Stromnetz mit Taktgefühl
Zur Zeit wird fleißig diskutiert, wie schnell die Energiewende denn nun von statten gehen kann. Klar ist: neue Energie braucht neue Leitungen. Künftig sollen mehr kleine, dezentrale Wind- und Solaranlagen statt weniger große Kraftwerke Deutschland mit Strom versorgen.
Um die elektrische Stromversorgung sicherzustellen, sollten elektrische Netzwerke im Takt sein, sagt Marc Timme, Physikprofessor am Max Planck Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. Wie in einem Orchester müssen die vielen Kraftwerke, die Millionen Haushalte und das dazugehörige Netz aufeinander abgestimmt werden. Das Netz braucht ein Taktgefühl.
"Im Takt deswegen, weil die Stromversorgung im Wechselstrom läuft, sie schwingt mit 50 Hertz. Das bedeutet, dass 50 mal pro Sekunde die Stromrichtung an ihrer Steckdose sich umkehrt, dass es 50 mal einen Wellenberg und 50 mal ein Wellental gibt, jede Sekunde. Beim Erzeuger, beim Kraftwerk ist das auch so: 50 mal Wellenberg und Wellental. Der Abstand von einem Wellenberg und einem Wellental bei ihnen und dem Kraftwerk muss immer gleich sein. Er muss also eine feste Phasenbeziehung haben."
Aber diese feste Beziehung kann auch außer Takt geraten. So geschehen am 4. November 2006 gegen zehn Uhr, als abends die Lichter ausgingen. Der Grund: Über der Ems im niedersächsischen Papenburg wurden nur zwei Leitungen abgeschaltet mit fatalen Folgen. Es war zappenduster, europaweit.
"Weil ein Schiff auslaufen sollte von der Werft in die Nordsee und bei der Abschaltung war in der Region, wo das abgestellt werden sollte, weiterhin stabil. Allerdings haben sich Stromausfälle bis nach Spanien runter ausgebildet."
Den Stromausfall vom November 2006 erklären Marc Timme und sein Team mit dem sogenannten Braess- Paradoxon. Werden im Stromnetz neue Verbindungen hergestellt oder alte Verbindungen aus Sicherheitsgründen abgeschaltet, können diese den Stromtransport schwächen. Der Strom sucht sich einen anderen Weg durch das Netz. Bei dieser Suche ist jede Leitung eine Zuleitung zum Gesamtnetz, also gleichberechtigt, sagt Dirk Witthaut, promovierter Physiker und Mitarbeiter im Team von Marc Timme.
"Man darf niemals eine Stromleitung ausbauen, ohne die Zuleitung zu vergessen. Was nämlich sonst passiert, dass die neue Leitung eine Abkürzung im Netzwerk darstellt, und dann kann es sein, dass sehr viel Stromfluss über diese neue Leitung abgewickelt wird und die Zuleitungen halten dem gar nicht Stand."
Dirk Witthaut gibt ein Beispiel aus dem Straßenbau, denn dort hat der Mathematiker Dietrich Braess nach dem das Braess-Paradoxon benannt ist, in den 1960er-Jahren das erste Mal nachgewiesen, dass der Neubau einer Straße nicht zwangsläufig den Verkehrsfluss verbessert.
"Die berühmt berüchtigte Waldschlösschenbrücke in Dresden könnte auch zu so einem Phänomen führen, dass die Zuleitungen zu dieser Brücke überlastet werden. Tatsächlich ist es in Dresden so, dass mehr als die Hälfte der gesamten Baukosten für den Ausbau der Zuleitung gebraucht wird und nicht für die Brücke an sich. Ohne Zuleitungen bringen die hübschesten Brücken oder Stromleitungen nichts."
Heute ist das Stromnetz auf große zentrale Kohle-, Gas- oder Kernkraftwerke ausgerichtet, die vor allem die umliegenden Regionen mit Strom versorgen. Sollen die Stromnetze jetzt für Energie aus Wind, Sonne und Wasser fit gemacht werden, gibt es, so Professor Timme, zwei Dinge zu beachten.
