Stuttgart 21 und die Kosten

"Der Aufsichtsrat hat seine Chance verspielt"

Stuttgart 21: Blick von oben auf die Grossbaustelle im Gleisfeld des Hauptbahnhofes.
Stuttgart 21 wird noch lange eine - teure - Großbaustelle bleiben: Blick von oben aufs Gleisfeld des Hauptbahnhofes. © picture alliance / dpa / Benjamin Beyteki
Winfried Hermann im Gespräch mit Nana Brink |
Stuttgart 21 wird immer teurer und ist schon weit über dem Zeitrahmen. Der Aufsichtsrat und die Bahn hätten ihre Pflicht vernachlässigt, kritisiert Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann und fordert nun von Bund und Bahn, die fehlenden Milliarden zu finanzieren.
Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) war ein früher Kritiker der Bahnhof-Projekts Stuttgart 21. Er fühlt sich allerdings an den Volksentscheid von 2011 gebunden und schließt deshalb auch einen Ausstieg aus dem Projekt aus, wie er immer wieder betont.
Der gravierende Kostenanstieg bereitet dem Politiker indes Sorgen: Er sehe nun Bund und Deutsche Bahn in der Pflicht, für die steigenden Kosten einzuspringen.
Das Land Baden-Württemberg habe - noch zu Zeiten eines CDU-Ministerpräsidenten - zugesagt, 930 Millionen Euro zu übernehmen, mehr nicht. Weitere rund 700 Millionen kämen aus Landeseinrichtungen wie dem Flughafen Stuttgart, von der Stadt Stuttgart und dem Verband Region Stuttgart.

Ehrenwert, aber verantwortungslos

Den Abgang des für Stuttgart 21 zuständigen Bahn-Vizes Volker Kefer, offenbar als Konsequenz auf das Planungsdesaster, nennt Winfried Hermann zwar "ehrenwert", kritisiert jedoch das Davonstehlen aus der Verantwortung:
"Er hat die Verantwortung einfach abgegeben, nach dem Motto: 'Dann macht's halt mal ohne mich.' Und das ist ja nicht so einfach: Ein so hyperkomplexes Projekt zu steuern. Das war ja auch der Hauptangriffspunkt der Gegner, die gesagt haben: 'Das kriegt man nicht in den Griff. Das wird immer wieder aus dem Ruder laufen.'"

Der Bund hat Druck gemacht

in diesem Zusammenhang kritisiert Hermann auch den Aufsichtsrat von Stuttgart 21:
"Er hat ja vor drei Jahren, als die Chance bestand, zu sagen, jetzt ist es zu teuer, es rechnet sich nicht mehr, diese Chance verspielt und ist nicht ausgestiegen."
Andererseits habe auch der Bund durch die Bundeskanzlerin Druck gemacht, dass das Projekt realisiert werden müsse, mit dem Argument, es sei im Interesse der Bundesrepublik Deutschland:
"Im Ansehen der Welt würden wir verlieren, wenn wir bei BER, Stuttgart 21 und Elbphilharmonie scheitern. 'Macht es!' - und nochmals hat man zwei Milliarden dazu gegeben, aber nicht finanziert. Und jetzt müssen der Bund und die Bahn diese Zwei-Milliarden-Lücke finanzieren. Das Land und die Partner können das nicht."

