Stuttgart 21: Grünen-Politiker plädiert für Vermittler

Winfried Kretschmann im Gespräch mit Christopher Ricke |
Im Steit um das Bahnprojekt Stuttgart 21 muss ein hochrangiger Vermittler eingeschaltet werden, findet Winfried Kretschmann. Der Grünen-Landtagsfraktionschef in Baden-Württemberg plädiert zudem für einen zweimonatigen Baustopp, während dessen über das Projekt verhandelt werden soll.
Christopher Ricke: Stuttgart 21, das Milliardenprojekt, der Protest, die harten Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten. Das ist ein Thema für die Parlamente, der Bundestag wird heute darüber diskutieren, der Landtag in Baden-Württemberg hört eine Regierungserklärung des Ministerpräsidenten. Die Polizei hat ihr Vorgehen noch einmal verteidigt, sie hat gesagt, die Demonstranten sind schuld, erst der massive Widerstand der Projektgegner habe dazu geführt, dass man am vergangenen Donnerstag Pfefferspray, Wasserwerfer und Schlagstöcke hat einsetzen müssen. Die Abrissarbeiten am Bahnhof, am Südflügel, werden jetzt erst einmal gestoppt. Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus ist also um Deeskalation bemüht.

Ich spreche jetzt mit dem Grünen-Landtagsfraktionschef in Baden-Württemberg Winfried Kretschmann, die Grünen legen das Projekt Stuttgart 21 in der geplanten Form ab. Guten Morgen, Herr Kretschmann!

Winfried Kretschmann: Guten Morgen!

Ricke: Es ist ja, glaube ich, das zweite oder dritte Mal, dass Ministerpräsident Mappus die Hand zum Dialog ausstreckt, sicher auch heute bei der Regierungserklärung. Nehmen Sie die Hand jetzt endlich an?

Kretschmann: Ja, ich hab ja mit ihm zusammen solch eine Initiative ergriffen. Allerdings waren die Projektbefürworter nicht bereit, den Abrissbagger mal fünf Tage – ich wiederhole: fünf Tage – stehen zu lassen. Das haben die Projektgegner als nicht ernsthaft empfunden, zu reden über etwas und gleichzeitig geht alles weiter wie gehabt. Und daran sind die Gespräche gescheitert, obwohl wir beide versucht haben, dass sie eben ohne Vorbedingung stattfinden.

Ricke: Das heißt, wenn jetzt mit dem Abriss erst einmal Pause gemacht wird, wenn die nächsten Bäume planmäßig erst im nächsten Frühjahr fallen, dann kann man jetzt miteinander reden?

Kretschmann: Ja, ich hoffe das. Es wird allerdings, glaube ich, ohne einen hochrangigen Vermittler nicht mehr gehen, denn es ist zwischendurch zu viel passiert, zum Beispiel dieser massive Polizeieinsatz. Und es ist jetzt noch schwieriger geworden wie zu dem Zeitpunkt, als der Ministerpräsident und ich den Versuch unternommen haben.

Ricke: Na ja aber die Schuld bei diesen Auseinandersetzungen in der vergangenen Woche, die liegen, wenn man sich die Polizeivideos und die Polizeimeldungen ansieht, doch eindeutig bei den Demonstranten: Da gibt es Bilder, wie Jugendliche einen Lastwagen besetzen, da gibt es Rangeleien zwischen Demonstranten und Polizisten, da gibt es Feuerwerkskörper, da wird ja sogar mit Kastanien geworfen!

Kretschmann: Also, jetzt gibt es nun seit Monaten zweimal in der Woche einen absolut friedlichen Protest, und die ganz überwiegende Anzahl aller Protestteilnehmer ist absolut friedlich. Ich war ja nun selber auf dem Platz über eine Stunde, die Demonstranten waren empört über die Aktion, aber sie waren in der großen Masse absolut friedlich. Dass da einzelne Übergriffe vorkommen, ändert an dieser Tatsache überhaupt nichts, und dass überhaupt am Tag einer angemeldeten Schülerdemonstration diese Aktion gestartet wurde, ist an sich schon völlig unverantwortlich, und dafür gibt es überhaupt keinen Grund.

Ricke: Jetzt könnte man die Politik ja von der Straße mal wieder in die Parlamente oder auch in die Wahlurnen zurückbringen. Warten wir doch die Landtagswahl am 27. März ab, vielleicht sind Sie ja dann in der Regierung und dann könnte man ja aus dem Projekt aussteigen?

Kretschmann: Wir sind eben nicht der Ansicht, dass man die Wahl zu einem Plebiszit machen soll. Das hat die Bundeskanzlerin ins Gespräch gebracht. Wir sind der Ansicht, dass die Bürgerschaft auch die Möglichkeit haben muss, zu Einzelprojekten Stellung zu nehmen zum Beispiel durch die Möglichkeit von Volksentscheiden und Volksbefragung. Das ist unser Weg, erst mal hier ins Gespräch zu kommen.

Die Befürworter des Projekts müssen endlich mal die Karten auf den Tisch legen: Was sind die realistischen Kosten? Sie mussten sie ja selber drastisch nach oben korrigieren. Ja wer kann dann noch denen vertrauen und ihren Zahlen, die sie selber korrigieren müssen? Also das ist längstens angesagt.

Natürlich sind die Beschlüsse gefasst worden in Parlamenten und Gremien, aber bitte unter welchen Voraussetzungen? Das ist die entscheidende Frage! Die waren nicht sorgfältig, da hat sich sehr vieles geändert, und darum muss das alles auf den Tisch.

Ricke: Aber wenn Sie jetzt nach einem Volksentscheid rufen, dann rufen Sie doch nach etwas, was nicht geht. Das haben uns doch die Gutachter schon erklärt.

Kretschmann: Selbstverständlich geht das. Wir können es nur nicht machen, weil die Hürden so hoch sind. Vielleicht geht dieses Verfahren nicht, das da die SPD vorgeschlagen hat, aber ein freier Volksentscheid, der geht selbstverständlich, da bin ich ganz sicher. Aber den können wir bei diesen hohen Hürden gar nicht riskieren, die verhindern das im Prinzip.

Es geht doch jetzt erst mal darum, dass man wirklich mal ein Moratorium macht, das heißt einen vorläufigen Bau- und Vergabestopp, dann sich noch mal zwei Monate an den Tisch setzt, alle wichtigen Fragen noch mal unter Anleitung eines Vermittlers offen durchspricht, und dann sieht man weiter, was mit dem Projekt geschehen soll und was nicht.

Ricke: Wer ist denn dieser Vermittler, auf den sowohl die Gegner als auch die Befürworter, sowohl die Schwarzen als auch die Grünen, auf die sowohl Mappus als auch Kretschmann hören würden?

Kretschmann: Na gut, den muss man natürlich erst mal suchen, und wenn man ihn öffentlich nennt, bekommt man ihn nicht. Da bitte ich schon um Verständnis.

Ricke: Der Grünen-Landtagsfraktionschef in Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, vielen Dank, Herr Kretschmann!

Kretschmann: Ja, ich danke auch!