Studio 9 - Der Tag mit Michael Naumann

"Deutschland ist nicht als Führungsmacht geeignet"

Michael Naumann, Publizist und Ex-Kulturstaatsminister
Michael Naumann, Publizist und Ex-Kulturstaatsminister © Deutschlandradio / Manfred Hilling
Moderation: Korbinian Frenzel |
Angesichts des Trump-Debakels: Ist Kanzlerin Merkel jetzt die Anführerin der freien Welt? "Natürlich nicht", meint der frühere Kulturstaatsminister Michael Naumann. Schon aus einem Grunde: Deutschland habe sich selbst entwaffnet.
Man dürfe niemals vergessen, dass der Führungsanspruch der USA vor allem auf militärischer Größe beruhe, so Naumann: "Die Führungsrolle der Vereinigten Staaten war (…) dadurch definiert, dass sie (…) dazu geeignet war, Gewalt in Europa einzuhegen." Diese Rolle werde vom neuen amerikanischen Präsidenten nicht mehr eingenommen:
"Als Oberbefehlshaber der Armee wird er den Teufel tun, Konflikte in Regionen militärisch unter Einsatz seiner eigenen Kräfte lösen zu wollen oder auch nur verhindern zu wollen - ganz einfach weil ihm das alles niegelnagelneu ist."
Deutschland kann aus Sicht Naumanns keine "konflikteinhegende, diplomatische Führungsmacht" in der Welt sein: "Der alte Vorwurf, der nicht nur von Donald Trump stammt, dass wir uns militärisch selbst emaskuliert, das heißt entwaffnet haben, der steht im Raum und ist korrekt." Der Historiker Timothy Garton Ash, der Kanzlerin Merkel im vergangenen November als "Anführerin der freien Welt" bezeichnet hatte, habe sich getäuscht: "Wir sind nicht in der Lage, diese Rolle der Vereinigten Staaten einzunehmen." Vielmehr bestimme derzeit Russlands Präsident Putin, wie die Konflikte in Europa geregelt würden - unter anderem mit "diffizil eingesetzter, getarnter Gewalt". Dass Europa eine diplomatische Führungsrolle einnehmen müsse, nennt Naumann einen "fast hoffnungslosen Scherz". Es sei in vielen Dingen uneinig und müsse "neu zusammengesetzt" werden - wie er hoffe, mit dem neuen französischen Präsidenten Macron.

Export von Handfeuerwaffen die wahre Pest für die Dritte Welt

Dass Deutschland laut aktuellem Friedensgutachten immer noch fünftgrößter Waffenexporteur ist, findet Naumann nicht grundsätzlich kritikwürdig. So bekümmere ihn der Export von U-Booten und Flugzeugen "überhaupt nicht":
"Wenn wir das nicht tun, werden das andere tun - und damit auch außenpolitischen Einfluss versuchen zu gewinnen. Was mich viel mehr bekümmert, ist der Export von Handfeuerwaffen. (…) Das ist die wahre Pest in der Dritten Welt. Damit werden die zivilen Unruhen, die Terroranschläge - damit wird alles das möglich, was uns mit Recht so bekümmert."

Stürme im Wasserglas - das ist auch Berlin

Amüsiert zeigte sich Naumann über den Berliner Kulturbetrieb und die Diskussion um die Nachfolge des Volksbühnen-Intendanten Frank Castorf: "Ich finde das herrlich, wie diese Castorf-Diskussion, die wahrscheinlich wirklich im Umkreis von etwa zwei Kilometern von Berlin niemanden mehr interessiert, die Stadt erhitzt, zumindest in den Feuilletons." Sein Urteil: "Stürme im Wasserglas, permanent - das ist auch Berlin." Es mache ja auch Spaß, "im Stillstand herumzutanzen und laut zu schreien." Es habe sich einfach eine Fülle von Eitelkeiten manifestiert: "Wer als Fürst wie Castorf so lange regiert, mag ganz einfach nicht einsehen, dass irgendwann einmal ein Regierungswechsel fällig ist." (bth)

"Ein zielstrebiges Leben habe ich nie geführt", schrieb Michael Naumann in seiner im vergangenen März erschienen Autobiografie. So war er in seinem Leben schon vieles - und in vielem erfolgreich: Als Redakteur der Wochenzeitung "Die Zeit" gründete er das "Zeit Magazin" mit, als Rowohlt-Verleger verdoppelte er die Umsätze des Verlags. Von 1998 bis 2001 war er Kulturstaatsminister bei Kanzler Gerhard Schröder, danach ging er als Herausgeber zurück zur Zeit, zugleich war er bis 2004 gemeinsam mit Josef Joffe deren Chefredakteur. 2008 kandidierte Michael Naumann für die SPD für das Bürgermeisteramt in Hamburg, unterlag aber gegen Ole von Beuyst. Seit 2012 arbeitet Michael Naumann als Gründungsdirektor der Barenboim-Said Akademie in Berlin an der Verständigung zwischen Musikern aus dem arabischen Raum und Israel.

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