Schlaue Eltern, schlaue Kinder?
Gene und Intelligenz hängen doch stärker zusammen als bisher bekannt. Eine neue Studie findet mehr als 1000 Gen-Variationen, die mit dem Bildungsniveau assoziiert sind. Das heißt aber nicht, dass Intelligenz vererbt wird.
Unsere Hautfarbe, unsere Augenfarbe, unsere Körpergröße wird von unseren Genen bestimmt. Aber wie sieht es mit unserer Persönlichkeit aus? Wie hängen Gene und Psychologie, Gene und Charakter, Gene und Intelligenz zusammen? Seit einigen Jahren veröffentlicht eine Forschergruppe an der Freien Universität Amsterdam dazu regelmäßig neue Erkenntnisse. Die Studien werden immer größer, immer mehr Daten stehen zur Verfügung, aus denen die Wissenschaftler immer detailliertere Erkenntnisse gewinnen können. Aysu Okbay hat an der neuesten Studie mitgearbeitet.
"Wir haben Daten von 1,1 Millionen Menschen analysiert und 1271 Genvarianten gefunden, die mit dem Bildungsniveau zusammenhängen. Diese Genvarianten spielen bei der Entwicklung des Gehirns eine Rolle - vor und nach der Geburt. Sie haben auch mit der Kommunikation zwischen Neuronen im Gehirn zu tun. Das hat dann Auswirkungen auf die Persönlichkeit oder die Intelligenz, was natürlich einen Einfluss auf das Bildungsniveau hat."
Also das Bildungsniveau, das ein Mensch in seiner Ausbildung erreicht. Die Wissenschaftler haben sogar eine Art Scoring-Algorithmus entwickelt. So wie andere Algorithmen etwa versuchen die Kreditwürdigkeit eines Menschen abzuschätzen, versucht dieser Algorithmus das Bildungsniveau eines Menschen anhand seines Genoms zu erraten. Es ist tatsächlich mehr ein Erraten als ein Errechnen. Denn nur im Durchschnitt ist die Trefferquote brauchbar. Bei einzelnen Menschen kann die Schätzung stark von dem abweichen, was jemand tatsächlich im Leben erreicht.
Intelligenz muss gefördert werden
"Bildung hängt vor allem von der Umgebung hab", erklärt Aysu Okbay. "80 Prozent der Unterschiede im Bildungsniveau sind durch die Umgebung bestimmt. Also, wenn man einen niedrigen Score hat, heißt das nicht, dass man keinen Universitätsabschluss erreichen wird. "
Hauptsächlich hängt Intelligenz also davon ab, ob sie gefördert wird. Ob es in dem Hauhalt, in dem man aufwächst, Bücher gibt oder nicht. Ob ein Kind ermutigt wird, Neues zu entdecken. Ob es Spaß am Lernen entwickelt. Aber richtig ist auch, dass Intelligenz vererbbar ist. Dass das die Botschaft ist, die hängenbleibt, befürchtet Carl Zimmer. Der amerikanische Wissenschaftsjournalist hat gerade ein Buch über Vererbung veröffentlicht.
"Es passiert leicht, dass man Gene zu vereinfacht betrachtet. Die Leute glauben oft, dass Gene alles sind. Festgeschrieben wie eine Art Computerprogramm. Oder dass bei Genen alles oder nichts gilt. Habe ich ein Gen für dieses oder für jenes? Und wenn man ihnen sagt, dass sie dieses Gen haben, das mit einem höheren IQ zusammenhängt, dann kann ich mir vorstellen, dass sie sagen: Ah, ich bin ein geborenes Genie! Und sie überhören dann vielleicht, was danach kommt, nämlich dass diese Gen-Variante den IQ im Durchschnitt nur um einen Zehntelpunkt anhebt."
