Stuttgart - eine Einwanderungsstadt?
Da setzt sich also eine Landeshauptstadt im Süden über einen langjährigen Streit, ob Deutschland ein Einwanderungsland oder nur ein Zuwanderungsland ist, einfach hinweg und beschließt, eine "Internationale Stadt" zu sein.
Die Voraussetzungen und sogar die Bürger seien schon alle da, den Titel einer Einwanderungsstadt zu tragen. Sagt der Oberbürgermeister von Stuttgart und handelt auch danach.
Andine Klänge auf der Königsstraße im Stuttgarter Zentrum. Musiker aus dem südamerikanischen Hochland spielen auf - Zugereiste aus der Ferne wie so viele andere Bürger in der Landeshauptstadt.
Pizzabäcker aus Italien, Studenten aus China, Krankenschwestern aus Eritrea. Stuttgart hat nach Frankfurt den zweithöchsten Ausländeranteil der Republik, zählt Menschen aus 170 Nationen. Jeder dritte Einwohner stammt aus einer Migrantenfamilie. Die meisten fühlen sich hier wohl:
Umfrage:
Mann: "Ich fühle mich in Stuttgart sehr wohl. Ich finde die Menschen sehr offen und herzlich - es gibt sehr viel Abwechslung auf den Straßen, verschiedene Gesichter, verschiedene Menschen, das finde ich sehr schön persönlich."
Mann: "Man kann auch spät abends heimgehen, ohne Angst zu haben. Das ist sicher."
Frau: "Also ich habe Freunde von allen Nationalitäten. Man lernt auch von jedem was, so Sprachkultur und Essen."
Mann: "Man muss halt mit den Leuten umzugehen wissen, was ab und zu schon schwieriger ist, wenn man eine andere Hautfarbe hat, wie es bei mir ist, aber - ich begegne jeder Front mit meiner freundlichen Art und dann habe ich keine Probleme damit."
Keine "Insel der Glückseligkeit" also, aber gemessen an anderen Großstädten im Land schneidet Stuttgart in den Statistiken recht gut ab - die Rahmenbedingungen sind günstig: Die Wirtschaft floriert, Stuttgart gilt als exportstärkste Region in Deutschland, nur sechs Prozent der Bürger finden keine Arbeit. Mit 850 Euro ist die Pro-Kopf-Verschuldung äußerst gering, außerdem wird kaum ein anderer Großstädter hierzulande so selten Opfer einer Straftat wie in der schwäbischen Metropole. Vergleicht man hingegen Schulabschlüsse, Berufsausbildungen und Arbeitsplätze, geht es dem statistischen Einwanderer schlechter als den Schwaben - aber besser als anderswo. Zufall? Keineswegs argumentiert Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, der die Integrationspolitik in seiner Stadt schon vor Jahren zur Chefsache erklärt hat.
"…, weil Integration für eine Stadt, die immer internationaler wird, eine ganz, ganz wesentliche Aufgabe ist. Wenn Integration gelingt, gelingt ja sehr viel mehr als 'nur' -in Anführungszeichen- das friedliche Miteinander! Das heißt, dass in Stuttgart dann über ein Drittel der Bevölkerung bessere Lebenschancen hat, eine bessere Lebensqualität bekommt. Und deshalb kann Integration nur gelingen, wenn man sie als ganzheitliche Aufgabe versteht in vielen Bereichen. Das ist nicht nur eine Aufgabe fürs Sozialamt, fürs Jugendamt oder für die Schulen. Sondern es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Und deshalb habe ich die Aufgabe dann in meinen Bereich direkt genommen, in die direkte Verantwortung. Und ich glaube, das hat sich auch sehr bewährt!"
Jeder Bürger ist Stuttgarter, jeder soll in der Stadt seine Chance erhalten, lautet die Maxime. Dafür ziehen alle an einem Strang: die städtischen Ämter, Vereine, Bildungs- und Kultureinrichtungen, die gesamte Bürgerschaft einschließlich der Migranten. Das ist die Grundidee - nach diesem Konzept funktioniert das Stuttgarter "Bündnis für Integration". Und so entstehen überall in der Stadt die unterschiedlichsten Initiativen, Projekte und Kooperationen – quer durch alle Bereiche, für Groß und Klein!
Eine Kindertagesstätte im Stuttgarter Norden, dem Hallschlag. Ein Viertel mit viel sozialem Wohnungsbau, einer hohen Migrantendichte. Die Namen und Sprachen der Kinder in der Einrichtung – international:
"Ich heiße Aischege, ich bin sechs Jahre alt und kann ein bisschen Englisch, kann Türkisch und noch Deutsch."
"Ich heiße Serida, ich kann Deutsch sprechen, Arabisch und ein bisschen Griechisch."
"Ich heiße Milani, ich kann Sri Lankisch und Englisch."
In der sogenannten "Einstein-Kita" hat sich in den letzten Jahren viel getan: das Personal wurde aufgestockt, Projekte initiiert, die die ganzheitliche Sprachentwicklung der Kinder gezielt gefördert. Ein Projekt unter vielen: der "Sprechtreff":
Erzieherin: "Wir haben unter unserem Tuch lauter Sachen versteckt. Und ihr dürft dann mal der Reihe nach darunter fassen und gucken was ihr da findet. Und dann, wenn ihr das wisst, das dann in der Kiste richtig einordnen. Okay? Aischege magst du mal anfangen? Komm!"
Kind: "Eine Lampe!"
Erzieherin: "Aber das ist eine besondere Lampe, oder?"
Kind: "Eine Taschenlampe …"
Erzieherin: "Genau, eine Taschenlampe. Weist du mit welchem Buchstaben die anfängt?"
