Stromtrassen

Erdkabel sind kein Allheilmittel

In Raesfeld (NRW) werden bei Bauarbeiten Erdkabel zum Stromtransport verlegt.
Ein halbes Dutzend neuer Nord-Süd-Verbindungen sind als Teil der Energiewende im deutschen Stromnetz geplant. © picture alliance / dpa / Roland Weihrauch
Von Dirk Asendorpf |
Strom aus norddeutschen Windparks soll die Versorgung der süddeutschen Industrie zukünftig sicherstellen. Bei den benötigten Stromtrassen sollen Erdkabel den Vorrang gegenüber Freileitungen bekommen. Dass beide Techniken Vor- und Nachteile haben, zeigt sich im Thüringer Wald und im Münsterland.
Eine Großbaustelle mitten im Thüringer Wald. Schweres Gerät wurde auf einer eigens errichteten Straße herangeschafft, zwei Monteurstrupps aus Lettland und der Slowakei hängen in schwindelerregender Höhe an Gurten und verschrauben Metallstangen zu einem 80 Meter hohen Gittermast.
Er wird die Kabel einer Hochspannungsleitung tragen, die ab Anfang 2016 Strom aus Windparks in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern nach Bayern schaffen soll. Es ist die erste von einem halben Dutzend neuer Nord-Süd-Verbindungen, die als Teil der Energiewende im deutschen Stromnetz geplant sind.
Bäume, deren Wipfel mit der Freileitung in Kontakt kommen könnten, müssen gefällt werden. Ein sogenannter Hang-Harvester erledigt das in einem Arbeitsgang. Direkt neben der Mastbaustelle liegt bereits ein großer Holzstapel zum Abtransport bereit. Doch so rücksichtslos wie früher wird die Trasse der neuen Hochspannungsleitung nicht mehr durch die Landschaft geholzt. Thomas Dockhorn leitet das Bauprojekt für den Netzbetreiber 50Hertz.
"Wir befinden uns hier an einem Weitspannfeld, wir überspannen also dieses Tal hier im Thüringer Wald und alles, was dort im Tal jetzt steht, wird auch stehen bleiben können. Das ist alles gerechnet, geplant."
Nicht nur im Bergland, auch in der Ebene ist kein Kahlschlag unter der Hochspannungsleitung mehr nötig. Der Agraringenieur Rocco Hauschild ist bei 50Hertz für das sogenannte ökologische Schneisenmanagement zuständig.
Den Erfolg seiner Arbeit demonstriert er an einem bereits fertiggestellten Abschnitt der neuen Hochspannungstrasse. Sie verläuft parallel zur neuen ICE-Strecke Nürnberg-Erfurt und der A71.
"Es geht speziell hier um diesen Wald, der in die Schneise sozusagen hineinragt. Das wären genau diese Gehölze, die bei früherer Vorgehensweise komplett entfernt worden wären. Relativ dunkler Wald, Hauptbestandsbildner: Fichte, Kiefer. Und dazwischen, dort, wo auch mal ein bisschen Licht zum Boden kam, dann durchaus die Arten, die an diesem Standort eigentlich typisch sind. Wir haben hier Bäume dabei wie die relativ seltene Elsbeere, ein absoluter Zeigerbaum für standortgerechte Laubmischwälder, dem wir jetzt ne Chance geben. Ziel ist einfach immer ne gewisse Strukturvielfalt dauerhaft auf dieser Schneise zu haben auch wenn auf Teilflächen immer mal wieder auch Gehölze entfernt werden müssen."
In der Nähe der Masten sind die Kabel hoch genug, damit die Bäume darunter stehen bleiben können. Nur dort, wo das Kabel zwischen zwei Masten tief durchhängt, mussten sie gefällt werden. Statt einer schnurgeraden Stromautobahn ist so ein geschwungener Waldrand mit größeren Lichtungen entstanden. Und die Grünflächen unter der Hochspannungsleitung können wieder landwirtschaftlich genutzt werden.
Völlig unsichtbar sind auch die Erdkabel nicht
Ortswechsel: Auch an der münsterländischen Kleinstadt Raesfeld sollte eine neue Hochspannungsleitung im Dienst der Energiewende vorbei führen. Doch stattdessen wurde jetzt ein Erdkabel verlegt. Es ist das erste derartige Projekt in Europa. Eine Bürgerinitiative hatte seit 2007 dafür gekämpft, Gaby Bischop ist ihre Sprecherin.
"Bei Freileitungen entstehen ein elektrisches und ein magnetisches Feld. Also man kann gesundheitliche Gefahren nicht zu 100 Prozent ausschließen. Dann sieht man auch, dass Freileitungen in der Größenordnung das Landschaftsbild verschandeln. Der Werteverlust der Immobilien ist auch noch wichtig. Es gibt Hinweise darauf, dass Häuser, die in der Nähe von Freileitungen stehen, sehr schlecht zu verkaufen sind, weil jetzt in letzter Zeit die Menschen eben auch sensibilisiert sind."
Doch völlig unsichtbar ist auch das 3,4 Kilometer lange Erdkabel nicht. Dort wo es an Anfang und Ende mit der Freileitung verbunden ist, ragen zwei fußballplatzgroße sogenannte Kabelübergabestationen in den Himmel. Und der Aufwand für die Verlegung war enorm. Ludger Jungnitz ist der Projektleiter beim Netzbetreiber Amprion.
"Die besondere Herausforderung war, dass wir hier häufig wechselnde Böden haben und die sind auch noch fließend: von kiesig-sandigen Böden zu lehmhaltigen Böden zu Tonböden. Diese mussten alle separat voneinander zwischengelagert werden und auch in umgekehrter Reihenfolge wieder rückgebaut werden."
Bis sich der Boden wieder gesetzt hat, wächst Rotklee auf der Schneise. Erst nach einigen Jahren darf sie wieder landwirtschaftlich genutzt werden. Und während eine Freileitung in wenigen Wochen errichtet ist, dauerten die Arbeiten am Raesfelder Erdkabel eineinhalb Jahre. Bürgermeister Andreas Grotendorst erinnert sich nicht gerne daran:
"Die Baustelle an sich war viel größer und viel umfangreicher als wir uns das vorgestellt haben. Man hatte wirklich das Gefühl, es wird eine Autobahn um Raesfeld gebaut. Sehr viel LKW-Verkehr hat dort stattgefunden. Man hat ja wirklich 60 Zentimeter ausgekoffert, aufbereitet und dann wieder mit Betonmischern reingefahren, das waren also erhebliche Verkehrsbelastungen und die Einschränkung für die Landwirtschaft, die sich jetzt in den Folgejahren ergeben, muss man abwarten."
Während eine Freileitung rund 1,5 Millionen Euro pro Kilometer kostet, schlug das Erdkabel mit dem sechsfachen Betrag zu Buche. Besonders teuer war die Unterquerung einer Bundesstraße und zweier Ölleitungen. Wo ein Erdkabel Flüsse, Wälder oder felsigen Untergrund passieren müsste, wären Aufwand und Kosten sogar noch deutlich höher. Der Bürgermeister warnt die vielen Besucher, die sich jetzt bei ihm über die Vorzüge eines Erdkabels informieren wollen, denn auch vor zu viel Euphorie.
"Man kann Raesfeld nicht einfach kopieren, sondern man muss sich vor Ort ganz genau die Gegebenheiten anschauen und gucken: Wie groß ist der Eingriff in die Landschaft wenn ich dort die Freileitung baue oder wenn ich das Erdkabel baue. Am Anfang ist man ganz froh, aber Erdkabel ist kein Allheilmittel."
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