"Man will das Phänomen offenbar klein reden"
Wer heute als Lehrer arbeitet, muss einiges einstecken: Laut einer neuen Studie gibt es an jeder vierten Schule Gewalt gegen Lehrkräfte. Meistens würden die Kollegen damit alleine gelassen, kritisiert Udo Beckmann vom Verband Bildung und Erziehung.
Schockierende Zahlen einer neuen Studie, die der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in Auftrag gegeben hat: An etwa jeder dritten Grundschule in Deutschland sind Lehrkräfte in den vergangenen fünf Jahren körperlich angegriffen worden, berichten die jeweiligen Schulleitungen. Über alle Schulformen hinweg gibt es an jeder vierten Schule von Fällen körperlicher Gewalt gegen Lehrerinnen und Lehrer.
Fast die Hälfte der Schulen ist betroffen
Fast die Hälfte der Schulleitungen (48 Prozent) gab an, dass es an ihrer Schule in den vergangenen Jahren Fälle von psychischer Gewalt gab - also Fälle, bei denen Lehrkräfte direkt beschimpft, bedroht, beleidigt, gemobbt oder belästigt wurden. Fälle von Mobbing, Diffamierung und Belästigung über das Internet gab es laut Studie an jeder fünften Schule. Die Täter sind nicht nur Schüler, sondern auch deren Eltern.
Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung, überrascht das Phänomen der Gewalt gegen Lehrer nicht. Er war selbst von 1996 bis 2005 Rektor einer Hauptschule in Dortmund. Das für ihn größte Problem dabei ist die mangelnde Unterstützung der Lehrer durch die zuständigen Schulbehörden und das Wegschauen der Bildungsministerien.
Es gibt kaum Zahlen zu dem Thema
Die Arbeit an der Studie habe auch offenbart, dass anscheinend vor 2016 nie Erhebungen zu dem Thema gemacht wurden.
"Wir haben 2016 die Schulministerien angefragt, wie denn die Zahlen sind, die sie erhoben haben. Und wir mussten leider feststellen: Es wurden in der Regel gar keine Zahlen erhoben – weil man anscheinend das Phänomen weiterhin kleinreden wollte und man es einfach nicht wissen wollte."
Somit sei es schwierig, anhand von Zahlen den Anstieg der Gewalt zu beziffern. Aufrüttelnd seien jedoch die Zahlen einer anderen Expertise, die dazu im Kontext gesehen werde könne: Demnach habe sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit sozialer und emotionaler Entwicklungsstörung im Zeitraum von 2005 bis 2017 fast verdoppelt.
Viele Lehrer fühlen sich alleine gelassen
Beckmann sagte weiter: In den Beratungssprechstunden des VBE sei Gewalt gegen Lehrkräfte immer wieder Thema – vor allem im Zusammenhang mit großer Hilflosigkeit. Denn viele Lehrer fühlten sich in solchen Situationen von ihren Vorgesetzten allein gelassen, insbesondere im Fall schwerwiegender Straftaten – wenn es zu Verhandlungen komme. Dabei sei starker Rückhalt durch die Arbeitgeber in solchen Situationen immens wichtig.
Demnach berichten Lehrer immer wieder, dass die Behörden oder auch Schulleitung sie "im Regen stehen" ließen und ihnen empfohlen hätten, psychische oder körperliche Gewalterfahrungen mit Schülern oder deren Eltern doch "privatrechtlich" zu regeln.
Es gebe zudem große Versäumnisse bei der Lehrerfortbildung. Dort müsse beim Thema "Gewalt gegen Lehrkräfte" dringend nachgesteuert werden.
(mkn)