"Erneuerbare Energien bringen zwei Neuerungen mit ins System, das eine ist die Dezentralisierung und das andere die Fluktuation. Die Fluktuation sind dynamische Eigenschaften, zum Beispiel durch die Änderung des Windes sind die Windparks dann mehr oder weniger leistungsfähig. Das heißt die haben eine nicht gut vorhersehbare Einspeisung. Gleichzeitig haben sie eine strukturelle Änderung, nämlich die Dezentralisierung des Netzwerks, das an vielen verschiedenen Stellen und nicht nur an wenigen Großkraftwerkspositionen elektrische Energie eingespeist wird."
Mit mathematischen Simulationen konnten die Göttinger MPI-Forscher zeigen, dass einzelne Leitungen durch die dezentralen Minikraftwerke weniger belastet werden, das Netz durchaus im Takt schlagen kann. Aber werden - wie jetzt geplant - große Stromtrassen von Nord- nach Süddeutschland gebaut, um die 60 Megawatt elektrische Leistung der Offshore-Windräder von der Nord- und Ostsee quer durch die Republik zu transportieren, leidet die Netzstabilität. Dirk Witthaut:
"Das ist schon eine sehr wichtige Nachricht für die Politik und die Netzbetreiber, dass man sehr sehr viel genauer aufpassen muss, wenn man neue Netze plant. Dass neue Leitungen nicht immer gut sind, dass man sagt: 'Wir brauchen jetzt zwanzig neue Leitungen von der Nordsee nach Bayern und alles wird gut.'"
Damit das deutsche Stromnetz weiterhin im Takt schlagen kann, plädieren Dirk Witthaut und Marc Timme dafür, ihre mathematischen Berechnungen unbedingt im kürzlich von den Netzbetreibern vorgestellten Netzentwicklungsplan zu berücksichtigen.
"Das Überdenken lohnt sich, auch wenn das Planfeststellungsverfahren läuft oder abgeschlossen ist. Im Zweifel ist es billiger so ein Projekt zu stoppen, wenn es denn gestoppt werden muss als hinterher festzustellen, es war alles umsonst. Man kann unter Umständen für Milliarden Euro eine neue Leitung bauen, die das Netz destabilisiert. Damit ist keinem geholfen, auch wenn es zu Ende gebaut wird."
Um den Bau unnötiger Leitungen zu verhindern, wollen die Göttinger Max Planckforscher jetzt ihre Ergebnisse auf das gesamte mitteleuropäische Stromnetz anwenden. Schließlich ernten sie auf Fachtagungen für ihre Ergebnisse sowohl von den Ingenieuren der Technologiefirmen als auch von denen der Netzbetreiber viel Staunen.
"Im Takt deswegen, weil die Stromversorgung im Wechselstrom läuft, sie schwingt mit 50 Hertz. Das bedeutet, dass 50 mal pro Sekunde die Stromrichtung an ihrer Steckdose sich umkehrt, dass es 50 mal einen Wellenberg und 50 mal ein Wellental gibt, jede Sekunde. Beim Erzeuger, beim Kraftwerk ist das auch so: 50 mal Wellenberg und Wellental. Der Abstand von einem Wellenberg und einem Wellental bei ihnen und dem Kraftwerk muss immer gleich sein. Er muss also eine feste Phasenbeziehung haben."
Aber diese feste Beziehung kann auch außer Takt geraten. So geschehen am 4. November 2006 gegen zehn Uhr, als abends die Lichter ausgingen. Der Grund: Über der Ems im niedersächsischen Papenburg wurden nur zwei Leitungen abgeschaltet mit fatalen Folgen. Es war zappenduster, europaweit.
"Weil ein Schiff auslaufen sollte von der Werft in die Nordsee und bei der Abschaltung war in der Region, wo das abgestellt werden sollte, weiterhin stabil. Allerdings haben sich Stromausfälle bis nach Spanien runter ausgebildet."
Den Stromausfall vom November 2006 erklären Marc Timme und sein Team mit dem sogenannten Braess- Paradoxon. Werden im Stromnetz neue Verbindungen hergestellt oder alte Verbindungen aus Sicherheitsgründen abgeschaltet, können diese den Stromtransport schwächen. Der Strom sucht sich einen anderen Weg durch das Netz. Bei dieser Suche ist jede Leitung eine Zuleitung zum Gesamtnetz, also gleichberechtigt, sagt Dirk Witthaut, promovierter Physiker und Mitarbeiter im Team von Marc Timme.
