Wie Sachsen-Anhalt um Landärzte wirbt
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Sachsen-Anhalt leidet unter Ärztemangel auf dem Land. Nun hat es fünf Prozent der Medizinstudienplätze für Bewerber reserviert, die später in ländlichen Regionen arbeiten sollen. Eine Chance für Bewerber auch ohne Idealnote. Doch löst das das Problem?
Marie-Luise Greulich erinnert sich ganz genau an diesen Moment.
"Ich habe einfach nur geweint. Das ist einfach ein tolles Gefühl. Ich kann es eigentlich immer noch nicht ganz glauben."
Es ist der Moment, als sie von ihrer Zulassung zum Medizinstudium erfährt. Jetzt sitzt sie zusammen mit 19 weiteren erfolgreichen Bewerbern im Gesundheitsministerium in Magdeburg und wird als künftige Landärztin begrüßt.
"Endlich das machen zu können, was ich mir immer gewünscht habe. Wo ich das Gefühl habe, das ist genau das Richtige für mich. Da passe ich rein. Das will ich. Das werde ich gut machen."
Chance für Bewerber ohne Idealnote
Sie gehört zum ersten Studiengang, der von der Landarztquote in Sachsen-Anhalt profitiert. Fünf Prozent der begehrten Studienplätze an den Universitäten Magdeburg und Halle sind für Bewerber reserviert, die später auf dem Land arbeiten sollen und wollen. So wie Felix Goßlau. Der 25-Jährige stammt aus Quedlinburg und hat keinen Augenblick gezögert und sich gemeldet.
"Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen. Zwischendurch habe ich mal in einer Großstadt gelebt. Und da habe ich gemerkt, dass ich gern wieder in eine Kleinstadt zurück möchte oder halt auf das Land. Deswegen passte dieses Programm so, Allgemeinmediziner auf dem Land."
Dringend gesucht: Allgemeinmediziner auf dem Land
Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne hat für das Landarzt-Modell gekämpft. Denn die Probleme bei der medizinischen Versorgung auf dem Land sind unübersehbar und auch der Trend ist eindeutig: Immer mehr Ärzte und Ärztinnen gehen in den Ruhestand und finden keine Nachfolger.
"Das ist ja ein sehr ernstes Thema, was wir hier in Sachsen-Anhalt haben. Wir haben immer mehr ältere Bevölkerung. Und wir haben einen so großen Bedarf. Bis zu 400 Hausärzte verlassen aus Altersgründen die nächste Zeit ihre Praxen", sagt Grimm-Benne.
"Und neben den Ärzten arbeiten wir zurzeit auch daran, sogenannte multi-professionelle Teams zu bilden. Hier wollen wir auch Pflegekräfte ausbilden, wo man bestimmte Aufgaben delegieren kann. Wir wollen da ganz viel machen, damit wir nicht den ländlichen Raum abhängen."
Auch soziale Kompetenzen sind gefragt
Der Arzt auf dem Land steht dabei vor anderen Herausforderungen als der Mediziner in der Großstadt, sagt Prof. Thomas Frese. Er leitet die Medizinerausbildung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Auf dem Dorf oder in der Kleinstadt kennt jeder jeden. Das Sprechzimmer kann schnell auch mal zum Umschlagplatz für die neuesten Nachrichten werden.
"Speziell im ländlichen Bereich ist man auch gesellschaftlich ganz anders integriert, wenn man dann dort auch wohnt und längere Zeit berufstätig ist, und hat zu vielen Patienten eine ganz andere Bindung als das im großstädtischen Raum der Fall ist."
In den Lehrveranstaltungen werden die sozialen Beziehungen deshalb eine Rolle spielen. Und die Studierenden sollen auch ganz praktische Tipps für ihren Alltag in der Praxis bekommen, erklärt der Chef der Medizinerausbildung in Halle. Denn die angehenden Landärzte werden viel mit Abrechnungsformularen, Bestellprozessen und Investitionsentscheidungen zu tun haben.
