Abwendung von sozialen Medien

Informationsflut überfordert jüngere Menschen

37:00 Minuten
Eine Frau sitzt in der Ecke einer grün verkleideten Gummizelle und verbirgt den Kopf in ihren Armen.
Studien haben herausgefunden, dass immer mehr junge Menschen sich aus den sozialen Medien zurückziehen, um der täglichen Reizüberflutung zu entgehen. © Getty Images / Anthony Marsland
Roland Gimmler im Gespräch mit Martin Böttcher und Vera Linß · 23.07.2022
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Überall Krisennachrichten, negative Gefühle beim Scrollen durch Instagram: Viele junge Menschen hadern mit der Nachrichtenflut und dem medialen Kommunikationsaufkommen – das hat eine neue Studie herausgefunden. Welche Konsequenzen hat das?
Die alles überschattende Klimakrise, die Coronapandemie, der Überfall auf die Ukraine – eine neue Studie des VOCER-Instituts hat sich angesehen, was die Nachrichtenflut mit Menschen macht. Müsste man die Ergebnisse kurz zusammenfassen: Sie leiden an Überforderung.
„Viele Menschen hadern mit den Krisennachrichten, kommen nicht so richtig zu Ruhe. Dieser übermäßige Konsum digitaler Medien führt zu so etwas wie eine Nachrichten-Müdigkeit“, sagt Stephan Weichert, Medienwissenschaftler und Co-Autor der Studie.
60 Prozent der befragten Nutzerinnen und Nutzer gaben an, beim Scrollen durch Instagram negative Gefühle zu empfinden. So hätten gerade die Belastungen seit 2020 die Medienutzung stark verändert. Vor allem die junge Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen habe sich dabei besonders stark von den sozialen Medien abgewandt.
Was für ein paar Tage erholsam sein kann, könnte langfristig dazu führen, dass Menschen sich komplett vom Weltgeschehen abkapseln. „Wir gehen aber jetzt erst mal nicht davon aus, dass das Krisengeschehen nachlässt, sondern dass uns weiter Krisen bevorstehen“, sagt Stephan Weichert. "Leider und deswegen dann auch diese Leute möglicherweise für immer verloren bleiben."

Mehr digitale Stressfaktoren

„Wir haben mehr Stressoren digitaler Natur“, bestätigt auch Roland Gimmler vom Institut für Kommunikationspsychologie und Medienpädagogik der Universität Landau. Das hänge auch mit dem veränderten Nutzerverhalten, von stationärer zu mobiler Mediennutzung, zusammen.
Hinzu kämen die interpersonale mediale Kommunikation mit Freunden und Bekannten, aber auch mit Fremden, soziale Vergleiche und Hinweise, wie man sein Leben am besten gestaltet. Zudem spielten Multitasking und ständige Parallelnutzung eine Rolle. „Und zwischendurch einfach mal auszusteigen, macht Sinn“, sagt Roland Gimmler in Bezug auf die Studienergebnisse.
„Aus der klinischen Sichtweise, aus der therapeutischen braucht es zwischendurch immer mal wieder so etwas wie ein Retreat oder eine Diät, mal zu gucken: Wer bin ich eigentlich? Was will ich wirklich? Muss ich mich verrückt machen lassen? Was sind eigentlich meine Bedürfnisse?“ Es gehe um Selbstregulierung und Selbstbestimmtheit, darum, zu überprüfen, ob nicht die eigenen Mediennutzungsmuster in irgendeiner Form so einen dysfunktionalen Spin bekämen, rät der Kommunikationspsychologe.

"Weltwissen“ zur Einordnung notwendig

Zu beachten gilt auch: Jüngere Menschen sind in einer anderen Medienwelt groß geworden. Ohne klassische journalistische Angebote, mit einer Vielfalt an Influencerinnen und Influencern. Und es braucht eine gewisse Lebenserfahrung, um Nachrichten besser einordnen zu können. „Wir reden da auch von Weltwissen“, sagt Gimmler. „Wir brauchen da irgendetwas als Bewertungsmaßstab, gerade angesichts von Desinformationen, von Mythen, die rumgeistern, Verschwörungserzählungen, um frühzeitig zu erkennen: Nein, es kann eigentlich nicht so sein.“
Vielleicht ist genau dies den jungen Mediennutzer:innen auch bewusst. Zumindest ergab die Studie des VOCER-Instituts, dass die Abwanderung soziale Medien stärker betrifft als journalistische Angebote. Die scheinen für viele Konsumentinnen und Konsumenten ein Ort für verlässliche Informationen geworden zu sein.
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