Neue deutsche Theatertexte im Wettbewerb
Die "Mutter der Autorenförderung" ist der "Stückemarkt" in Heidelberg. Hier werden Texte vorgestellt, die fast immer schon einen Verlag, aber sehr selten einen Uraufführungstermin haben. Mit der Präsentation von sechs neuen Texten und der Uraufführung des Sieger-Stücks vom vergangenen Jahr hat das Festival am Wochenende begonnen.
Natürlich hat die Auswahljury auch auf die Stücke zur Zeit geachtet. Die, deren Gegenwart unüberhörbar ist. In "Wiegenlied für Baran" vom studierten Islam-Wissenschaftler Joel Laszlo aus Zürich etwa liegt der titelgebende kurdische Geflüchtete stumm auf dem Sofa, während die Gemeinsamkeit zerfällt zwischen Sibylle und Pierre, dem Paar, das ihn beherbergt. Und dass sich der esoterisch angehauchte Robert, der jetzt aus spirituellen Gründen "Samadhi" genannt werden will, gelegentlich einmischt, macht die Sache auch nicht besser; alle sind – vor allem - überfordert.
"Man muss die Fragen aushalten – wieso ist er dort? Wieso bin ich hier? Das ist Naivität! Das ist das Fundament von Gerechtigkeit." /
"Das Fundament von Gerechtigkeit ... das ist kein Grundsatz, das sind wieder mal Deine Parolen."
"Das Fundament von Gerechtigkeit ... das ist kein Grundsatz, das sind wieder mal Deine Parolen."
Am Ende steht ein Selbstmord
Am Ende steht sogar ein Selbstmord. Maryam Zaree lässt derweil die Flüchtlings-Anwältin aus dem Iran und deren nach schwerster Folter ehedem geflüchtete Mutter miteinander streiten, animiert von einem etwas dümmlichen Computer-Fragespiel:
"Stellen Sie einander 36 persönliche Fragen und beschleunigen Sie eine Annäherung. Nehmen Sie sich drei Minuten Zeit und erzählen Sie einander Ihre Lebensgeschichte in so vielen Details wie möglich. Fragen Sie Ihr Gegenüber, welcher Tod in der Familie am besten verkraftet werden würde."
Über Mutters Flucht damals ist zwischen den beiden Frauen nie wirklich gesprochen worden – darum erreichen sie erst gegen Ende von "Kluge Gefühle" eine Art gemeinsamer Geschichte.
Im Finale heute stellte der schon recht bewährte Schweizer Autor Lorenz Langenegger eine Art Flucht-und-Schlepper-Krimi vor – Mika, ein sehr prekär arbeitender Marionetten-Clown, kommt frisch aus dem Knast; verurteilt wurde er, weil nach der Schleusung einer flüchtenden Familie 5000 Euro in seinem Wagen gefunden wurden. Nur Freundin Conny hielt zu ihm:
"Solange du mir geglaubt hast, hab‘ ich mir selbst geglaubt. Solange du mir geglaubt hast, war ich glaubwürdig." /
"Ich glaube dir, Mika." /
"Erst als du mich vergessen hast, konnte ich loslassen." /
"Tut mir leid."
"Ich glaube dir, Mika." /
"Erst als du mich vergessen hast, konnte ich loslassen." /
"Tut mir leid."
Die Texte wirken ein wenig konstruiert
Ein wenig angestrengt konstruiert wirken diese aktuellen Texte - vielleicht auch deshalb, weil es ja richtig einfache Positionen derzeit kaum gibt. Außer bei denen, vor deren beschränktem politischen Horizont alles immer nur einfach ist. Aber die Autorin und die Autoren – das ist unübersehbar - wollen von den Fragen erzählen auf der Bühne, die sie selber für ungelöst halten: Fragen nach Schuld und gutem Willen, Feigheit, Mut und Verzweiflung.
Außen vor sind in diesem Heidelberger Jahrgang die sogenannten "Textflächen" geblieben, jene Theater-Phantasien ohne klar erkennbare Rollen, oft auch ohne Punkt und Komma; an theatralische Extrem-Herausforderungen dieser Art erinnerte nur "Beben", das in Heidelberg jetzt von Erich Sidler, Chef am Deutschen Theater in Göttingen, angemessen streng und formal inszenierte Siegerinnen-Stück des Vorjahres, vorgelegt von Maria Milisavljecic.
Gleich zwei Kinder- und Jugend-Stücke waren im Wettbewerb, und gerade eines von ihnen hat die modische Manie zur gepflegten Undurchschaubarkeit im Dialog beschworen ...
"Am Anfang war einmal" /
"Was heißt hier: ein Mal?" /
"Das sagt man so. – Im Anfang war ein Mal ..." /
"... zwei, drei, vier fünf, sechs ..." / "
Hallo? Ich rede! Stopp! Jetzt rede ich, hörst du?"
"Was heißt hier: ein Mal?" /
"Das sagt man so. – Im Anfang war ein Mal ..." /
"... zwei, drei, vier fünf, sechs ..." / "
Hallo? Ich rede! Stopp! Jetzt rede ich, hörst du?"
Dasein und Sterben und mittendrin das Leben
"Anfall" und "Ente" diskutieren hier, so heißt auch das Stück; und tatsächlich geht’s sehr philosophisch um Anfang und Ende, Dasein und Sterben und mittendrin das Leben im "Inzwischen". Das Stück von Sigrid Behrens erlebt Ende der kommenden Woche schon die Uraufführung: in Konstanz.
Starker Stoff für "Kinder ab 8" auch von Nicole Kanter – sie entführt die Kundschaft ins gute alte Schlaraffenland. Oder doch nicht?
"Der Name ist schon fehlerhaft. Weil ihr alle nuschelt und nicht deutlich sprechen könnt. Wollt ihr die wahre Geschichte hören von dem Land, das in Wirklichkeit 'Raffzahnland' hieß?"
Eine ziemlich bittere Gesellschaftsparabel lauert in dieser Fabel mit Hamstern und Ratten, Bibern und sogar einem Eisbär.
Glanzlicht dieser ersten Tage war aber sicher "Eine post-sowjetische Dramolett-Triolgie" vor der ukrainisch-stämmigen Marjana Gaponenko. Was da fast wie bei Tschechow beginnt, also gemütlich, nimmt sehr schnell den Nachwende-Alltag ins Visier:
Nur die Dummheit ist unerschöpflich
"Nichts ist unerschöpflich, liebe Ehefrau, nur die menschliche Dummheit ..." /
"... nicht schon wieder die alte Leier, Großvater!" /
"Ich mein‘ nicht dich, Trottel – ich meine die Spezialisten, die uns das Wasserkraftwerk vor die Nase gebaut haben. Wie konnte man so unbesonnen, so bekloppt, so bescheuert sein und an einen ebenen Fluss so einen Moloch bauen, so eine Zeitbombe."
"... nicht schon wieder die alte Leier, Großvater!" /
"Ich mein‘ nicht dich, Trottel – ich meine die Spezialisten, die uns das Wasserkraftwerk vor die Nase gebaut haben. Wie konnte man so unbesonnen, so bekloppt, so bescheuert sein und an einen ebenen Fluss so einen Moloch bauen, so eine Zeitbombe."
Kitsch, Klischee und auch ein bisschen Trash mischt Gaponenko überaus frech – und sie passt als junge Stimme sehr gut zum Schwerpunkt, den der "Stückemarkt" nächstes Wochenende setzt: mit Gastspielen und auch neuen Texten aus der Ukraine. Damit ist das Heidelberger Traditionstreffen mal wieder mittendrin und vorneweg, zur gleichen Zeit.