"Das ist etwas ganz Entscheidendes. Studierende wünschen sich auch Informationen zu betriebswirtschaftlichen Themen wie Praxisführung oder ambulantes Arbeiten. Das kam im Studium bislang zu kurz. Deshalb freuen wir uns als Institut für Allgemeinmedizin, dass wir das seit zwei, drei Jahren als Wahlfach anbieten."
Große Freude über den Studienplatz
Marie-Luise Greulich reizt die Vorstellung, Landärztin zu sein. Die ausgebildete Krankenschwester hat dabei das beste Vorbild in der eigenen Familie. Ihre Mutter betreibt in Osterwieck, einer Kleinstadt im Landkreis Harz, eine Arztpraxis. Perspektivisch kann sich die 24-Jährige vorstellen, die Praxis zu übernehmen. Sie will die Chance jedenfalls nutzen und beginnt jetzt in Magdeburg ihr Medizinstudium.
"Wenn man sieben Jahre wartet und man denkt, dass man durch das System irgendwie hinten runterfällt, kann man es gar nicht glauben, wenn man dann doch zugelassen wird. Und dann sogar an der Wunsch-Uni studieren darf. Meine Mutter hat auch in Magdeburg studiert. Mein Freund wohnt hier. Wir haben anderthalb Jahre eine Fernbeziehung geführt. Und ich freu mich, endlich ankommen zu dürfen."
Landkreise locken zusätzlich mit Stipendien
Auf dieses Fachpersonal wartet Kathrin Rösel ungeduldig. Sie ist Gesundheitsdezernentin im Altmarkkreis Salzwedel. Schon jetzt kann sie 15 Hausarztstellen nicht besetzen. Und die angehenden Mediziner sind erst in zehn, elf Jahren fertig. Solange kann und will Kathrin Rösel nicht warten und lockt deshalb mit einem Stipendium auch bei denen, die bereits in der Ausbildung sind.
"Das bedeutet, wenn sich junge Menschen dazu verpflichten, nach ihrem Studium der Humanmedizin bei uns im Altmark-Kreis Salzwedel sesshaft zu werden, können sie für die Dauer ihres Regelstudiums 800 Euro pro Monat von uns bekommen. Und für die Dauer der Facharztausbildung zusätzlich nochmal 200 Euro pro Monat. Das ist ein sehr umfangreiches Programm. Das bedeutet, dass wir 120.000 Euro jährlich aufbringen müssen, um damit Studentinnen und Studenten zu fördern."
Das neue Landarztprogramm in Sachsen-Anhalt begrüßt sie und hofft, dass auch die Altmark davon profitiert. Sie hätte sich aber mehr vorstellen können, besonders bei der Kapazität.
Keine Erhöhung der Zahl der Medizinstudierenden
"Das Programm ist ein bisschen halbherzig. Weil diese fünf Prozent Hausarzt-Quote von der Gesamtzahl der Humanmedizin-Studenten abgeht. Es ist ja nicht so, dass fünf Prozent oben drauf kommen. Man hätte die Gesamtzahl der Medizin-Studierenden erhöhen müssen und erhöhen können", sagt sie.
"Denn es ist ja nicht nur so, dass uns Landärzte und Hausärzte fehlen, sondern perspektivisch haben wir auch ein ganz großes Defizit bei den Fachärzten. Und das nicht nur auf dem Land. Ich sehe dieses Programm nicht ganz unkritisch und hoffe natürlich trotzdem, dass ein bisschen was bei uns ankommt."
Immense Strafzahlung bei Vertragsbruch
Sachsen-Anhalt betritt mit der Landarztausbildung Neuland. Und weil niemand wissen kann, ob die jungen Ärzte wirklich ihr Versprechen einlösen, hat sich das Land abgesichert. Wer einen der Studienplätze erhält, verpflichtet sich, zehn Jahre lang als Hausarzt in unterversorgten Regionen zu arbeiten. Wird der Vertrag nicht eingehalten, drohen bis zu 250.000 Euro Strafe.
Inzwischen gibt es sogar schon Überlegungen, dieses Modell auszuweiten und Studienplätze für Amtsärzte vorzuhalten. Sie würden dann in den Gesundheitsämtern arbeiten. Dass es auch hier Engpässe gibt, zeigt sich gerade in der Coronakrise.