"Echten Nachholbedarf haben die Spitzenorchester"
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Der Anteil von Frauen in Orchestern lässt noch immer zu wünschen übrig, ist das Ergebnis einer erstmals sehr breit angelegten Studie. Bei den Jüngeren sei ein Wandel erkennbar, sagt Stephan Schulmeistrat vom Deutschen Musikinformationszentrum.
Wie steht es um die Gleichstellung von Frauen im Orchester? Dazu gibt es eine neue Studie: Das Deutsche Musikinformationszentrum (MIZ), eine Einrichtung des Deutschen Musikrates, hat in einer umfassenden Vollerhebung die Geschlechterverteilung in deutschen Berufsorchestern untersucht.
In diese Vollerhebung seien erstmals alle 129 öffentlich finanzierten Orchester einbezogen worden und dort die einzelnen Positionen der Musikerinnen und Musiker untersucht worden, sagt der MIZ-Leiter Stephan Schulmeistrat.
Zum Ergebnis sagt er: "Was jeder Konzertbesucher auf dem Podium beobachten kann, hat sich hier auch wissenschaftlich bewahrheitet."
Der durchschnittliche Frauenanteil in den Orchestern liege bei ungefähr 40 Prozent. In den "höheren Dienstpositionen, also Konzertmeister, Solisten, stellvertretende Solisten" betrage er nur noch 30 Prozent. "Und einen echten Nachholbedarf haben die Spitzenorchester." Dort liege dieser Anteil bei Führungspositionen nur noch bei 20 Prozent.
Eine Diskussion neu anfeuern
Nach den Gründen dafür habe die Untersuchung nicht gefragt. "Unser Anliegen war es, die Daten für eine kulturpolitische Diskussion zusammenzutragen und diese damit neu anzufeuern."
Jetzt seien die Orchester am Zug. "Nur in den Orchestern können die Weichen für einen höheren Frauenanteil gestellt werden." Wobei sich in den Orchestern der gesamtgesellschaftliche Kontext widerspiegele: Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung liege der Frauenanteil in Führungspositionen bei 26 Prozent.
Die Harfe ist meist weiblich besetzt, die Tuba männlich
Schulmeistrat setzt auf die Altersentwicklung: "Wenn wir die Alterspyramide in Orchestern betrachten, ist interessant, dass die 25- bis 45-Jährigen fast paritätisch besetzt sind im Moment. Die älteren Semester werden sich auswachsen."
Das Probespiel finde bereits seit 1970 hinter einem Vorhang statt, sodass nicht ersichtlich sei, ob ein Mann oder eine Frau spiele. Doch man müsse früher ansetzen, betont Schulmeistrat. "Denn was unsere Untersuchung auch gezeigt hat: Es gibt einfach typische Frauen- und typische Männerinstrumente." Die Harfe beispielsweise sei beim Wettbewerb "Jugend Musiziert" zu 88 Prozent weiblich besetzt. Die Tuba hingegen laut der Untersuchung zu 98,1 Prozent männlich.
Besondere Situation in Spitzenorchestern
Das zu verändern, sei Sache der musikalischen Bildung. Eine Möglichkeit seien beispielsweise Musik-Karussell-Kurse, die von Musikschulen angeboten würden. Dort könnten verschiedene Instrumente ausprobiert werden.
Bei den Spitzenorchestern jedoch gebe es noch mal besondere Umstände. Bei den Berliner Philharmonikern etwa spielte erst 1982 die erste Frau. 15 Jahre später sogar erst war das bei den Wiener Philharmonikern der Fall. Da man dort zu großen Konzertreisen bereit sein müsse, sei die Vereinbarkeit mit der Familie schwierig – und dieses Thema sei bislang auch noch viel zu wenig berücksichtigt worden.
(abr)