"Sturz des Regimes würde Syrien in einen vertieften Bürgerkrieg stürzen"
Das Problem in Syrien sei, "dass sowohl das Regime als auch die Opposition glauben, dass sie diesen Konflikt noch militärisch gewinnen können". Doch nur eine politische Lösung könne wirklich Frieden schaffen, sagt der Politikwissenschaftler Stephan Rosiny.
Jörg Degenhardt: Hat Obama kalte Füße bekommen? Oder hat er eine weise, eine vernünftige Entscheidung getroffen? Einen Militärschlag gegen die Machthaber in Syrien wird es vorerst nicht geben. Zeit ist gewonnen, um weiter eine politische Lösung für die Situation dort zu finden. Zeit auch, um endgültig zu klären, soweit das möglich ist, wer Chemiewaffen gegen Unschuldige eingesetzt hat: die Assad-Regierung oder, wie diese behauptet, die Opposition? Wer gehört überhaupt zu dieser Opposition und wie stellt sie sich ein Syrien nach Assad vor? Darüber will ich sprechen mit Stephan Rosiny. Er ist Politik- und Islamwissenschaftler am German Institute of Global and Area Studies in Hamburg. Guten Morgen, Herr Rosiny!
Stephan Rosiny: Guten Morgen, Herr Degenhardt!
Degenhardt: Zunächst möchte ich von Ihnen wissen: Wem nützt die Zeit, wem nützt die Verschiebung eines möglichen Militärschlags?
Rosiny: Ich würde sagen, dass sie fast allen nützt. Sie nützt auf jeden Fall Obama, der dadurch mehr Legitimität bekommen würde für den Militärschlag, der ja im Moment noch etwas umstritten ist, da die Prüfungen noch nicht abgeschlossen sind, wer jetzt wirklich dahintersteckt, weil er keine demokratische Mehrheit hat im eigenen Land, weil sich Großbritannien zurückgezogen hat und so weiter.
Ich denke auch, dass es der Opposition letztendlich nützt, weil das Regime im Moment massiv unter Druck steht, diplomatisch, und am Pranger steht für den Einsatz von Chemiewaffen. Ich denke, dass es deshalb auch insgesamt Syrien nützt, weil ein Militärschlag meines Erachtens eine Eskalationsdynamik verschärfen wird, die im Moment in Syrien ohnehin schon besteht.
Degenhardt: Wie würden Sie das benennen, was da gegenwärtig in Syrien passiert? Führt die Assad-Regierung einen aus Ihrer Sicht erfolgreichen Feldzug gegen Rebellen? Sind umgekehrt die Aufständischen dabei, das Regime in Damaskus in die Knie zu zwingen? Oder handelt es sich um einen Bürgerkrieg, der sich längst über die Region hinaus zu einem internationalen Konflikt entwickelt hat?
""Der Bürgerkrieg ist aber auch gleichzeitig ein Stellvertreterkrieg""
Rosiny: Ja, wir können auf jeden Fall Letzteres schon feststellen. Von einer anfänglichen Rebellion gegen das Assad-Regime ist es immer mehr zu einem Bürgerkrieg geworden, weil beide Seiten bewaffnete Gewalt einsetzen. Der Bürgerkrieg ist aber auch gleichzeitig ein Stellvertreterkrieg für mehrere ausländische Kräfte, die sich auch dort im Land tummeln und auf unterschiedlicher Seite, auch auf unterschiedlicher Seite der Opposition positionieren ...
Degenhardt: Wen meinen Sie mit ausländischen Kräften?
Rosiny: Nun, es finden dort im Moment mehrere Stellvertreterkriege statt. Es gibt einen regionalen Konflikt, Machtkonflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran, der dort ausgetragen wird. Es gibt einen Machtkonflikt zwischen Saudi-Arabien und Katar, der dort ausgetragen wird. Verschiedene sunnitische Regime versuchen im Moment, regionale Dominanz zu bekommen. Türkei, Saudi-Arabien, Katar, Ägypten unter Mursi – also findet hier auf zahlreichen Ebenen ein Stellvertreterkrieg statt, und in Syrien wird quasi die neue Ordnung des Nahen Ostens nach dem Arabischen Frühling ausgekämpft. Es geht auch zwischen Islamisten und Säkularen, zwischen Sunniten und Schiiten. Und dann natürlich auch die USA und Russland, die beide dort Interessen vertreten.
Degenhardt: Herr Rosiny, Sie sprechen von einem Stellvertreterkrieg. Inwieweit spiegelt sich das auch in der Zusammensetzung der Opposition wieder. Wir sprechen immer von der Opposition, dabei ist das ja alles andere als ein festgefügter Block?
