Gabriels unsoziale Energiewende
Als größtes Problem der Energiewende bezeichnet Sigmar Gabriel die Belastung von Wirtschaft und Industrie. Die will er verringern - koste es, was es wolle. Doch die Subventionierung durch die Stromkunden ist unnötig und unsozial.
"Genosse der Bosse" titelte Spiegel Online, nachdem Energie- und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel Anfang dieser Woche seinen Entwurf zur Reform des Erneuerbare Energien-Gesetzes und vor allem den mit Brüssel ausgehandelten Kompromiss in Sachen Industrieprivilegien der Öffentlichkeit präsentiert hatte.
Gabriel also in den Fußstapfen von Gerhard Schröder? Wer nicht gleich selbst auf diese historische Parallele stieß, den schubste der Bundeswirtschaftsenergieminister mit der Nase drauf. "Was in den 80ern und 90ern die Debatte über Arbeitskosten war, das ist heute die Debatte über Energie- und Rohstoffkosten", so Gabriel wörtlich bei der Vorstellung seiner Reformpläne für sein "EEG 2.0". Man könnte auch sagen: Was dem Schröder seine "Agenda 2010", das ist dem Gabriel sein "EEG 2.0" – in Punkto Industriefreundlichkeit und soziale Schieflage kann Gabriel jedenfalls durchaus mithalten.
Dass der Energieminister die Herausforderungen der Energiewende seit Beginn seiner Amtszeit auf die Frage der Kosten reduziert hat, war an sich schon schlimm genug. Aber in der Vergangenheit hatte er immerhin noch den Anschein gewahrt, als ginge es ihm auch um die Kosten für die Haushaltskunden, für Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger.
Gabriels Energiepolitik ist absurd und verfehlt
Doch jetzt ließ er selbst diese Maske fallen. Als "größtes Problem" der Energiewende bezeichnete er die "Belastung von Wirtschaft und Industrie". Und die will er verringern - koste es, was es wolle. Schließlich gehe es um "Hunderttausende Arbeitsplätze". Und dann präsentiert er seine zynische Rechnung, die in den folgenden Tagen immer wieder von CDU-Politikern und Wirtschafts-Vertretern aufgegriffen wurde: Wenn die EEG-Privilegien gestrichen würden, hätte ein Durchschnittshaushalt am Ende des Jahres 40 Euro mehr in der Tasche. Aber was sind 40 Euro gegen Hunderttausende von Arbeitsplätzen, die dadurch dann auf dem Spiel stünden.
So tickt er also, der Chef der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Nimmt der Familie des Hartz-IV-Empfängers 40 Euro aus der Tasche, um sie mit einem milden Lächeln zum Beispiel an die Aluminium-Industrie weiterzureichen. Und was macht die damit? Sie verkauft dank der Spende ihr Aluminium zu etwas niedrigeren Preisen an Audi. Und Audi kann den mit Aluminium gespickten 80.000 Euro teuren A8 dank dieser Spende um 80 Euro billiger verkaufen.
Das Beispiel zeigt, wie absurd und verfehlt Gabriels EEG 2.0 ist. Die Subventionierung tausender Unternehmen über den Strompreis und durch die Stromkunden ist unnötig und unsozial. Unnötig, weil das Beispiel des Audi A8 zeigt, dass die EEG-Umlage selbst beim extrem energieintensiven Aluminium ohne große Probleme auf den Produktpreis umgelegt werden könnte. Außerdem, weil die EEG-Befreiung längst nicht die einzige Strompreis-Subvention ist.
Die Wirtschaft zieht sich aus der solidarischen Finanzierung zurück
Der Essener Aluminium-Hersteller Trimet zum Beispiel erhält in diesem Jahr neben 290 Millionen EEG-Subventionen auch noch Vergünstigungen bei der Stromsteuer, den Netzentgelten und anderen Abgaben in Höhe von rund 190 Mio Euro. Unsozial ist diese Subventionierung über die Stromkunden, weil auf diesem Weg nicht nach Einkommen unterschieden wird. Da zahlt der Hartz IV-Empfänger genauso wie der Spitzenverdiener.
Doch Gabriel scheint das nicht weiter zu stören. Dabei schlägt der erste Energieminister der Republik nicht nur seiner eigenen Gefolgschaft vor den Kopf. Er gefährdet mit seiner offen industriefreundlichen Politik auch das in seine Verantwortung gelegt, national bedeutsame und international viel beachtete Projekt Energiewende.
Denn neben allen technischen und sonstigen Schwierigkeiten: Wer die Schieflage bei der Finanzierung der Energiewende nicht behebt, wer im Gegenteil zulässt, dass sich die Wirtschaft immer stärker aus der solidarischen Finanzierung der Energiewende verabschiedet, der darf sich nicht wundern, wenn irgendwann auch beim zahlenden Rest der Gesellschaft die Unterstützung für dieses Mammutprojekt schwindet.
Und dann fänden die Parallelen ihre Fortsetzung – dann könnte passieren, dass die Wähler Sigmar Gabriel für sein EEG 2.0 genauso die Quittung präsentieren wie einst Gerhard Schröder für seine Agenda 2010.