Eugenik in den USA vor hundert Jahren
Carl Zimmer sorgt sich darum, was passiert, wenn die Details untergehen oder die Forschungsergebnisse vielleicht sogar mutwillig falsch ausgelegt werden. Er erinnert daran, dass die amerikanische Gesellschaft schon vor hundert Jahren ignoriert hat, wie Vererbung funktioniert. Damals wurden sogenannte Geistesschwache/Schwachsinnige in Heime gesperrt und sterilisiert. Von Politikern beschlossen und von Wissenschaftlern gestützt.
"Sie lagen falsch, fundamental falsch", sag Carl Zimmer. "Aber es gab auch damals schon Genetiker, die gesagt haben, diese Argumentation macht keinen Sinn, diese Praktiken sind grausam und auch nicht wissenschaftlich fundiert. Aber die Gesellschaft wollte glauben, dass alles vererbt wird und man nichts ändern oder verbessern könne. Das war eine sehr mächtige und verführerische Idee. Und die Menschen haben sie angenommen und wollten von den Einwänden nichts wissen. Und die Konsequenzen waren tragisch."
Das Gedankengut der amerikanischen Eugeniker wurde in Deutschland von den Nationalsozialisten übernommen. Heute, wo wieder viel über vererbbare Intelligenz gesprochen wird, steigt auch das Missbrauchspotenzial wieder. In beide Richtungen: Wenn der Bildungsgrad von den Genen abhängt, kann man sich teure Bildungsprogramme sparen - das wäre eine falsche Schlussfolgerung.
Umgekehrt gibt es auch die Idee der personalisierten Bildung - genau auf das genetische Profil zugeschnittene Angebote - wohl auf Kosten der Chancengleichheit. Die Forschungsergebnisse der Genetiker könnten auch eine neue gesellschaftliche Debatte über Fortpflanzungsmedizin auslösen. Während bei In-Vitro-Fertilisation heute schon Embryos ohne bestimmte Erbkrankheiten ausgewählt werden können, sollten wir dann in Zukunft auch Embryos mit möglichst vielen genetischen Variationen auswählen können, die mit einem höheren Bildungsgrad assoziiert sind?
"Das ist eine schwierige Frage, über die wir sprechen müssen", findet Carl Zimmer. "Einerseits haben Eltern natürlich jedes Recht Entscheidungen über ihre Kinder zu fällen. Andererseits sollten wir nicht voreilig solche Entscheidungen fällen, ohne zu verstehen, was Genetik uns wirklich über Dinge wie Intelligenz verrät."
Das eine Intelligenz-Gen gibt es nicht
Es gibt eben nicht das eine Intelligenz-Gen. Und was die 1271 Gen-Variationen wirklich bedeuten, die mit dem Bildungsgrad assoziiert sind, ist unklar. Manche sind auch mit Alzheimer, Depression oder Schizophrenie assoziiert. Das Thema ist so komplex, die Ergebnisse so leicht falsch zu interpretieren, dass Aysu Okbay und ihre Forscherkollegen zusammen mit ihrem wissenschaftlichen Fachartikel Antworten auf häufig gestellte Fragen veröffentlicht haben. Diese FAQ sind mehr als 20 Seiten lang.
Aysu Okbay betont, sie würden darin vor allem erklären, was die Forschungsergebnisse nicht bedeuten. Aber selbst Wissenschaftler verstehen nicht immer, was sich an den Daten seriös ablesen lässt und was nicht.
Ich habe schon Studien gesehen, die versuchen, verschiedene Bevölkerungsgruppen miteinander zu vergleichen. Manchmal bekomme ich die zur Begutachtung. Und dann erkläre ich immer, dass die Analyse fehlerhaft ist, weil man diese Dinge nicht vergleichen kann."
Einen interessanten Vergleich zwischen zwei Bevölkerungsgruppen konnten die Wissenschaftler aber ziehen: den zwischen Männern und Frauen. Ergebnis: Das X-Chromosom spielt bei der Vererbung von Intelligenz keine besondere Rolle.