Der Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Seit über 20 Jahren wird das Großprojekt Stuttgart 21 ja geplant. Von welchen Querelen und gesellschaftlichen Zerreißproben es begleitet worden ist, das haben wir wohl alle noch vor Augen, auch nach dem Volksentscheid von 2011. Immer wieder kommt es zu Baustopps und Terminverschiebungen. Die geplante Eröffnung sollte ja 2021 sein, doch davon geht selbst die Bauherrin, also die deutsche Bahn nicht mehr aus. Und wie viel Geld das Ganze kostet, das ist noch mal eine ganz andere Frage.
Gestern kündigte der zuständige Vorstand bei der Bahn, Volker Kefer, schon an, seinen Posten deshalb zu räumen. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann von den Grünen war ein früher Kritiker des Projekts Stuttgart 21. Er fühlt sich allerdings jetzt an den Volksentscheid gebunden, der ja den Verbleib der Landesregierung bei der Finanzierung sieht. Ich grüße Sie, schönen guten Morgen!
Winfried Hermann: Guten Morgen!
Brink: 2021 als Eröffnungstermin ist ja nicht mehr zu halten. Das kommt einem alles unglaublich bekannt vor. Droht Stuttgart 21 jetzt das gleiche Schicksal wie dem Flughafen in Berlin?
Hermann: Stuttgart 21 sollte ja eigentlich schon im Jahr 2008 fertig sein, also beide Projekte haben gewisse Ähnlichkeit und sind doch sehr unterschiedlich.
Brink: Was hören Sie von der Bahn?
Hermann: Wir wissen schon lange, dass man auch seitens der Bahn an diesen Termin nicht so fest geglaubt hat. Denn Verträge, die wir über den Betrieb von Netzen gemacht haben, da haben schon Bahn-Töchter auch andere Termine kalkuliert.

Land und Stadt haben über 1,5 Milliarden Euro dazu gegeben

Brink: Nun wird sich Baden-Württemberg ja an den zusätzlichen Kosten beteiligen. Das ist ja die große Frage. Oder bleibt es bei der ursprünglich geplanten Summe? Es ist immer wieder davon die Rede, dass die Kosten ja explodieren. Nicht mehr fast sieben, sondern nun vielleicht bald zehn Milliarden Euro kosten soll.
Hermann: Zunächst müssen wir ganz klar sagen, das Land Baden-Württemberg hat in einer Finanzierungsvereinbarung vor Jahren noch unter einer CDU-geführten Regierung zugesagt, dass man bis zu 930 Millionen übernimmt. Der Flughafen Stuttgart, im Eigentum der Stadt und des Landes, gibt 360 Millionen, die Stadt Stuttgart 300 Millionen und der Verband Region Stuttgart 100 Millionen, also weit über anderthalb Milliarden, und das alles freiwillig. Alle Beteiligten haben allerdings gesagt, als es vor drei Jahren diese große Kostensteigerung um etwa anderthalb Milliarden gab, haben alle gesagt, jetzt ist Schluss, wir geben nicht mehr.
Und der Volksentscheid, den Sie zitiert haben, der hat der Bevölkerung gesagt, mit 4,5 Milliarden ist alles abgedeckt, und das Land zahlt maximal 930 Millionen. Und wenn Ihr wollt, dass das Land aussteigt, müsst ihr das jetzt sagen. Es gab dafür keine Mehrheit, deswegen hat eine Regierung auch keine Legitimation für einen Rückzug aus dem Projekt. Aber immer war klar, mehr als 930 Millionen zahlen wir nicht. Und das hat sich immer bezogen auf die Summe von 4,5 Milliarden. Seit einigen Tagen gehen wir aber von 6,5 Milliarden Kosten aus.
Brink: Oder sogar vielleicht von 9,8. Die Zahl ist ja auch kursiert.
Hermann: Ja, das sagen Experten von außen. Und natürlich sind die 6,5 Milliarden nicht in Stein gemeißelt. Und die Projektgeschichte ist ja eine endlose Geschichte von Unterschätzung der Risiken und der Kosten. Und man hat mit 2,5 Milliarden begonnen. Heute sind wir bei zugegeben 6,54 Milliarden, und die Gefahr ist groß, dass es weitergeht. Und gleichzeitig muss ich als Kritiker, der immer davor gewarnt hat, jetzt alles tun, dass die Kosten nicht völlig aus dem Ruder laufen, sofern ich das von außen kann.
Brink: Ich wollte gerade sagen, wie wollen Sie das denn machen? Sie sind ja gar nicht Herr des Verfahrens.

