Studie der Berliner Charité

Neue Erkenntnisse über Medikamententests in der DDR

Eine Spritze sticht in einen Arm
Symbolbild: Der betroffenen Christa Kaufmann wurde eine Substanz gespritzt - danach ging es ihr lange schlecht. Vermutlich ein geheimer Medikamententest. © picture-alliance / dpa / Julian Stratenschulte
Von Anja Nehls |
In der DDR wurden im großen Stil Medikamente an Menschen getestet – oft ohne die Zustimmung der Patienten. Die Auftraggeber waren westdeutsche Pharmakonzerne. Forscher der Charité haben zu diesen fragwürdigen Versuchen eine Studie erarbeitet.
1981. In einem Zwickauer Krankenhaus war Christa Kaufmann eigentlich nur wegen eines kleinen Knotens am Hals. Schilddrüse, diagnostizierten die Ärzte. Dann bekam sie eine Spritze und wochenlang ging es ihr richtig schlecht:
"Ich denke, dass es ein Versuch war, ich musste mich da auf den Röntgentisch legen und an beiden Seiten, die waren aus Glas, da schauten viele Ärzte rein, rechts und links. Und keiner hat mit mir gesprochen, da habe ich schon gemerkt, irgendwas stimmt da nicht. Ich habe Fragen gestellt, die sind überhaupt nicht beantwortet worden, ich habe jetzt noch Albträume, jede Nacht."

Im Auftrag der Westfirmen

Was das für eine Spritze war, hat Christa Kaufmann seitdem nicht herausbekommen. Ob sie Teil eines Medikamentenversuchs war auch nicht. Die Forschungsgruppe "DDR- Arzneimittelforschung" an der Berliner Charite hat Hinweise auf bis zu 900 Studien gefunden, die im Auftrag von Westfirmen in der DDR durchgeführt wurden. Zwischen 1980 und 1990 waren gut 300 davon so gut dokumentiert, dass sie genauer analysiert werden konnten. Ob und wie die Patienten aufgeklärt wurden, ließ sich aber nur lückenhaft nachweisen, sagt der Studienleiter Medizinhistoriker Volker Hess:
"Was sich hinter diesen Unterschriften der Ärzte oder dem Kreuzchen verbirgt, tatsächlich, lässt sich nicht herausfinden, das war übliche Praxis. Wir haben an einzelnen Beispielen zeigen können, dass die Patienten sehr wohl wussten, woran sie teilnehmen, wo dann in der Notiz steht: Patientin bricht ab, weil sie nicht an einer Doppelblindstudie teilnehmen möchte. Also solche Hinweise machen deutlich, dass das keineswegs nur eine Formalie war, sondern die Aufklärung durchaus einer gelebten Praxis entsprach."

Akten waren verschwunden

Darüber hinaus gab es Studien gerade in früheren Jahren, die nicht oder kaum dokumentiert waren. Studien, die die DDR selber durchgeführt hat und Medikamente, die nicht im Rahmen einer Studie getestet wurden. Für Roland Jahn, den Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, ist die jetzt vorliegende Untersuchung deshalb nur ein Anfang:
"In vielen Kliniken haben die Akten gefehlt. Das ist eine Studie, die jetzt die Untersuchungen voranbringt, aber es gilt weiter aufzuklären und auch gerade mit den Betroffenen zu sprechen, weil die haben ja ihre Erlebnisse, die sind ja emotional aufgeladen und das gilt es weiter sachlich und gründlich zu untersuchen."

Pharmaunternehmen haben die Aufarbeitung unterstützt

Diese Untersuchung wurde unter anderem vom Bund und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gefördert. Unterstützung gab während der Recherche auch von zahlreichen Pharmaunternehmen, sagt Volker Hess. Klinische Auftragsstudien in der DDR seien damals keine Ausnahme sondern die Regel gewesen. Damalige ethische Standards seien weitgehend eingehalten worden, auch wenn sie lange nicht so ausgefeilt gewesen seien wie heute. Für Pharmafirmen wie Sandoz, Höchst, Bayer, Schering oder Boehringer Ingelheim habe die DDR als Schauplatz einer Studie einfach praktische Vorteile gehabt:
"Dass die DDR oder die Behörden der DDR die Organisation solcher Studien zentral übernommen haben. Das heißt, eine Studie ließ sich innerhalb kürzester Zeit hocheffizient zu einem guten Ergebnis zu Ende führen. Das heißt, die DDR stand mit ihrem ganzen Apparat dafür ein, dass die Protokollbögen ordentlich ausgefüllt wurden, dass genügend Patienten als Probanden vorhanden waren, dass geeignete Studienzentren rekrutiert werden konnten. Das sind die entscheidenden Vorteile."

Forschungsergebnisse erst ein Teil der Wahrheit

Außerdem gab es in der DDR viele Menschen, die gerne mit Westpräparaten behandelt werden wollten, weil Wirkstoffe in der DDR immer erst drei bis sechs Jahre später zum Einsatz kamen, so Hess. Für Anna Kaminsky von der Stiftung Aufarbeitung sind die Forschungsergebnisse aber erst ein Teil der Wahrheit. Gerade der Umgang mit den Probanden sei noch weitgehend unklar:
"Ich denke, es wäre naiv anzunehmen, dass in einer Diktatur, in der den Menschen so viele Freiheitsrechte genommen worden sind, in der es keine freie Arztwahl gab, in der es keine freie Wahl der Behandlungsmöglichkeiten gab, da nicht auch zu hinterfragen, was ist eigentlich mit Medikamententests, das würde ich für naiv halten."
Für die DDR waren die Studien eine willkommene Einnahmequelle um knappe Devisen für die überschuldete Planwirtschaft zu bekommen. Einnahmen von 15 bis 17 Millionen Valuta-Mark sind dokumentiert. Wenn das tatsächlich alles war, wäre das angesichts der DDR-Schulden allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen.
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