Kind: "Mit T!"
Erzieherin "Die meisten kommen hierher, sprechen wenig bis gar kein Deutsch. Im Alltag bekommen sie sehr viel mit, lernen sehr schnell. Aber es ist noch wichtig, auch in Kleingruppen so was zu machen, weil wir die Kinder dadurch intensiver fördern können."
"Was machen Sie innerhalb des Sprechtreffs?"
"Wir gucken, dass wir mit den Kindern spielerisch Sprache erlernen. Das heißt in Reimen, Gedichten, Geschichten, wir machen viel mit Bewegung und auch Musik."
… berichtet Erzieherin Katrin Hübner. Kinder, die von Anbeginn an in die Einrichtung kämen, würden so gut auf die Schule vorbereitet, heißt es im Leitungsteam. Ein wichtiger und ganz entscheidender Schritt für die Zukunft. In zweifacher Hinsicht: zum einen, weil inzwischen jedes zweite Kind in Stuttgart aus einer Migrantenfamilie stammt - eine gute sprachliche Ausbildung ist deshalb oberstes Gebot. Andererseits ist der qualitativ hohe Bildungsansatz in der Kita ein Signal der Stadt an deutsche Eltern. Ein Standortvorteil, um Bürger der Mittelschicht im Viertel zu halten, erklärt Gari Pavkovic von der Stadtverwaltung:
"Familien entscheiden sich für einen Wohnort, auch wenn sie gute Bildungsangebote vor Ort haben. Das heißt, dass die Kindergärten, die Schulen in den Quartieren mit die besten sind. Deswegen auch eine Einstein-Kita auf dem Hallschlag! Damit die Familien sehen: in dieser Einrichtung hier hat mein Kind gute Bildungschancen."
Die Kommune will im Hallschlag vor allem eins: das soziale Abgleiten des Viertels verhindern. Deshalb investiert sie auch in anderen Bereichen: hat das kulturelle Angebot erweitert, Spielplätze angelegt, Wohnungen saniert. Überhaupt ist die Wohnungspolitik ein wichtiges Steuerungselement, um eine sogenannte "Segregation" zu vermeiden, wie es Fachleute nennen - die Bildung von Ghettos, in denen sich bestimmte ethnische Gruppierung überproportional konzentrieren. Statt kommunale Immobilien durch Verkäufe zu versilbern, hält die Landeshauptstadt bewusst an ihren Wohnungen fest. Über eine Quote in den Belegungsrichtlinien, lässt sich so eine bessere Durchmischung der Bevölkerung erreichen. Denn nur acht Prozent der Wohnungen werden an Drittstaatler vermietet, maximal 20 Prozent an EU-Bürger. Auch bei Privatisierungen schaut man sehr genau hin - Wolfgang Schuster:
"Wir haben nämlich festgestellt, nicht nur bei den Schwaben, sondern bei vielen Nationen – nicht zuletzt bei den türkischen Mitbürgern- dass sie sich schwäbischer als jeder schwäbische Hausbesitzer verhalten, wenn sie ihre Wohnung kaufen können! Das heißt, das ist ein Stück dann auch der sozialen Stabilität und der sozialen Aufwertung. Aber dabei ist ganz wichtig, dass eben nicht ganze Wohnblocks dann zum Beispiel türkisch werden, sondern dass man sehr bewusst vorher schon eine Mischung - eine ethnische Mischung, eine soziale Mischung- erreicht. Und das können Sie halt nur, wenn Sie direkt Einfluss nehmen können! Deshalb ist es für uns ganz wichtig, dass wir unsere städtische Wohnungsgesellschaft behalten, egal wie viel Geld wir dafür erlösen könnten. Wir werden uns an der Spekulation nicht beteiligen!"
Rückblick: 2001 bringt der Stuttgarter Gemeinderat das "Bündnis für Integration" auf den Weg. Mit Ausnahme der Republikaner votieren die Fraktionen einstimmig für das Konzept. Der Beschluss hat vor allem direkte Auswirkungen auf die Stadtverwaltung: in vielen Bereichen wird sie umgebaut. Als neuralgischen Punkt, von dem aus künftig sämtliche Aktivitäten zu steuern sind, bestimmt das Stadtparlament die "Stabsstelle für Integration". Sie ist direkt dem Oberbürgermeister unterstellt und nicht – wie in anderen Städten üblich- beim Sozialamt angesiedelt. Fünf Mitarbeiter kümmern sich hier um wichtige Belange der Integration, übernehmen vor allem die Koordination und Netzwerkbildung. Gari Pavkovic, Integrationsbeauftragter und Leiter der Stabsstelle:
"Wir haben Kooperationsnetzwerke nach Themen! Also im Bereich der Sprachförderung im Erwachsenenbereich sind es die Sprachkurs-Träger, die Beratungsdienste, Jobcenter, Ausländerbehörde. Im Bereich der Kulturarbeit sind es die verschiedenen Kulturinstitutionen, Ämternetzwerke. Es geht auch immer um ressource-übergreifendes Arbeiten. Also wenn es darum geht, Stadtteile aufzuwerten, für eine gemischte Bevölkerungsstruktur, dann müssen die Stadtplaner, die Bildungsexperten, die Sozialpolitiker und die Bürger gemeinsam Programme entwickeln, die Hand in Hand gehen. Also es reicht nicht nur 'Mama lernt Deutsch-Kurse' zu machen und klassische kompensatorische Maßnahmen für Menschen mit schlechten Deutschkenntnissen, sondern es muss in Verbindung gebracht werden mit anderen Faktoren, damit Stadtgebiete oder die Stadt als ganzes attraktiv werden."
