Leistung schlägt Gesundheit

Die Politik kennt keine Schwäche

07:27 Minuten
Omid Nouripour, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, spricht zu den Journalisten vor der Gremiensitzungen.
Omid Nouripour hatte sich im Frühjahr mit dem Coronavirus angesteckt, aber trotzdem weitergearbeitet. Symptome wie Schwindel verschwanden erst in der politischen Sommerpause. © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Elisabeth Niejahr im Gespräch mit Jana Münkel |
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Jeder Mensch ist gelegentlich erschöpft von seinem Beruf. Besonders im Politikbetrieb werde ein solches Eingeständnis allerdings schnell als Schwäche ausgelegt, beklagt die Publizistin Elisabeth Niejahr. Auch über Krankheiten werde kaum gesprochen.
Der Bundesvorsitzende der Grünen, Omid Nouripour, hat kürzlich über seine Long-Covid-Erkrankung gesprochen und die Anforderungen, die an ihn als Politiker gestellt werden. "Mich hat zunehmend die Frage beschäftigt, ob ich dem gerecht werden konnte, was meine Partei von ihrem Vorsitzenden braucht", sagte er dem Berliner "Tagesspiegel". "Wenn man da das Gefühl hat, dass man nicht bis ans Limit gehen kann, was man aber tun muss, hinterfragt man sich."
"Das zeigt die Unbarmherzigkeit des politischen Systems", sagt die Geschäftsführerin der Hertie-Stiftung, Elisabeth Niejahr. Es sei nicht möglich, über Krankheiten zu sprechen, beklagt sie.
Die Journalistin Elisabeth Niejahr sitzt als Gast in einer Talkshow in einem Sessel.
Elisabeth Niejahr war bis Ende 2019 Chefreporterin der Wirtschaftswoche und ist seitdem Geschäftsführerin der Hertie-Stiftung, die sich für Forschung und Demokratie einsetzt.© imago images / teutopress / teutopress GmbH via www.imago-images.de

Fehler als Teil des Systems

Sie sei angesichts solcher Zustände nicht überrascht, dass es weniger junge Menschen in die Politik ziehe, sagt Niejahr. Die mentale Gesundheit sei inzwischen in der Berufswelt ein wichtiges Thema und dürfe auch in der Politik nicht tabuisiert werden. Eine Mentalität à la "Nur die Harten kommen in den Garten" lehnt die ehemalige Berichterstatterin der Wirtschaftswoche ab.
Sie wünsche sich insgesamt mehr Anerkennung für den Politikerberuf, damit dieser wieder erstrebenswert werde, sagt Niejahr. Eine andere Fehlerkultur zu etablieren und den Politikbetrieb menschenfreundlicher zu gestalten: Daran arbeitet die Hertie-Stiftung auch in einem Projekt.

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Die Publizistin sieht es positiv, dass in der Politik wieder stärker zwischen Privat- und Berufsleben getrennt wird. "Man sieht kaum noch die klassische Homestory. Politiker sehen sich nicht mehr verpflichtet, zu zeigen, wie sie ihren Kindern Brote schmieren oder Plätzchen backen", führt sie aus.
Niejahr sieht bei diesem Thema auch ihren eigenen Berufsstand in der Pflicht: "Es kommt auch im Journalismus auf die Geisteshaltung an", sagt sie. Man dürfe Politikern nicht von vornherein die schlimmste Motivation unterstellen: "Politik ist nicht per se ein dreckiges Geschäft."
(lsc)
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