"Man darf niemals eine Stromleitung ausbauen, ohne die Zuleitung zu vergessen. Was nämlich sonst passiert, dass die neue Leitung eine Abkürzung im Netzwerk darstellt, und dann kann es sein, dass sehr viel Stromfluss über diese neue Leitung abgewickelt wird und die Zuleitungen halten dem gar nicht Stand."
Dirk Witthaut gibt ein Beispiel aus dem Straßenbau, denn dort hat der Mathematiker Dietrich Braess nach dem das Braess-Paradoxon benannt ist, in den 1960er-Jahren das erste Mal nachgewiesen, dass der Neubau einer Straße nicht zwangsläufig den Verkehrsfluss verbessert.
"Die berühmt berüchtigte Waldschlösschenbrücke in Dresden könnte auch zu so einem Phänomen führen, dass die Zuleitungen zu dieser Brücke überlastet werden. Tatsächlich ist es in Dresden so, dass mehr als die Hälfte der gesamten Baukosten für den Ausbau der Zuleitung gebraucht wird und nicht für die Brücke an sich. Ohne Zuleitungen bringen die hübschesten Brücken oder Stromleitungen nichts."
Heute ist das Stromnetz auf große zentrale Kohle-, Gas- oder Kernkraftwerke ausgerichtet, die vor allem die umliegenden Regionen mit Strom versorgen. Sollen die Stromnetze jetzt für Energie aus Wind, Sonne und Wasser fit gemacht werden, gibt es, so Professor Timme, zwei Dinge zu beachten.
"Erneuerbare Energien bringen zwei Neuerungen mit ins System, das eine ist die Dezentralisierung und das andere die Fluktuation. Die Fluktuation sind dynamische Eigenschaften, zum Beispiel durch die Änderung des Windes sind die Windparks dann mehr oder weniger leistungsfähig. Das heißt die haben eine nicht gut vorhersehbare Einspeisung. Gleichzeitig haben sie eine strukturelle Änderung, nämlich die Dezentralisierung des Netzwerks, das an vielen verschiedenen Stellen und nicht nur an wenigen Großkraftwerkspositionen elektrische Energie eingespeist wird."
Mit mathematischen Simulationen konnten die Göttinger MPI-Forscher zeigen, dass einzelne Leitungen durch die dezentralen Minikraftwerke weniger belastet werden, das Netz durchaus im Takt schlagen kann. Aber werden - wie jetzt geplant - große Stromtrassen von Nord- nach Süddeutschland gebaut, um die 60 Megawatt elektrische Leistung der Offshore-Windräder von der Nord- und Ostsee quer durch die Republik zu transportieren, leidet die Netzstabilität. Dirk Witthaut:
"Das ist schon eine sehr wichtige Nachricht für die Politik und die Netzbetreiber, dass man sehr sehr viel genauer aufpassen muss, wenn man neue Netze plant. Dass neue Leitungen nicht immer gut sind, dass man sagt: 'Wir brauchen jetzt zwanzig neue Leitungen von der Nordsee nach Bayern und alles wird gut.'"
Damit das deutsche Stromnetz weiterhin im Takt schlagen kann, plädieren Dirk Witthaut und Marc Timme dafür, ihre mathematischen Berechnungen unbedingt im kürzlich von den Netzbetreibern vorgestellten Netzentwicklungsplan zu berücksichtigen.
"Das Überdenken lohnt sich, auch wenn das Planfeststellungsverfahren läuft oder abgeschlossen ist. Im Zweifel ist es billiger so ein Projekt zu stoppen, wenn es denn gestoppt werden muss als hinterher festzustellen, es war alles umsonst. Man kann unter Umständen für Milliarden Euro eine neue Leitung bauen, die das Netz destabilisiert. Damit ist keinem geholfen, auch wenn es zu Ende gebaut wird."
Um den Bau unnötiger Leitungen zu verhindern, wollen die Göttinger Max Planckforscher jetzt ihre Ergebnisse auf das gesamte mitteleuropäische Stromnetz anwenden. Schließlich ernten sie auf Fachtagungen für ihre Ergebnisse sowohl von den Ingenieuren der Technologiefirmen als auch von denen der Netzbetreiber viel Staunen.