Nadel gestrickt ist."
So hätte man sich bereits vor fünfzehn Jahren über die Zukunft der Berliner Museumslandschaft Gedanken machen sollen: "Dann hätte man vielleicht beschlossen, die Dahlemer Museen ins Kulturforum zu stecken. Und die Alte Kunst vom Kulturforum in dieses barocke, neu erbaute Schloss. Aber das ist jetzt vorbei. Man wird sich weiterhin mit Improvisationen arrangieren müssen, Intendant hin oder her. (…) So ist Berlin und so ist letztlich auch die Bundeskulturpolitik."
Das Interview im Wortlaut
Liane von Billerbeck: Das alte Berliner Schloss, 1950 von der SED gesprengt, dessen Schuttmassen von den Berlinern in Mont Klamott genannten Hügeln liegen, das entsteht gerade neu als Humboldt-Forum in der Mitte Berlins. Ein privater Verein wollte das Schloss wiederhaben und begann, dafür private Spenden zu sammeln, damit auch das neue Schloss Fassadenelemente des alten erhält. Im kommenden Jahr soll nun Richtfest gefeiert werden. Derzeit sieht man einen Betonkörper, immerhin eine Baustelle, die funktioniert, das ist ja in der Hauptstadt auch nicht selbstverständlich. Über das, was da auf der größten Kulturbaustelle der Republik entsteht, haben wir mit zwei Kennern gesprochen. Der eine: Verfechter des Humboldt-Forums.
Der andere: Kritiker. Klaus-Dieter Lehmann ist dafür. Der Präsident des Goethe-Instituts hat als damaliger Chef der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die Idee vom Humboldt-Forum mit aus der Taufe gehoben. Sein Gegenüber ist Andreas Kilb, er ist Feuilleton-Redakteur der "FAZ" und hat viele kritische Texte über dieses Projekt geschrieben. Herr Lehmann, Sie haben das Projekt als damaliger Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit auf den Weg gebracht, das Humboldt-Forum ist also Ihr Kind. Das Kind wächst. Ist das eine Bestätigung für Sie?
Klaus-Dieter Lehmann: Ich freue mich natürlich, wenn ich sehe, wie schnell jetzt das Gebäude aus dem Erdreich wächst. Ja, es ist schon eine Bestätigung. Es hat lange gedauert, bis jeder begriffen hat, was das überhaupt bedeutet, wenn wir dort, wo die Politik früher ihren Mittelpunkt hatte, der Kultur den vornehmsten Platz Berlins geben. Und das ist für mich eine wirklich schöne Entwicklung und, ich glaube auch, zeitgemäß.
von Billerbeck: Herr Kilb, "jeder hat begriffen", sagte Herr Lehmann da gerade. Sie sind ja, so liest man das immer wieder in der "FAZ", trotz allen Fortschritts kritisch. Zuletzt haben Sie moniert, dass von den zugesagten 80 Millionen privater Spendengelder für die barocken Fassaden erst gut 20 eingeworben seien, aber im Vergleich zum Gesamtvolumen des Projekts – das sind ja 590 Millionen Euro, die zum größten Teil durch den Bund finanziert werden –, da ist das ja ein geringer Anteil. Kann man dadurch das Projekt eigentlich noch ernsthaft gefährden?
Fehlende Spenden des Fördervereins
Andreas Kilb: Nein, ganz sicher nicht. Und ich habe das weniger moniert als festgestellt. Das ist natürlich einfach jetzt die Tatsache, dass der Förderverein Berliner Schloss noch nicht genügend Spenden zusammen hat, um diese Fassade vollständig rekonstruieren zu können. Auf der anderen Seite, sobald der Rohbau steht, muss die Fassade angebracht werden. Das heißt, der Bund wird gar nicht anders können als da zunächst einmal einzuspringen und dann gleichzeitig sich im Verbund mit dem Förderverein bemühen müssen, diese Spenden noch nachträglich einzuwerben. Denn ein nackter Betonkörper in der Mitte Berlins wäre ja genau das Gegenteil von dem, was eigentlich der Sinn der Sache ist.
von Billerbeck: Sie haben ja nicht nur das Äußere kritisch gesehen, also das Äußere des Humboldt-Forums, Herr Kilb, sondern vor allem, was den Inhalt angeht. Hier sollen ja die Museen außereuropäischer Kulturen einziehen, Teile der Zentral- und Landesbibliothek und der Humboldt-Universität plus viel Raum im Erdgeschoss für Diskussionsforen und künstlerische Intervention. Und Sie haben da immer wieder Zweifel geäußert, ob denn Südseelandbäume und Masken so recht in ein nachgebautes Schloss passen. Sie hätten die alten Meister da passender gefunden, oder?