Wichtige Voraussetzung: die Verwaltung braucht einen guten Kontakt zur Basis, zu den Bürgern, also auch zu den sehr heterogenen Gruppierungen der Migranten. Hier setzt Stuttgart -erstens- auf eine neue Personalpolitik. Gut ausgebildete Zuwanderer werden systematisch in die eigenen Reihen geholt, übernehmen verstärkt kommunale Aufgaben. Mit Erfolg: inzwischen stammen 8 Prozent der Verwaltungsangestellten aus Zuwandererfamilien, fungieren als sogenannte "Brückenbauer". Zweitens: Neben der Stabsstelle als Verwaltungsorgan, wurde der "Internationale Ausschuss" als kommunales Gremium gegründet. In ihm arbeiten Stadträte gemeinsam mit sachverständigen Bürgern aus Bereichen wie Schulen, Sport, Sicherheit, Gesundheit und interreligiösem Dialog. Seine meist selbst aus Migrantenfamilien stammenden Mitglieder haben beratende Funktion, unterstützen Parlament und Verwaltung bei wichtigen Entscheidungen. Oder bringen selbst Themen ein, die ihnen relevant erscheinen. Der Austausch funktioniere gut, sagt Ausschussmitglied Muammer Akin:
"Es ist nicht so, dass der Gemeinderat an einem Strang zieht und wir Mitglieder des Ausschusses am anderen Strang. Sondern oftmals verstehen wir uns mit einzelnen Fraktionen besser als die untereinander. Insoweit ist das ein gutes Signal für uns, dass inzwischen die Stadtveraltung alle Themen, die migrationsrelevant sind, in den Ausschuss einbringen muss. Das ist so eine Selbstverpflichtung, damit das nicht an uns vorbeigeht! Das sind, denke ich, ganz gute Ansätze."
Der türkischstämmige Akademiker hält die politische Partizipation von Zuwandererfamilien für äußerst wichtig. Vielleicht - weil er das erreicht hat, was unter den vielen Migranten auch in Stuttgart immer noch eine Ausnahme bildet: der 37-Jährige arbeitet in einer Leitungsposition. Als ehemaliger Hauptschüler holte Muammer Akin über den zweiten Bildungsweg sein Abitur nach, studierte und ist heute Rektor einer staatlich anerkannten Privatschule. Mit vielen Jugendlichen aus Zuwandererfamilien, die den mittleren oder höheren Schulabschluss anstreben. Eine Aufgabe, die eng verknüpft ist mit seiner Biografie, aber auch mit der Arbeit im "Internationalen Ausschuss", über die Muammer Akin sagt:
"Die Arbeit macht mir Spaß. Die Arbeit bringt uns auch Ideen, selbst aktiv zu werden. Nicht nur alles von der Stadt oder dem Staat zu verlangen, sondern zu sagen, einen Teil für die Integration muss hier jeder leisten. Und da versuchen wir Verbündete zu finden, beziehungsweise dafür zu werben."
Aussiedler, Flüchtlinge, Hochqualifizierte aus Drittstaaten, Analphabeten – die Integration von Zuwanderern ist ein oft mühsamer und langer Weg, der trotz allen Engagements viel Ausdauer braucht und so manchen Rückschlag bedeutet. Besonders spürbar wird das an Brennpunkt-Schulen, für die die Stabsstelle in Stuttgart ein ganz besonderes Paket geschnürt hat mit unter anderem dem Projekt "Startklar":
Joachim Schneider: "Also – da machen wir dann weiter. Weil morgen ist ja Englisch! Ihr habt ja bestimmt irgendwelche Hausaufgaben, die wir dann durchnehmen können. Ja, dann legen wir einfach mal los …"
15.30 Uhr . Hausaufgabenbetreuung in der Friedensschule. Eine Hauptschule, in der zwei von drei Schülern ausländische Wurzeln haben, so wie diese beiden Jugendlichen aus Sri Lanka:
Junge: "When did they came to Berlin?”"
Mann: ""Richtig! Ganz genau. Machen wir noch einen nächsten: Sam´s got hundreds of CD´s"
Mädchen: "”How many CD´s has Sam got?”"
Autorin: "Können eure Eltern zuhause nicht helfen, wenn es um Hausaufgaben geht, um Vorbereitung auf Prüfungen?"
Mädchen: "Ja, aber hier ist besser, weil ruhig, ganz ruhig und gut geht."
Junge: "Nein, die sind nicht lang in Deutschland, deshalb die können nicht so gut."
Mühsam ist das Sprechen, schwer fällt das Lernen. Nur in ganz kleinen Schritten gehe es vorwärts, berichtet ihr Betreuer, Joachim Schneider. Keine Lehrkraft, sondern ein pensionierter Diplom-Ingenieur. Als die Stadt vor drei Jahren Seniorpartner für die Arbeit an Schulen suchte, meldete sich der 64-Jährige freiwillig:
"Ich habe angefangen mit einem Nachmittag. Größenordnung 13 bis 18 Uhr. Dann wurde es 10 bis 18 Uhr. Und seit Jahresanfang bin ich jeden Tag hier an der Schule zwischen 9 bis 18 Uhr."
Das heißt, eigentlich kann man Sie gar nicht mehr missen!"
"Ja, wenn man so will, bin ich zusätzlich ein Lehrer geworden."
Ein Hilfslehrer, der unentgeltlich arbeitet. Er betreue ausschließlich Schüler, die mit der deutschen Sprache hadern, berichtet der 64-Jährige sichtlich gerührt:
"Weil die Kinder mir am Herzen liegen und sie es alleine nicht schaffen. Das ist eigentlich der Beweggrund."
