Étienne François: Der Historiker ist ein intimer Kenner der Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich. Er ist Professor an der Freien Universität Berlin und lehrte bis zu seiner Emeritierung 2003 an der Pariser Sorbonne. Zu seinen wichtigsten Publikationen zählen »Nation und Emotion. Deutschland und Frankreich im Vergleich« (1995) sowie das mehrbändige Werk »Deutsche Erinnerungsorte« (2001).
Keine Revolution, aber eine Wende
Frankreich hat gewählt und die alten Kräfte weggefegt. Keine Revolution, findet der deutsch-französische Historiker Étienne François, aber eine Wende. Außerdem: Rechtspopulistische Sprache und der Merve Verlag verlässt Berlin.
Der parteilose Emmanuel Macron vereint mit knapp 24 Prozent die meisten Stimmen im ersten Wahlgang hinter sich. Auch wenn er ein "pures Produkt des Establishments" sei, so sei er doch überdurchschnittlich begabt und müsse, so er gewählt würde, daraus etwas machen, das dem Land nützt, meint François. Hingegen sei "die Position des Front National sehr stark, Le Pen wird die stärkste Stimme der Opposition sein. Da ist es für Macron schwierig, ganz Frankreich hinter sich zu versammeln." Er könne aber Maßnahmen einleiten, die einen Bruch mit der bisherigen Politik darstellten und damit neue Perspektiven eröffneten, glaubt der Historiker.
"Le Pen ist absolut machtbesessen"
Angesichts dessen, dass Sozialisten und Konservative am Sonntag nur ein Viertel der Stimmen gewonnen haben, tut sich in Frankreich eine Bipolarität auf, für die Macron auf der einen und Le Pen auf der anderen Seite stehen: Macron setzte auf den gewachsenen Optimismus der Franzosen, auf ihr altes Selbstvertrauen und auf ihre Fähigkeit, die Welt so nehmen wie sie ist und glaubt, dass es ihnen gelingen wird, aus der Sackgasse rauszukommen. Hingegen stünde Le Pen für einen Rückzug Frankreichs und eine Regenerierung von innen her. Dabei sei Le Pens "Aggressivität" ihre Stärke und sie sei "absolut machtbesessen".
Mit Blick auf die Stichwahl am 7. Mai sagt François einen deutlichen Sieg Emmanuel Macrons voraus: "Zwischen 60 und 65 Prozent!" Aber wenn es Macron dann nicht gelinge, "seine Versprechen einzuhalten und die Situation in Frankreich zu verbessern, im Inland und die Beziehungen zum Ausland, dann wird höchstwahrscheinlich Marine Le Pen die Wahlen in fünf Jahren gewinnen."