Stuart Hall: "Das verhängnisvolle Dreieck"

Knietief in Rassismus und Nationalismus

Buchcover Stuart Hall: Das verhängnisvolle Dreieck – Rasse, Ethnie, Nation. Im Hintergrund eine Demonstration gegen Rassismus.
Stuart Hall hielt seine Vorlesungsreihe Anfang der 1990er-Jahre, nun liegt sie auch in deutscher Übersetzung vor. © Suhrkamp / AP / Steve Helber
Von Susanne Billig · 02.10.2018
Der Begriff der Rasse mag weitgehend ausgedient haben, rassistische Vorurteile und Argumentationsmuster aber sind verbreitet wie eh und je. Der Soziologe Stuart Hall zeigt, wie sich dieses Denken tief in unsere Gesellschaft eingegraben hat.
Kulturwissenschaften und Biologie sind sich heute einig: Der Begriff der "Rasse" hat nichts mit biologischen Fakten zu tun, sondern ist ein kulturelles Konstrukt. Es stabilisiert weiße Überlegenheitsideologie, indem es die Existenz eines "Anderen", "Fremden" und "Minderwertigen" behauptet.
Warum aber feiert die Vorstellung, "Hautfarbe" und "ethnische Herkunft" seien bedeutsame Unterscheidungsmerkmale, immer wieder fröhliche Urstände? Und das nicht nur im rechtsradikalen Bodensatz unserer Gesellschaft, sondern auch im Alltagsdenken von Menschen, die jeden Rassismus weit von sich weisen würden? Diese spannende Frage machte der inzwischen verstorbene, britische Kulturtheoretiker Stuart Hall zum Ausgangspunkt einer Vorlesungsreihe, die er Anfang der 1990er-Jahre an der Harvard-Universität hielt.

Anschein einer unbestreitbaren Wahrheit

Als "Das verhängnisvolle Dreieck – Rasse, Ethnie, Nation" sind seine Vorlesungen nun in deutscher Übersetzung erschienen. Darin lautet seine überraschende Antwort: Es ist gerade die – biologisch nicht haltbare, aber kulturell so beliebte – "biologische Spur", die dem Rassebegriff seine hartnäckige Überlebensfähigkeit verleiht.
Ein Beispiel liefert in Deutschland Thilo Sarrazin, der Einwanderer aus bestimmten Ländern unverblümt als "intelligenzvermindert" einstuft und dies als biologischen Fakt ausgibt. Stuart Hall erklärt: Indem sich rassistische Bewertungen an scheinbar objektiv sichtbare körperliche Merkmale oder, moderner, an die wirkmächtige Welt der DNA und der Gene heften, geben sie sich den Anschein einer unbestreitbaren Wahrheit. Dahinter stecken handfeste Interessen: Es geht um Aus- und Abgrenzung, Selbsterhöhung und Selbstvergewisserung, Macht und Pfründe.

Früher hieß es Rasse, heute heißt es Ethnie

Stuart Halls Vorlesungen verschrauben sich leider oft in eine linguistische und soziologische Fachsprache, dennoch lohnt sich die schwierige Lektüre, vor allem, wenn der Begründer der Kulturwissenschaften ausführt, wie sich rassistische Argumentation ähnlich tiefgreifend und ausufernd wie der Sexismus in das Denken einer Gesellschaft einschreiben.
Das Wort "Rasse" hat heute einigermaßen ausgedient, allerdings dienen die scheinbar harmloseren "Ethnien" oder "kulturellen und nationalen Besonderheiten" demselben Zweck. Gemeinsam errichten sie ein komplexes "Wahrheitsregime", betont Hall.

An Aktualität nichts verloren

Dieses Wahrheitsregime bezieht seine Macht daraus, dass es die unterschiedlichsten Themen miteinander verknüpft: Ob Schullaufbahnen, die An- oder Abwesenheit in bestimmten Berufen, Armut, Kriminalität oder im Weltmaßstab Überschuldung und Massenmigration – anstatt die kulturellen Macht- und Ausgrenzungsmechanismen hinter solchen Zuständen zu entschleiern, suggerieren sie, die Zustände seien nichts weiter als die logische Konsequenz ethnischer und nationaler Differenzen.
Fast 25 Jahre alt sind diese Texte, aber sie haben an Aktualität nichts verloren. Es beeindruckt, wie klar Stuart Hall begreift: Auch nach den bürgerrechtlichen Befreiungsschlägen der 1960er- und 1970er-Jahre steckt unsere Kultur noch immer knietief in Rassismus und Nationalismus.

Stuart Hall: Das verhängnisvolle Dreieck – Rasse, Ethnie, Nation
Übersetzung aus dem Englischen von Frank Lachmann
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018
212 Seiten, 28 Euro

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