Rosiny: Ja. Es gibt, grob gesagt, fünf Lager in dieser Opposition. Das eine ist die Syrische Koalition, die auch international als die Vertreterin der Opposition gilt, aber daneben haben wir auch eine lokal verwurzelte Opposition, die zivilgesellschaftlich und weitgehend friedlich noch vor Ort operiert. Dann haben wir dschihadistische Gruppen, die gerade den militärischen Kampf sehr stark dominieren und auch große Teile im Nordosten des Landes besetzen. Und dann schließlich haben wir kurdische Milizen, die das kurdische Territorium im Nordosten für sich kontrollieren. Also es gibt verschiedene Gruppen, die auch von verschiedenen externen Akteuren unterstützt werden.
Degenhardt: Und wer hat in diesem vielgestaltigen Lager letztendlich das Sagen?
Rosiny: Das kommt ganz darauf an. Also, es kommt auf die Region an, in verschiedenen Regionen sind natürlich unterschiedliche Kräfte stärker. Und das kommt auch ein bisschen auf das Publikum an. Also, dem Westen gegenüber tritt natürlich vor allen Dingen die Syrische Nationale Koalition auf, und deren Positionen werden am stärksten repräsentiert. Wir hören in den westlichen Medien recht wenig zum Beispiel, was die Dschihadisten für Pläne haben, regionale und internationale. Auch die lokale Opposition ist relativ unterrepräsentiert in westlichen Medien. Das ist natürlich in anderen Foren anders. In der islamischen Welt spielen zum Beispiel diese dschihadistischen Gruppen in der medialen Präsentation eine größere Rolle.
Degenhardt: Die Opposition, wir haben das heute, gerade auch wieder in diesem Programm gehört von dem Korrespondenten aus der Region, die syrische Opposition drängt ja den US-Kongress, einen Militärschlag gegen die Regierung von al-Assad zu billigen. Sie drängt auch auf zusätzliche Waffenlieferungen. Wer macht da vor allem Druck?
Rosiny: Nun, Sie haben den Akteur schon genannt: Das ist eben die Syrische Nationale Koalition, die eigentlich schon seit 2011 – also ihr Vorgänger – dafür plädiert, dass der Westen sich einmischen solle in den Machtkampf zwischen Regime und Opposition, also militärisch einschalten soll. Und davor schreckt der Westen nach wie vor zurück, weil er eben Angst hat, dass die Syrische Nationale Koalition nicht das ganze Land oder die ganze Opposition bestimmen kann und eben die große Gefahr besteht, dass Dschihadisten und andere Gruppen von solcher militärischer Hilfe auch profitieren würden. Also von der Schwächung des Regimes würden natürlich auch Dschihadisten und nicht nur die dem Westen vielleicht genehmere Opposition profitieren.
""Dieser Krieg kann von beiden Seiten nicht mehr gewonnen werden""
Degenhardt: Wo liegt jetzt der Schlüssel, um aus der momentanen politischen Sackgasse herauszukommen, Herr Rosiny? Liegt der im Iran oder liegt der doch vor allem auch in Moskau?
Rosiny: Also ich denke, der Schlüssel, der liegt auf allen Seiten. Ich denke, das große Problem ist, dass sowohl das Regime als auch die Opposition glauben, dass sie diesen Konflikt noch militärisch gewinnen können. Und das ist einfach eine Fehleinschätzung von beiden Seiten. Dieser Krieg kann von beiden Seiten nicht mehr gewonnen werden, sondern eigentlich nur noch verloren werden. Auch ein Sturz des Regimes würde Syrien in einen vertieften Bürgerkrieg stürzen, weil die Opposition so zerstritten ist, weil Reste des Regimes weiterkämpfen werden.
Stellen Sie sich nur vor, dass die Chemiewaffenbestände dann außer Kontrolle gerieten, dass verschiedene Milizen oder Teile des ehemaligen Regimes dieses Waffen kontrollieren und dann natürlich, wenn sie sich in die Enge gedrängt fühlen, diese Chemiewaffen auch wieder einsetzen werden. Also das ist eine sehr komplexe Gemengelage und deshalb, denke ich, kann es nur eine politische Lösung geben.