Die Arbeit gibt ihm das Gefühl etwas Sinnvolles zu tun, etwas, das Freude bereitet - vor allem wenn Fortschritte sichtbar werden. Ganz ähnlich denken auch die anderen an der Schule beschäftigten Seniorpartner. Als Mentoren helfen sie Jugendlichen vor allem beim Sprung ins Berufsleben, gehen mit ihnen auf Praktikums- und Stellensuche, formulieren Lebensläufe, halten Kontakt zu Firmen.
Mann: "Eines der Ziele, das ich sehe, ist eigentlich, die Schüler zu unterstützen, in der Selbsthilfe. Sie soweit zu bringen, das sie uns nicht mehr brauchen. Das wäre das oberste Ziel, das ich eigentlich sehe."
"Der Schüler hat schwimmen gelernt!"
"Ja genau, wir helfen ihm aufs Pferd, aber reiten muss der Schüler selbst."
... urteilt Wolfgang Stroh, emeritierter Professor einer Fachhochschule. Die Schüler nehmen die Hilfe der Seniorpartner übrigens sehr gern in Anspruch:
Mädchen: "Die wissen mehr über die Berufswelt."
Junge: "Die haben ja auch eine Ausbildung gemacht und haben sich dafür auch bemüht. Und die haben eine Vorstellung, wie die uns helfen können."
Mädchen: "Es macht mehr Spaß, mit denen zu arbeiten."
Ansichten, die Rainer Megler, stellvertretende Schulleiter, unbedingt teilt:
"Also wir sind sehr froh, dass wir die Seniorpartner haben. Wenn jetzt jemand von außen kommt, der sehr viel Lebens- und Berufserfahrung hat, dann hören unter Umständen die Schüler einfach anders zu. Und dadurch, dass die Seniorpartner auch einen Bezug zur Familie haben, ist das für uns eine sehr große Unterstützung. Das sind Dinge, die Lehrer eigentlich gar nicht leisten können."
In Zahlen messbar seien die Erfolge aber noch nicht, sagt Reiner Megler. Auch in diesem Schuljahr hätten nur je drei bis vier Jugendliche in den Abschlussklassen eine Lehrstelle gefunden. Durchaus positiv bewertet der stellvertretende Rektor aber die steigende Bereitschaft der Schüler, sich weiterzubilden. Immerhin 25 Prozent versuchten heute die mittlere Reife zu schaffen. Positive Ansätze, die aber noch lange nicht ausreichten, urteilt der Integrationsbeauftragte Gari Pavkovic und verweist auf die Statistiken:
"Wir haben immer noch neun Prozent Hauptschulabgänger ohne Abschluss unter den Migrantenjugendlichen. In der beruflichen Ausbildung haben wir zu viele Abbrüche und in der Jugendlichenarbeitslosigkeit sind Migranten doppelt so viel vertreten wie Deutsche. Nicht nur irgendwelche Seiteneinsteiger, die seit ein oder zwei Jahren in Deutschland sind- sondern Kinder und Jugendliche, die hier in Stuttgart geboren sind."
Die Schere zwischen beruflichen Anforderungen und der Schulausbildung von Migranten klafft also immer noch weit auseinander. Den eingeschlagenen Weg gilt es deshalb konsequent weiterzuentwickeln, sagt Oberbürgermeister Wolfgang Schuster:
"Wir haben jetzt zwar alles konzipiert, wir haben Programme begonnen. Aber wir sind bei weitem nicht am Ziel. Jeder Jugendliche soll eine berufliche Chance bekommen. Das ist mir ganz, ganz wichtig."
Sei es bei der beruflichen Qualifizierung junger Migranten, bei sportlichen oder kulturellen Integrationshilfen, beim "Runden Tisch der Religionen" oder aber der Einsatz von Mediatoren bei Nachbarschaftsstreitigkeiten zwischen Zuwanderern und Deutschen– ob die bisherigen Lösungsansätze ausreichen und langfristig Früchte tragen, verfolgt die Stadt mit Argusaugen. Jede Maßnahme kommt auf den Prüfstand! Die Stabsstelle sammelt Vergleichsdaten, gibt regelmäßige Bürgerumfragen in Auftrag, die später von Experten wissenschaftlich ausgewertet werden. Eine nachhaltige Zuwanderungspolitik ist das Ziel: erfolgreiche Modelle sollen langfristig Unterstützung finden, bei wirkungslosen Maßnahmen setzt man rigoros den Rotstift an. Ein Vorgehen, von dem übrigens auch andere Kommunen jenseits der Staatsgrenzen profitieren – denn Stuttgart ist Mitglied im europäischen Städte-Netzwerk "Clip". Das Netzwerk fördert den Erfahrungsaustausch zwischen Amsterdam, Barcelona, Istanbul und Zagreb, entwirft politische Leitlinien zur kommunalen Integrationspolitik. Best-Practice-Beispiele aus Baden-Württemberg sind da höchst willkommen, denn es gibt noch viel zu tun. Auch auf Bundesebene! Angesichts des neuen nationalen Integrationsplans, den die Bundeskanzlerin Mitte Juli vorgestellt hat, kann sich OB Schuster einen leichten Seitenhieb nicht verkneifen:
"Ich bin sehr froh, dass die Bundesregierung erstmalig in der Geschichte anerkannt hat, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist. Dass es wirklich Einwanderungsstädte gibt, wie Frankfurt, Stuttgart und München. Und dass es von daher es eine gemeinsame Strategie geben muss, eine gemeinsame Umsetzung. Insoweit sind wir einen ganz weiten Schritt weiter, auch wenn aus meiner Sicht dieser Schritt zehn Jahre zu spät kommt. Aber immerhin. Er ist jetzt gegangen. Natürlich hat man in Stuttgart angefragt, was wir an Erfahrungen gesammelt haben. Wir waren schon immer im Gespräch. Wir diskutieren sehr intensiv und so sind natürlich auch unsere Erfahrung in diesem nationalen Integrationsplan eingeflossen."
