"Was da zutage kommt, ist ziemlich erschütternd"
Nicht nur Doping mit Testosteron oder Steroiden waren im DDR-Leistungssport üblich. Die jungen Sportler seien auch häufig mit sexualisierter Gewalt konfrontiert worden, sagt Doping-Experte Andre Keil. "Und das führt zu sehr, sehr schlimmen Erkrankungen jetzt, im hohen Alter."
Die Zahl der Geschädigten des DDR-Sports steigt von Tag zu Tag. Etwa 1000 haben den Weg zur Doping-Opfer-Hilfe in Berlin bereits gefunden und es wird mit vielen weiteren gerechnet. Ab Mitte der 70er Jahre bis zum Fall der Mauer erreichten etwa 15.000 Athleten die höchste Kaderstufe des DDR-Sports und rutschten damit in den Bereich der sogenannten unterstützenden Mittel. Ein Forscherteam der Universität Greifswald, das sich mit den Folgen des politisch motivierten Leistungssports in der DDR befasst, kommt jetzt schon zu erschütternden Zahlen.
Sexualisierte Gewalt an DDR-Internaten "unglaublich hoch"
Neben dem Missbrauch durch Dopingpräparate gehörte sexualisierte, physische und verbale Gewalt gegen Minderjährigen zum Alltag des DDR-Sports, betonen die Forscher. Etwa 25 Prozent der bislang befragten ehemaligen Sportler berichteten über entsprechende Übergriffe, womit die Zahl der Betroffenen in dieser Gruppe dreimal so hoch liege wie in der Allgemeinbevölkerung, bestätigt der Leiter der Forschungsgruppe, Prof. Dr. Harald Freyberger.
Der Journalist und Doping-Experte Andre Keil - in der DDR als Jugendlicher selbst Leistungssportler im Segeln- betont zudem, dass in diesen Trainingsgruppen der Anteil an verbaler Gewalt sehr hoch gewesen sei. So seien hier sehr oft Äußerungen wie "Du bist zu fett", "Du siehst ekelig aus" gefallen. Die Kinder seien außerdem durch Trainingslager und Internatsaufenthalte lange von ihren Eltern getrennt worden. All dies führe "zu sehr, sehr schlimmen Erkrankungen jetzt, im etwas hoherem Alter, mit 40, 50 Jahren", sagt Keil im Deutschlandradio-Kultur-Interview.
"Doppelt und dreifach" starke Schmerzen
Zudem haben Freyberger und sein Forscherteam einen erschreckend hohen Einsatz von Schmerzmitteln schon bei Kindern nachweisen können. Das führe zu einer völlig veränderten Schmerzwahrnehmung bei den betroffenen ehemaligen Sportlern gerade im fortgeschrittenen Alter, sagt Doping-Experte Andre Keil. Hier gebe es bei den Betroffenen einen sogenannten "Rebound-Effekt": "Das heißt, die Schmerzwahrnehmung damals wurde künstlich gesenkt." Das führe dazu, dass die Sportler heutzutage "den Schmerz doppelt und dreifach spüren".
Die Lebenserwartung der Sport-Geschädigten ist nach Einschätzung der Wissenschaftler um etwa zehn Jahre verkürzt. Noch rund drei Jahrzehnte würden die Opfer des DDR-Sports die Behörden in Deutschland beschäftigen.
"Das sind Schicksale, die einen berühren", betonte Keil. "Was da heute zutage kommt, ist ziemlich erschütternd."