Und für diese politische Lösung ist eigentlich eine Einigung zwischen den USA und Russland notwendig, und ich denke auch, dass es notwendig ist, den Iran mit einzubeziehen. Weil nur Russland und Iran in der Lage sein werden, das syrische Regime davon zu überzeugen, dass sie die Macht teilen müssen. Ganz abgeben werden sie sie nicht wollen, aber dass sie sie teilen müssen. Und umgekehrt muss aber auch der Westen den Oppositionellen klar machen, dass sie auch keinen absoluten Sieg erringen werden können, dass der Westen also nicht bereit ist, ihren Kampf bedingungslos quasi zu unterstützen.
Degenhardt: Sagt Stephan Rosiny, Politik- und Islamwissenschaftler am German Institute of Global and Area Studies in Hamburg. Herr Rosiny, vielen Dank für das Gespräch!
Rosiny: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Stephan Rosiny: Guten Morgen, Herr Degenhardt!
Degenhardt: Zunächst möchte ich von Ihnen wissen: Wem nützt die Zeit, wem nützt die Verschiebung eines möglichen Militärschlags?
Rosiny: Ich würde sagen, dass sie fast allen nützt. Sie nützt auf jeden Fall Obama, der dadurch mehr Legitimität bekommen würde für den Militärschlag, der ja im Moment noch etwas umstritten ist, da die Prüfungen noch nicht abgeschlossen sind, wer jetzt wirklich dahintersteckt, weil er keine demokratische Mehrheit hat im eigenen Land, weil sich Großbritannien zurückgezogen hat und so weiter.
Ich denke auch, dass es der Opposition letztendlich nützt, weil das Regime im Moment massiv unter Druck steht, diplomatisch, und am Pranger steht für den Einsatz von Chemiewaffen. Ich denke, dass es deshalb auch insgesamt Syrien nützt, weil ein Militärschlag meines Erachtens eine Eskalationsdynamik verschärfen wird, die im Moment in Syrien ohnehin schon besteht.
Degenhardt: Wie würden Sie das benennen, was da gegenwärtig in Syrien passiert? Führt die Assad-Regierung einen aus Ihrer Sicht erfolgreichen Feldzug gegen Rebellen? Sind umgekehrt die Aufständischen dabei, das Regime in Damaskus in die Knie zu zwingen? Oder handelt es sich um einen Bürgerkrieg, der sich längst über die Region hinaus zu einem internationalen Konflikt entwickelt hat?
""Der Bürgerkrieg ist aber auch gleichzeitig ein Stellvertreterkrieg""
Rosiny: Ja, wir können auf jeden Fall Letzteres schon feststellen. Von einer anfänglichen Rebellion gegen das Assad-Regime ist es immer mehr zu einem Bürgerkrieg geworden, weil beide Seiten bewaffnete Gewalt einsetzen. Der Bürgerkrieg ist aber auch gleichzeitig ein Stellvertreterkrieg für mehrere ausländische Kräfte, die sich auch dort im Land tummeln und auf unterschiedlicher Seite, auch auf unterschiedlicher Seite der Opposition positionieren ...
Degenhardt: Wen meinen Sie mit ausländischen Kräften?
Rosiny: Nun, es finden dort im Moment mehrere Stellvertreterkriege statt. Es gibt einen regionalen Konflikt, Machtkonflikt zwischen Saudi-Arabien und Iran, der dort ausgetragen wird. Es gibt einen Machtkonflikt zwischen Saudi-Arabien und Katar, der dort ausgetragen wird. Verschiedene sunnitische Regime versuchen im Moment, regionale Dominanz zu bekommen. Türkei, Saudi-Arabien, Katar, Ägypten unter Mursi – also findet hier auf zahlreichen Ebenen ein Stellvertreterkrieg statt, und in Syrien wird quasi die neue Ordnung des Nahen Ostens nach dem Arabischen Frühling ausgekämpft. Es geht auch zwischen Islamisten und Säkularen, zwischen Sunniten und Schiiten. Und dann natürlich auch die USA und Russland, die beide dort Interessen vertreten.
Degenhardt: Herr Rosiny, Sie sprechen von einem Stellvertreterkrieg. Inwieweit spiegelt sich das auch in der Zusammensetzung der Opposition wieder. Wir sprechen immer von der Opposition, dabei ist das ja alles andere als ein festgefügter Block?
Rosiny: Ja. Es gibt, grob gesagt, fünf Lager in dieser Opposition. Das eine ist die Syrische Koalition, die auch international als die Vertreterin der Opposition gilt, aber daneben haben wir auch eine lokal verwurzelte Opposition, die zivilgesellschaftlich und weitgehend friedlich noch vor Ort operiert. Dann haben wir dschihadistische Gruppen, die gerade den militärischen Kampf sehr stark dominieren und auch große Teile im Nordosten des Landes besetzen. Und dann schließlich haben wir kurdische Milizen, die das kurdische Territorium im Nordosten für sich kontrollieren. Also es gibt verschiedene Gruppen, die auch von verschiedenen externen Akteuren unterstützt werden.