Kilb: Diese Zweifel bleiben, daran wird sich nichts ändern. Aber es war eben keine künstlerische, museumsdidaktische Entscheidung, sondern eine politische Entscheidung, dass die Dahlemer Museen, also das Ethnologische Museum und das Asiatische Museum, dort einziehen sollen und dass diese Mischung aus ethnologischen und kulturgeschichtlichen Artefakten sozusagen im Wesentlichen diesen Schlosskörper bestücken soll. Jetzt muss man damit leben und daraus ergeben sich bestimmte Probleme, die man immer wieder neu angehen muss.
Das zentrale Problem ist meines Erachtens nicht gelöst. Wir haben hier vier Stockwerke, in den oberen beiden sitzen diese Museen und in den unteren beiden ist für mich noch nicht erkennbar, wie die Vermittlung klappen soll, dass der Besucher, der Betrachter, der da unten reingeht und zunächst einmal so einen bunten Kulturrummel vor sich hat mit Cafés und irgendwelchen Wechselausstellungen, wirklich angezogen wird und angelockt wird, in die oberen Stockwerke zu gehen und diese tatsächlich einmaligen, prachtvollen Sammlungen trotz allem sich anzuschauen.
von Billerbeck: Herr Lehmann, für Sie stimmt die Mischung, die ich da gerade so aufgezählt habe, so von allem ein bisschen etwas?
Chancen zum Dialog in der Kultur nutzen
Lehmann: Na ja, ich muss da Herrn Kilb natürlich massiv widersprechen, wenn er sagt, ein Schloss ist immer nur für das Wahre, Gute und Schöne, also nur die europäischen Kulturen dürfen dort rein, anderes nicht. Das ist im Grunde in unserer Zeit des 21. Jahrhunderts völlig falsch. Und ich finde auch, der Name Humboldt-Forum, insbesondere Alexander von Humboldt, der immer gesagt hat, alles ist Wechselwirkung, der interkulturelle Dialog ist so entscheidend für uns. Und wenn Deutschland so selbstgenügsam und nur auf sich selbst bezogen ist und nur seine eigenen europäischen Dinge betrachtet und das Ausland mit all den Kulturen nicht, dann ist das eine Fehleinschätzung.
Heutzutage muss man sehen, dass man die Chancen, die ein Dialog in der Kultur nutzen kann, auch wirklich nutzt. Und insofern bin ich der Auffassung, wenn wir auf der Museumsinsel die Geschichte Europas mit der Kunst und der Kultur erzählen, dann müssen wir genau gegenüber im Dialog die Geschichte der außereuropäischen Kulturen erzählen. Und das ist das, was ich unter einem Platz der Weltkulturen verstehe.
von Billerbeck: Man hört ja viel, was die Museen machen in Vorbereitung. Es gibt die Humboldt-Box, das Lab. Was die Pläne der anderen angeht, da ist es schon ein bisschen stiller. Zuletzt hat das Land Berlin für Schlagzeilen gesorgt, weil man angeblich überlegt hat, sich aus dem ganzen Projekt zurückzuziehen. Also, eine Bibliothek, die nur mit halbem Herzen dabei ist, eine Uni, die sich augenscheinlich auch wenig in diese Debatte einbringt. Droht da nicht das Humboldt-Forum ein Museum zu sein mit einer Bücherei und einer Veranstaltungsebene?
Lehmann: Das wäre schade, das würde gegen die Idee gehen. Denn die Idee war ja – und das ist nach wie vor mein Ansatz –, dass man die kulturellen Quellen, ob sie nun Archivquellen sind, wissenschaftliche Quellen, Museumsquellen, dem Besucher in einer Form bietet, die wirklich diese Verbindungen hat. Das heißt, dass man die Chancen hat, aus einer Museumswelt dann sich auch noch mal schlau zu machen in einer Bibliothek und Ähnlichem. Jetzt muss im Grunde ein Intendant her, der diese unterschiedlichen Interessenlagen, die jetzt offensichtlich nur auf einer Gentlemen-Agreement-Situation laufen, wirklich in Strukturen gegossen werden.
von Billerbeck: Ich habe hier zwei Leute, die schon öfter ihre Argumente miteinander ausgetauscht haben, schriftlich oder mündlich. Andreas Kilb lächelt. Glauben Sie an das eine einige Humboldt-Forum und dass sich alle da jetzt engagieren und dann wird alles gut?