Andine Klänge auf der Königsstraße im Stuttgarter Zentrum. Musiker aus dem südamerikanischen Hochland spielen auf - Zugereiste aus der Ferne wie so viele andere Bürger in der Landeshauptstadt.
Pizzabäcker aus Italien, Studenten aus China, Krankenschwestern aus Eritrea. Stuttgart hat nach Frankfurt den zweithöchsten Ausländeranteil der Republik, zählt Menschen aus 170 Nationen. Jeder dritte Einwohner stammt aus einer Migrantenfamilie. Die meisten fühlen sich hier wohl:
Umfrage:
Mann: "Ich fühle mich in Stuttgart sehr wohl. Ich finde die Menschen sehr offen und herzlich - es gibt sehr viel Abwechslung auf den Straßen, verschiedene Gesichter, verschiedene Menschen, das finde ich sehr schön persönlich."
Mann: "Man kann auch spät abends heimgehen, ohne Angst zu haben. Das ist sicher."
Frau: "Also ich habe Freunde von allen Nationalitäten. Man lernt auch von jedem was, so Sprachkultur und Essen."
Mann: "Man muss halt mit den Leuten umzugehen wissen, was ab und zu schon schwieriger ist, wenn man eine andere Hautfarbe hat, wie es bei mir ist, aber - ich begegne jeder Front mit meiner freundlichen Art und dann habe ich keine Probleme damit."
Keine "Insel der Glückseligkeit" also, aber gemessen an anderen Großstädten im Land schneidet Stuttgart in den Statistiken recht gut ab - die Rahmenbedingungen sind günstig: Die Wirtschaft floriert, Stuttgart gilt als exportstärkste Region in Deutschland, nur sechs Prozent der Bürger finden keine Arbeit. Mit 850 Euro ist die Pro-Kopf-Verschuldung äußerst gering, außerdem wird kaum ein anderer Großstädter hierzulande so selten Opfer einer Straftat wie in der schwäbischen Metropole. Vergleicht man hingegen Schulabschlüsse, Berufsausbildungen und Arbeitsplätze, geht es dem statistischen Einwanderer schlechter als den Schwaben - aber besser als anderswo. Zufall? Keineswegs argumentiert Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, der die Integrationspolitik in seiner Stadt schon vor Jahren zur Chefsache erklärt hat.
"…, weil Integration für eine Stadt, die immer internationaler wird, eine ganz, ganz wesentliche Aufgabe ist. Wenn Integration gelingt, gelingt ja sehr viel mehr als 'nur' -in Anführungszeichen- das friedliche Miteinander! Das heißt, dass in Stuttgart dann über ein Drittel der Bevölkerung bessere Lebenschancen hat, eine bessere Lebensqualität bekommt. Und deshalb kann Integration nur gelingen, wenn man sie als ganzheitliche Aufgabe versteht in vielen Bereichen. Das ist nicht nur eine Aufgabe fürs Sozialamt, fürs Jugendamt oder für die Schulen. Sondern es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Und deshalb habe ich die Aufgabe dann in meinen Bereich direkt genommen, in die direkte Verantwortung. Und ich glaube, das hat sich auch sehr bewährt!"
Jeder Bürger ist Stuttgarter, jeder soll in der Stadt seine Chance erhalten, lautet die Maxime. Dafür ziehen alle an einem Strang: die städtischen Ämter, Vereine, Bildungs- und Kultureinrichtungen, die gesamte Bürgerschaft einschließlich der Migranten. Das ist die Grundidee - nach diesem Konzept funktioniert das Stuttgarter "Bündnis für Integration". Und so entstehen überall in der Stadt die unterschiedlichsten Initiativen, Projekte und Kooperationen – quer durch alle Bereiche, für Groß und Klein!
Eine Kindertagesstätte im Stuttgarter Norden, dem Hallschlag. Ein Viertel mit viel sozialem Wohnungsbau, einer hohen Migrantendichte. Die Namen und Sprachen der Kinder in der Einrichtung – international:
"Ich heiße Aischege, ich bin sechs Jahre alt und kann ein bisschen Englisch, kann Türkisch und noch Deutsch."
"Ich heiße Serida, ich kann Deutsch sprechen, Arabisch und ein bisschen Griechisch."
"Ich heiße Milani, ich kann Sri Lankisch und Englisch."
In der sogenannten "Einstein-Kita" hat sich in den letzten Jahren viel getan: das Personal wurde aufgestockt, Projekte initiiert, die die ganzheitliche Sprachentwicklung der Kinder gezielt gefördert. Ein Projekt unter vielen: der "Sprechtreff":
Erzieherin: "Wir haben unter unserem Tuch lauter Sachen versteckt. Und ihr dürft dann mal der Reihe nach darunter fassen und gucken was ihr da findet. Und dann, wenn ihr das wisst, das dann in der Kiste richtig einordnen. Okay? Aischege magst du mal anfangen? Komm!"
Kind: "Eine Lampe!"
Erzieherin: "Aber das ist eine besondere Lampe, oder?"
Kind: "Eine Taschenlampe …"
Erzieherin: "Genau, eine Taschenlampe. Weist du mit welchem Buchstaben die anfängt?"
Kind: "Mit T!"
Erzieherin "Die meisten kommen hierher, sprechen wenig bis gar kein Deutsch. Im Alltag bekommen sie sehr viel mit, lernen sehr schnell. Aber es ist noch wichtig, auch in Kleingruppen so was zu machen, weil wir die Kinder dadurch intensiver fördern können."