Degenhardt: Und wer hat in diesem vielgestaltigen Lager letztendlich das Sagen?
Rosiny: Das kommt ganz darauf an. Also, es kommt auf die Region an, in verschiedenen Regionen sind natürlich unterschiedliche Kräfte stärker. Und das kommt auch ein bisschen auf das Publikum an. Also, dem Westen gegenüber tritt natürlich vor allen Dingen die Syrische Nationale Koalition auf, und deren Positionen werden am stärksten repräsentiert. Wir hören in den westlichen Medien recht wenig zum Beispiel, was die Dschihadisten für Pläne haben, regionale und internationale. Auch die lokale Opposition ist relativ unterrepräsentiert in westlichen Medien. Das ist natürlich in anderen Foren anders. In der islamischen Welt spielen zum Beispiel diese dschihadistischen Gruppen in der medialen Präsentation eine größere Rolle.
Degenhardt: Die Opposition, wir haben das heute, gerade auch wieder in diesem Programm gehört von dem Korrespondenten aus der Region, die syrische Opposition drängt ja den US-Kongress, einen Militärschlag gegen die Regierung von al-Assad zu billigen. Sie drängt auch auf zusätzliche Waffenlieferungen. Wer macht da vor allem Druck?
Rosiny: Nun, Sie haben den Akteur schon genannt: Das ist eben die Syrische Nationale Koalition, die eigentlich schon seit 2011 – also ihr Vorgänger – dafür plädiert, dass der Westen sich einmischen solle in den Machtkampf zwischen Regime und Opposition, also militärisch einschalten soll. Und davor schreckt der Westen nach wie vor zurück, weil er eben Angst hat, dass die Syrische Nationale Koalition nicht das ganze Land oder die ganze Opposition bestimmen kann und eben die große Gefahr besteht, dass Dschihadisten und andere Gruppen von solcher militärischer Hilfe auch profitieren würden. Also von der Schwächung des Regimes würden natürlich auch Dschihadisten und nicht nur die dem Westen vielleicht genehmere Opposition profitieren.
""Dieser Krieg kann von beiden Seiten nicht mehr gewonnen werden""
Degenhardt: Wo liegt jetzt der Schlüssel, um aus der momentanen politischen Sackgasse herauszukommen, Herr Rosiny? Liegt der im Iran oder liegt der doch vor allem auch in Moskau?
Rosiny: Also ich denke, der Schlüssel, der liegt auf allen Seiten. Ich denke, das große Problem ist, dass sowohl das Regime als auch die Opposition glauben, dass sie diesen Konflikt noch militärisch gewinnen können. Und das ist einfach eine Fehleinschätzung von beiden Seiten. Dieser Krieg kann von beiden Seiten nicht mehr gewonnen werden, sondern eigentlich nur noch verloren werden. Auch ein Sturz des Regimes würde Syrien in einen vertieften Bürgerkrieg stürzen, weil die Opposition so zerstritten ist, weil Reste des Regimes weiterkämpfen werden.
Stellen Sie sich nur vor, dass die Chemiewaffenbestände dann außer Kontrolle gerieten, dass verschiedene Milizen oder Teile des ehemaligen Regimes dieses Waffen kontrollieren und dann natürlich, wenn sie sich in die Enge gedrängt fühlen, diese Chemiewaffen auch wieder einsetzen werden. Also das ist eine sehr komplexe Gemengelage und deshalb, denke ich, kann es nur eine politische Lösung geben.
Und für diese politische Lösung ist eigentlich eine Einigung zwischen den USA und Russland notwendig, und ich denke auch, dass es notwendig ist, den Iran mit einzubeziehen. Weil nur Russland und Iran in der Lage sein werden, das syrische Regime davon zu überzeugen, dass sie die Macht teilen müssen. Ganz abgeben werden sie sie nicht wollen, aber dass sie sie teilen müssen. Und umgekehrt muss aber auch der Westen den Oppositionellen klar machen, dass sie auch keinen absoluten Sieg erringen werden können, dass der Westen also nicht bereit ist, ihren Kampf bedingungslos quasi zu unterstützen.
Degenhardt: Sagt Stephan Rosiny, Politik- und Islamwissenschaftler am German Institute of Global and Area Studies in Hamburg. Herr Rosiny, vielen Dank für das Gespräch!
Rosiny: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.