Neues Buch von Armin Strohmeyr
© ebersbach & simon
Liebe, Morphium und Antifaschismus
05:15 Minuten
Armin Strohmeyr
Allianz der Heimatlosenebersbach & simon, Köln 2024144 Seiten
20,00 Euro
Klaus und Erika Mann waren mit der schweizerischen Unternehmertochter Annemarie Schwarzenbach befreundet. Über ihre teils dramatische Verbindung schreibt der Schriftsteller Armin Strohmeyr in seinem neuen Buch. Als Quelle nutzt er vor allem Briefe.
Im Zentrum dieses Buchs über die Dreierfreundschaft mit den Geschwistern Mann steht Annemarie Schwarzenbach. Die 1908 geborene Schweizer Autorin und Fotografin war das schwarze Schaf ihrer großbürgerlichen Familie. Annemarie war lesbisch, dachte sozialistisch und pflegte Umgang mit der Künstler-Bohème, überdies war ihr kurzes Leben gezeichnet von Alkohol- und Drogensucht, verbunden mit mehreren Suizidversuchen und zunehmend auch längeren Klinikaufenthalten.
In Missachtung des Testaments verbrannte ihre Mutter nach Annemaries Tod ihre nachgelassenen Schriften – Tagebücher, Manuskripte und Korrespondenzen, einer der empörendsten Skandale der Literaturgeschichte. Erhalten sind als Quelle für diese Freundschaft daher nur Annemaries Briefe an die Geschwister Mann sowie deren gegenseitiger Briefwechsel. Annemarie lernte Klaus Mann 1926 bei einer Lesung in Zürich kennen, ab 1930 entwickelte sich dann eine enge und zeitweise stürmische Freundschaft, nicht nur zu Klaus, sondern auch zu Erika Mann, in die Annemarie sich heftig und nachhaltig verliebte.
Trotz vieler Höhen und Tiefen riss der Kontakt nicht ab in den zwölf Jahren bis zu Annemaries Tod - in Folge eines Fahrradunfalls im November 1942. Widerstand, Labilität und Morphiumsucht: Über die gesamte Zeit der Freundschaft hinweg wirbt Annemarie vergeblich und oft verzweifelt um Erika, den „großen Bruder Eri“. Dabei war sie Klaus, dem „kleinen Bruder“, näher: Beide fühlten sich von der erfolgreicheren Erika desöfteren vernachlässigt.
Besuche im New Yorker Exil
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wandelte sich Annemarie von einer verwöhnten Millionärstochter zur engagierten Mitkämpferin gegen den Faschismus. Während ihre Familie in der Schweiz sich den deutschfreundlichen Frontisten zuwendete, besuchte Annemarie die Mann-Geschwister in deren New Yorker Exil und unterstützte etwa Klaus bei seinen Versuchen, eine Exilzeitschrift zu gründen. Ein ruinöser Begleiter dieser Freundschaft war allerdings zu allen Zeiten das Morphium – die "Mohnfelder“ und „künstlichen Paradiese“, wie die Freunde es in ihren Briefen nannten.
Die Sucht und ihre psychische Labilität hinderten Annemarie nicht daran, als Reporterin ausgedehnte Reisen zu unternehmen. Klaus und Erika brachten dafür allerdings wenig Verständnis auf: Dies sei einer Existenz als antifaschistischer Intellektueller nicht angemessen, heißt es, als Annemarie 1939 zu einer ausgedehnten Reise nach Afghanistan aufbricht. Im Jahr darauf verliebt sich Annemarie in eine – verheiratete – Amerikanerin und folgt ihr in die USA, wo sich wiederum die 23-jährige Carson McCullers unglücklich in Annemarie verliebt.
Höchstes intellektuelles Niveau
Die Freundschaft zu Klaus und Erika kühlt merklich ab. Dass Annemarie wenige Monate darauf beschließt, nach Französisch-Äquatorialafrika zu reisen, macht die Sache nicht besser. Wieder werfen die Mann-Geschwister ihr mangelndes politisches Engagement vor.
Annemarie versucht sich zu rechtfertigen: „Den Vorwurf des morbiden Trotzes möchte ich ablehnen“, heißt es in einem Brief. Annemarie – das „Schweizerkind“ oder „der untröstliche Engel“, wie Klaus sie nennt – will sich bewähren, sie wirbt um Liebe und fürchtet die Einsamkeit: „Ich will brauchbar, erwachsen, zuverlässig, für Eri ein Freund sein statt eines Sorgenkindes“, schreibt sie in einem ihrer letzten Briefe.
Armin Strohmeyrs Geschichte einer Freundschaft liest sich wie ein Roman. Einerseits liegt dies an der Dramatik der Ereignisse sowie der manchmal etwas effekthascherischen Schreibweise des Autors. So ist etwa vom „Mahlstrom der Sucht“ die Rede, der die beiden Frauen „immer schneller und unbarmherziger hinabziehen“ werde. Andererseits bieten die sprachmächtigen Briefzitate viele Überraschungen. Sie sind Zeugnis einer intimen Kommunikation, voller Abkürzungen und Code-Wörter, und dabei auf höchstem intellektuellen Niveau.