"Was machen Sie innerhalb des Sprechtreffs?"
"Wir gucken, dass wir mit den Kindern spielerisch Sprache erlernen. Das heißt in Reimen, Gedichten, Geschichten, wir machen viel mit Bewegung und auch Musik."
… berichtet Erzieherin Katrin Hübner. Kinder, die von Anbeginn an in die Einrichtung kämen, würden so gut auf die Schule vorbereitet, heißt es im Leitungsteam. Ein wichtiger und ganz entscheidender Schritt für die Zukunft. In zweifacher Hinsicht: zum einen, weil inzwischen jedes zweite Kind in Stuttgart aus einer Migrantenfamilie stammt - eine gute sprachliche Ausbildung ist deshalb oberstes Gebot. Andererseits ist der qualitativ hohe Bildungsansatz in der Kita ein Signal der Stadt an deutsche Eltern. Ein Standortvorteil, um Bürger der Mittelschicht im Viertel zu halten, erklärt Gari Pavkovic von der Stadtverwaltung:
"Familien entscheiden sich für einen Wohnort, auch wenn sie gute Bildungsangebote vor Ort haben. Das heißt, dass die Kindergärten, die Schulen in den Quartieren mit die besten sind. Deswegen auch eine Einstein-Kita auf dem Hallschlag! Damit die Familien sehen: in dieser Einrichtung hier hat mein Kind gute Bildungschancen."
Die Kommune will im Hallschlag vor allem eins: das soziale Abgleiten des Viertels verhindern. Deshalb investiert sie auch in anderen Bereichen: hat das kulturelle Angebot erweitert, Spielplätze angelegt, Wohnungen saniert. Überhaupt ist die Wohnungspolitik ein wichtiges Steuerungselement, um eine sogenannte "Segregation" zu vermeiden, wie es Fachleute nennen - die Bildung von Ghettos, in denen sich bestimmte ethnische Gruppierung überproportional konzentrieren. Statt kommunale Immobilien durch Verkäufe zu versilbern, hält die Landeshauptstadt bewusst an ihren Wohnungen fest. Über eine Quote in den Belegungsrichtlinien, lässt sich so eine bessere Durchmischung der Bevölkerung erreichen. Denn nur acht Prozent der Wohnungen werden an Drittstaatler vermietet, maximal 20 Prozent an EU-Bürger. Auch bei Privatisierungen schaut man sehr genau hin - Wolfgang Schuster:
"Wir haben nämlich festgestellt, nicht nur bei den Schwaben, sondern bei vielen Nationen – nicht zuletzt bei den türkischen Mitbürgern- dass sie sich schwäbischer als jeder schwäbische Hausbesitzer verhalten, wenn sie ihre Wohnung kaufen können! Das heißt, das ist ein Stück dann auch der sozialen Stabilität und der sozialen Aufwertung. Aber dabei ist ganz wichtig, dass eben nicht ganze Wohnblocks dann zum Beispiel türkisch werden, sondern dass man sehr bewusst vorher schon eine Mischung - eine ethnische Mischung, eine soziale Mischung- erreicht. Und das können Sie halt nur, wenn Sie direkt Einfluss nehmen können! Deshalb ist es für uns ganz wichtig, dass wir unsere städtische Wohnungsgesellschaft behalten, egal wie viel Geld wir dafür erlösen könnten. Wir werden uns an der Spekulation nicht beteiligen!"
Rückblick: 2001 bringt der Stuttgarter Gemeinderat das "Bündnis für Integration" auf den Weg. Mit Ausnahme der Republikaner votieren die Fraktionen einstimmig für das Konzept. Der Beschluss hat vor allem direkte Auswirkungen auf die Stadtverwaltung: in vielen Bereichen wird sie umgebaut. Als neuralgischen Punkt, von dem aus künftig sämtliche Aktivitäten zu steuern sind, bestimmt das Stadtparlament die "Stabsstelle für Integration". Sie ist direkt dem Oberbürgermeister unterstellt und nicht – wie in anderen Städten üblich- beim Sozialamt angesiedelt. Fünf Mitarbeiter kümmern sich hier um wichtige Belange der Integration, übernehmen vor allem die Koordination und Netzwerkbildung. Gari Pavkovic, Integrationsbeauftragter und Leiter der Stabsstelle:
"Wir haben Kooperationsnetzwerke nach Themen! Also im Bereich der Sprachförderung im Erwachsenenbereich sind es die Sprachkurs-Träger, die Beratungsdienste, Jobcenter, Ausländerbehörde. Im Bereich der Kulturarbeit sind es die verschiedenen Kulturinstitutionen, Ämternetzwerke. Es geht auch immer um ressource-übergreifendes Arbeiten. Also wenn es darum geht, Stadtteile aufzuwerten, für eine gemischte Bevölkerungsstruktur, dann müssen die Stadtplaner, die Bildungsexperten, die Sozialpolitiker und die Bürger gemeinsam Programme entwickeln, die Hand in Hand gehen. Also es reicht nicht nur 'Mama lernt Deutsch-Kurse' zu machen und klassische kompensatorische Maßnahmen für Menschen mit schlechten Deutschkenntnissen, sondern es muss in Verbindung gebracht werden mit anderen Faktoren, damit Stadtgebiete oder die Stadt als ganzes attraktiv werden."