Eine endlose Geschichte von Unterschätzungen

Hermann: Richtig. Wir sind nicht Bauherr, das müssen wir auch deutlich betonen. Bauherr ist die Deutsche Bahn. Wir geben freiwillig etwas dazu, und wir wollen freiwillig nicht mehr geben. Und wir können nur das Projekt kontrollieren im Sinne von: Wir fragen nach, wir fragen nach Risiken nach, wir fragen nach Kostenentwicklungen nach. Und das Ärgerliche war ja immer wieder, dass wir, obwohl wir nachgefragt haben über all die Jahre, immer eher beruhigende Informationen bekommen haben, schöne Charts der Deutschen Bahn, auch Herr Kefer, der wirklich professionell das Projekt und vieles auch professionell gemanagt hat, aber er hat auch professionell informiert und desinformiert, und darüber waren viele verärgert im Aufsichtsrat, die im Lenkungskreis und in der Politik, weil man immer – vor der Wahl war alles in Butter, und nach der Wahl, nach dem Volksentscheid sind immer neue Hiobsbotschaften bekannt geworden.
Brink: Wir haben von der Deutschen Bahn ja gestern angesichts der Aufsichtsratssitzung nicht viel Neues gehört. Wir haben nur so viel gehört, dass erst im September dann eine Zahl genannt wird. Vielleicht ist es jetzt auch nicht richtig, dass wir uns über Zahlen, über konkrete Zahlen irgendwie unterhalten. Aber was machen Sie denn jetzt? Was können Sie denn überhaupt tun, um da Klarheit reinzukriegen?
Hermann: Zunächst mal haben wir ja in etwa zehn Tagen einen sogenannten Lenkungskreis. Da werden wir noch mal genau nachfragen und auch kritisch nachfragen, wie es sein kann, dass wir erst vor Kurzem noch Informationen bekommen haben – alles ist im Lot, und es gibt kaum Verzögerungen, es gibt keine Kostenrisiken und so weiter –, wie jetzt plötzlich Risiken entdeckt werden, von denen immer auch Kritiker geredet haben und wovor man gewarnt hat, wie kann das sein, dass das jetzt plötzlich da ist. Wir werden auch nach der Verantwortung fragen, wer jetzt die Verantwortung übernehmen soll.
Denn Herr Kefer hat auf der einen Seite – das ist ja ehrenwert – Verantwortung für Kostensteigerungen und Verzögerungen, Intransparenz bei der Information übernommen, so deute ich seinen Rückzug. Er hat aber andererseits die Verantwortung einfach abgegeben nach dem Motto, dann macht es halt mal ohne mich. Und das ist ja nicht so einfach, ein so hyperkomplexes Projekt zu steuern. Das war ja eigentlich auch der Hauptangriffspunkt der Gegner, dass man gesagt hat, das kriegt man nicht in den Griff, das wird immer wieder aus dem Ruder laufen.

Verantwortung wahr nehmen

Und was noch ganz wichtig ist: Wir drängen natürlich auch darauf, dass der Aufsichtsrat seine Verantwortung wahrnimmt. Er hat ja vor drei Jahren, als die Chance bestand, zu sagen, jetzt ist es zu teuer, es rechnet sich nicht mehr, hat die Chance verspielt und ist nicht ausgestiegen. Und der Bund hat seinerseits durch die Kanzlerin, durch den Finanzminister Druck gemacht, dieses Projekt muss realisiert werden im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Im Ansehen der Welt würden wir verlieren, wenn wir mit BER und Stuttgart 21 und Elbphilharmonie, bei Großprojekten scheitern. Also macht es. Und nochmals hat man zwei Milliarden zugegeben, aber nicht finanziert. Und jetzt muss der Bund und die Bahn diese Zwei-Milliarden-Lücke finanzieren. Das Land und die Partner können das nicht.
Brink: Das ist die Meinung von Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann. Vielen Dank, Herr Hermann, für das Gespräch!
Hermann: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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