Flickwerk der Berliner Kulturpolitik
Kilb: Nein, ehrlich gesagt nicht. Ich glaube, dass die Berliner Kulturpolitik und auch die Bundeskulturpolitik auf lange Sicht Flickwerk bleiben wird, weil das alles mit sehr heißer Nadel gestrickt ist. Man hätte sich ja auch vor zehn Jahren oder vor 15 Jahren schon mal wirklich überlegen können, wie es in 50 Jahren alles aussehen soll, damit es einen Sinn hat und eine Logik. Dann hätte man vielleicht beschlossen, die Dahlemer Museen ans Kulturforum zu stecken und die alte Kunst vom Kulturforum in dieses barocke, neu erbaute Schloss.
Aber das ist jetzt vorbei, man wird sich weiterhin mit Improvisationen arrangieren müssen, Intendant hin oder her. Es wird letztlich immer so sein, dass mit heißer Nadel irgendwas gestrickt wird, womit dann alle irgendwie eine Zeit lang leben können, und dann wird wieder was dran verändert. So ist Berlin und so ist letztlich auch die Bundeskulturpolitik. Das muss man hinnehmen.
von Billerbeck: Dafür lieben wir Berlin ja auch manchmal. Stichwort Intendant, Herr Lehmann hat es eben erwähnt, Sie haben das gleich so abgetan, Herr Kilb: Was könnte dieser Intendant von diesem Humboldt-Forum denn leisten, was müsste er leisten?
Kilb: Ja, diese Vermittlung. Er müsste sozusagen diesen Sog nach oben zu den Museen herstellen und gleichzeitig die, sagen wir mal, auch die Kommunikation der Museen mit dem, was unten ist in der Ereignisebene, er müsste sozusagen eine Art Belüftung, geistige Belüftung für dieses sehr, sehr große Bauwerk erreichen, was – ähnlich wie beim Centre Pompidou oder bei anderen sehr großen Museen –, was wirklich für eine Belebung sorgt.
von Billerbeck: Frage zum Schluss an Sie beide: 2019 soll es fertig sein und eröffnet werden, das Humboldt-Forum. Was wird das dann sein? Wird es funktionieren, Herr Lehmann?
Suche nach dem richtigen Intendanten
Lehmann: Ich bin der Überzeugung, dass es so spannend ist – um noch mal auf den Intendanten zu kommen –, dass sich jemand findet, der dieses wirklich spannende Geschäft machen wird. Es ist die große Chance im 21. Jahrhundert.
von Billerbeck: Haben Sie schon einen Namen im Kopf?
Lehmann: Ich habe keinen Namen im Kopf, aber ich kann mir vorstellen, dass im Moment Monika Grütters kräftig unterwegs ist, um diese Persönlichkeit zu finden. Denn es kommt wirklich auf den Intendanten jetzt an. Es ist zu viel jetzt auch zeitlich versäumt worden, jetzt muss sehr konzentriert gearbeitet werden und es muss jemand kommen, der ein Charisma hat. Der wirklich auch die Außendarstellung liefern kann, die bislang nicht wirklich lebhaft und farblich unterlegt ist, mit Geschichten, mit Narrativen, mit Metaphern und Bildern. Das fehlt heutzutage noch.
von Billerbeck: Herr Kilb, Ihr Fazit? Sie haben bei dem Wort Charisma, was Klaus-Dieter Lehmann eben erwähnt hat, heftig genickt. Wen haben Sie denn im Kopf oder was für eine Person haben Sie im Kopf?
Kilb: Ja, es gibt Menschen mit Charisma in der internationalen Kulturszene. Ich würde sagen, abgesehen von Ihnen, Herr Lehmann, eher wenige in Deutschland. Auch da kann man sich aber natürlich umschauen. Mir wäre schon eigentlich eine Person mit internationaler Ausstrahlung lieber. Schon deshalb, weil die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Sie ja lange als Präsident geleitet haben, ein so großer, schwerer Tanker ist, dass sie aus sich selbst heraus sozusagen sich nicht neu erfinden kann, und dieses Humboldt-Forum auch nicht. Es muss jemand sein, der einen Blick von außen darauf wirft und sagt, aha, so müssen wir es jetzt neu definieren, das ist jetzt die ganz neue Idee daran und die müssen wir inszenieren.
von Billerbeck: Andreas Kilb war das, "FAZ"-Feuilleton-Redakteur, und Klaus-Dieter Lehmann, heute Chef des Goethe-Instituts, über das Humboldt-Forum, das im neuen Schloss eröffnet werden soll ab 2019. Danke an Sie beide!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.