Wichtige Voraussetzung: die Verwaltung braucht einen guten Kontakt zur Basis, zu den Bürgern, also auch zu den sehr heterogenen Gruppierungen der Migranten. Hier setzt Stuttgart -erstens- auf eine neue Personalpolitik. Gut ausgebildete Zuwanderer werden systematisch in die eigenen Reihen geholt, übernehmen verstärkt kommunale Aufgaben. Mit Erfolg: inzwischen stammen 8 Prozent der Verwaltungsangestellten aus Zuwandererfamilien, fungieren als sogenannte "Brückenbauer". Zweitens: Neben der Stabsstelle als Verwaltungsorgan, wurde der "Internationale Ausschuss" als kommunales Gremium gegründet. In ihm arbeiten Stadträte gemeinsam mit sachverständigen Bürgern aus Bereichen wie Schulen, Sport, Sicherheit, Gesundheit und interreligiösem Dialog. Seine meist selbst aus Migrantenfamilien stammenden Mitglieder haben beratende Funktion, unterstützen Parlament und Verwaltung bei wichtigen Entscheidungen. Oder bringen selbst Themen ein, die ihnen relevant erscheinen. Der Austausch funktioniere gut, sagt Ausschussmitglied Muammer Akin:
"Es ist nicht so, dass der Gemeinderat an einem Strang zieht und wir Mitglieder des Ausschusses am anderen Strang. Sondern oftmals verstehen wir uns mit einzelnen Fraktionen besser als die untereinander. Insoweit ist das ein gutes Signal für uns, dass inzwischen die Stadtveraltung alle Themen, die migrationsrelevant sind, in den Ausschuss einbringen muss. Das ist so eine Selbstverpflichtung, damit das nicht an uns vorbeigeht! Das sind, denke ich, ganz gute Ansätze."
Der türkischstämmige Akademiker hält die politische Partizipation von Zuwandererfamilien für äußerst wichtig. Vielleicht - weil er das erreicht hat, was unter den vielen Migranten auch in Stuttgart immer noch eine Ausnahme bildet: der 37-Jährige arbeitet in einer Leitungsposition. Als ehemaliger Hauptschüler holte Muammer Akin über den zweiten Bildungsweg sein Abitur nach, studierte und ist heute Rektor einer staatlich anerkannten Privatschule. Mit vielen Jugendlichen aus Zuwandererfamilien, die den mittleren oder höheren Schulabschluss anstreben. Eine Aufgabe, die eng verknüpft ist mit seiner Biografie, aber auch mit der Arbeit im "Internationalen Ausschuss", über die Muammer Akin sagt:
"Die Arbeit macht mir Spaß. Die Arbeit bringt uns auch Ideen, selbst aktiv zu werden. Nicht nur alles von der Stadt oder dem Staat zu verlangen, sondern zu sagen, einen Teil für die Integration muss hier jeder leisten. Und da versuchen wir Verbündete zu finden, beziehungsweise dafür zu werben."
Aussiedler, Flüchtlinge, Hochqualifizierte aus Drittstaaten, Analphabeten – die Integration von Zuwanderern ist ein oft mühsamer und langer Weg, der trotz allen Engagements viel Ausdauer braucht und so manchen Rückschlag bedeutet. Besonders spürbar wird das an Brennpunkt-Schulen, für die die Stabsstelle in Stuttgart ein ganz besonderes Paket geschnürt hat mit unter anderem dem Projekt "Startklar":
Joachim Schneider: "Also – da machen wir dann weiter. Weil morgen ist ja Englisch! Ihr habt ja bestimmt irgendwelche Hausaufgaben, die wir dann durchnehmen können. Ja, dann legen wir einfach mal los …"
15.30 Uhr . Hausaufgabenbetreuung in der Friedensschule. Eine Hauptschule, in der zwei von drei Schülern ausländische Wurzeln haben, so wie diese beiden Jugendlichen aus Sri Lanka:
Junge: "When did they came to Berlin?”"
Mann: ""Richtig! Ganz genau. Machen wir noch einen nächsten: Sam´s got hundreds of CD´s"
Mädchen: "”How many CD´s has Sam got?”"
Autorin: "Können eure Eltern zuhause nicht helfen, wenn es um Hausaufgaben geht, um Vorbereitung auf Prüfungen?"
Mädchen: "Ja, aber hier ist besser, weil ruhig, ganz ruhig und gut geht."
Junge: "Nein, die sind nicht lang in Deutschland, deshalb die können nicht so gut."
Mühsam ist das Sprechen, schwer fällt das Lernen. Nur in ganz kleinen Schritten gehe es vorwärts, berichtet ihr Betreuer, Joachim Schneider. Keine Lehrkraft, sondern ein pensionierter Diplom-Ingenieur. Als die Stadt vor drei Jahren Seniorpartner für die Arbeit an Schulen suchte, meldete sich der 64-Jährige freiwillig:
"Ich habe angefangen mit einem Nachmittag. Größenordnung 13 bis 18 Uhr. Dann wurde es 10 bis 18 Uhr. Und seit Jahresanfang bin ich jeden Tag hier an der Schule zwischen 9 bis 18 Uhr."
Das heißt, eigentlich kann man Sie gar nicht mehr missen!"
"Ja, wenn man so will, bin ich zusätzlich ein Lehrer geworden."
Ein Hilfslehrer, der unentgeltlich arbeitet. Er betreue ausschließlich Schüler, die mit der deutschen Sprache hadern, berichtet der 64-Jährige sichtlich gerührt:
"Weil die Kinder mir am Herzen liegen und sie es alleine nicht schaffen. Das ist eigentlich der Beweggrund."
Die Arbeit gibt ihm das Gefühl etwas Sinnvolles zu tun, etwas, das Freude bereitet - vor allem wenn Fortschritte sichtbar werden. Ganz ähnlich denken auch die anderen an der Schule beschäftigten Seniorpartner. Als Mentoren helfen sie Jugendlichen vor allem beim Sprung ins Berufsleben, gehen mit ihnen auf Praktikums- und Stellensuche, formulieren Lebensläufe, halten Kontakt zu Firmen.
Mann: "Eines der Ziele, das ich sehe, ist eigentlich, die Schüler zu unterstützen, in der Selbsthilfe. Sie soweit zu bringen, das sie uns nicht mehr brauchen. Das wäre das oberste Ziel, das ich eigentlich sehe."
"Der Schüler hat schwimmen gelernt!"
"Ja genau, wir helfen ihm aufs Pferd, aber reiten muss der Schüler selbst."
... urteilt Wolfgang Stroh, emeritierter Professor einer Fachhochschule. Die Schüler nehmen die Hilfe der Seniorpartner übrigens sehr gern in Anspruch:
Mädchen: "Die wissen mehr über die Berufswelt."
Junge: "Die haben ja auch eine Ausbildung gemacht und haben sich dafür auch bemüht. Und die haben eine Vorstellung, wie die uns helfen können."
Mädchen: "Es macht mehr Spaß, mit denen zu arbeiten."
Ansichten, die Rainer Megler, stellvertretende Schulleiter, unbedingt teilt:
"Also wir sind sehr froh, dass wir die Seniorpartner haben. Wenn jetzt jemand von außen kommt, der sehr viel Lebens- und Berufserfahrung hat, dann hören unter Umständen die Schüler einfach anders zu. Und dadurch, dass die Seniorpartner auch einen Bezug zur Familie haben, ist das für uns eine sehr große Unterstützung. Das sind Dinge, die Lehrer eigentlich gar nicht leisten können."
In Zahlen messbar seien die Erfolge aber noch nicht, sagt Reiner Megler. Auch in diesem Schuljahr hätten nur je drei bis vier Jugendliche in den Abschlussklassen eine Lehrstelle gefunden. Durchaus positiv bewertet der stellvertretende Rektor aber die steigende Bereitschaft der Schüler, sich weiterzubilden. Immerhin 25 Prozent versuchten heute die mittlere Reife zu schaffen. Positive Ansätze, die aber noch lange nicht ausreichten, urteilt der Integrationsbeauftragte Gari Pavkovic und verweist auf die Statistiken:
"Wir haben immer noch neun Prozent Hauptschulabgänger ohne Abschluss unter den Migrantenjugendlichen. In der beruflichen Ausbildung haben wir zu viele Abbrüche und in der Jugendlichenarbeitslosigkeit sind Migranten doppelt so viel vertreten wie Deutsche. Nicht nur irgendwelche Seiteneinsteiger, die seit ein oder zwei Jahren in Deutschland sind- sondern Kinder und Jugendliche, die hier in Stuttgart geboren sind."
Die Schere zwischen beruflichen Anforderungen und der Schulausbildung von Migranten klafft also immer noch weit auseinander. Den eingeschlagenen Weg gilt es deshalb konsequent weiterzuentwickeln, sagt Oberbürgermeister Wolfgang Schuster:
"Wir haben jetzt zwar alles konzipiert, wir haben Programme begonnen. Aber wir sind bei weitem nicht am Ziel. Jeder Jugendliche soll eine berufliche Chance bekommen. Das ist mir ganz, ganz wichtig."
Sei es bei der beruflichen Qualifizierung junger Migranten, bei sportlichen oder kulturellen Integrationshilfen, beim "Runden Tisch der Religionen" oder aber der Einsatz von Mediatoren bei Nachbarschaftsstreitigkeiten zwischen Zuwanderern und Deutschen– ob die bisherigen Lösungsansätze ausreichen und langfristig Früchte tragen, verfolgt die Stadt mit Argusaugen. Jede Maßnahme kommt auf den Prüfstand! Die Stabsstelle sammelt Vergleichsdaten, gibt regelmäßige Bürgerumfragen in Auftrag, die später von Experten wissenschaftlich ausgewertet werden. Eine nachhaltige Zuwanderungspolitik ist das Ziel: erfolgreiche Modelle sollen langfristig Unterstützung finden, bei wirkungslosen Maßnahmen setzt man rigoros den Rotstift an. Ein Vorgehen, von dem übrigens auch andere Kommunen jenseits der Staatsgrenzen profitieren – denn Stuttgart ist Mitglied im europäischen Städte-Netzwerk "Clip". Das Netzwerk fördert den Erfahrungsaustausch zwischen Amsterdam, Barcelona, Istanbul und Zagreb, entwirft politische Leitlinien zur kommunalen Integrationspolitik. Best-Practice-Beispiele aus Baden-Württemberg sind da höchst willkommen, denn es gibt noch viel zu tun. Auch auf Bundesebene! Angesichts des neuen nationalen Integrationsplans, den die Bundeskanzlerin Mitte Juli vorgestellt hat, kann sich OB Schuster einen leichten Seitenhieb nicht verkneifen:
"Ich bin sehr froh, dass die Bundesregierung erstmalig in der Geschichte anerkannt hat, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist. Dass es wirklich Einwanderungsstädte gibt, wie Frankfurt, Stuttgart und München. Und dass es von daher es eine gemeinsame Strategie geben muss, eine gemeinsame Umsetzung. Insoweit sind wir einen ganz weiten Schritt weiter, auch wenn aus meiner Sicht dieser Schritt zehn Jahre zu spät kommt. Aber immerhin. Er ist jetzt gegangen. Natürlich hat man in Stuttgart angefragt, was wir an Erfahrungen gesammelt haben. Wir waren schon immer im Gespräch. Wir diskutieren sehr intensiv und so sind natürlich auch unsere Erfahrung in diesem nationalen Integrationsplan eingeflossen."