Teures Stadtleben am Hang
Bezahlbare Wohnungen in prosperierenden Städten werden immer knapper. Auch wenn immer mehr Menschen sich Eigentumswohnungen anschaffen - viele können sich das nicht leisten. Im Ergebnis findet eine neue soziale Teilung in den Städten statt wie im Stuttgarter Westen.
Der Stuttgarter Westen, eine Mittelschichtoase. Vor allem Straßenzüge mit Häusern aus der Gründerzeit – viele aufwändig saniert – ziehen Leute mit finanziellem Polster an. Hier gibt es auch Büros und Supermärkte, jede Menge kleiner Läden und Kneipen. Um die Ecke bodenständige Handwerker, eine Caférösterei, eine traditionelle Werkstatt für Nudelteig und Maultaschen. Sehr begehrt sind im Stuttgarter Westen auch die ruhigen Wohnstraßen am Hang, den Wald vor der Haustüre. Eine Kleinstadt in der Großstadt. Ältere Leute mit geringer Rente, andere Einwohner mit geringem Einkommen, Familien mit mehreren Kindern – sie können die Mieten nicht mehr bezahlen. "Zehn Euro pro Quadratmeter und darüber", sagt Angelika Brautmeier, Geschäftsführerin des Mietervereins Stuttgart. Und wer kann schon noch eine Eigentumswohnung erwerben oder gar ein Haus kaufen. Der Stuttgarter Westen – auch ein Biotop für Erben:
"Ne Wohnung im Stuttgarter Westen unter zehn Euro kriegen Sie nicht mehr. Und die durchschnittliche Größe einer Wohnung sind 65 bis 70 Quadratmeter. Sind Sie schon bei 700 Euro. Als Alleinstehender mag das zwar hinkommen, aber wenn Sie jetzt in ne Vier-Zimmer-Wohnung mit 120 Quadratmeter wohnen, 1.200 Euro Kaltmiete, da müssen Sie schon gut für verdienen, da kommen ja auch noch die Nebenkosten dazu und das führt dazu, dass die Leute einfach weggedrängt werden."
So geht es dem Bildhauer Klaus Pfaffenzeller. Noch wohnt er zusammen mit Partnerin und Kind im Stuttgarter Westen. Nun steht fest, dass die Familie nach Heumaden zieht. Ein Stadtteil auf der Hochebene der Fildern, am Rande von Stuttgart. Dort entsteht ein Wohnprojekt, das Eigentümer und Mieter im Rahmen einer sogenannten Baugemeinschaft verwirklichen. Beteiligt sind 23 Parteien: Paare, Familien. Sieben Teilhaber sind Eigentümer, es gibt zwei Wohnungen für Körperbehinderte und 14 Mietwohnungen.
"Für mich ist die Situation da in Heumaden oben weder noch. Es ist nicht mehr städtisch, weil es dort eine reine Wohnsiedlung ist. Eigentlich Gewerbe funktioniert quasi nicht. Das ist etwas, was hier im Westen schön durchmischt ist und da oben gibt´s des so nicht und des ist aber auch nicht wirklich ländlich, sondern es ist eben Stadtrand."
Allzu wählerisch dürfen Wohnungssuchende mit geringem Einkommen nicht sein. Sie müssen nehmen, was der Wohnungsmarkt außerhalb der Zentren übrig lässt.
"Natürlich sind die eher Schwachen zurückgeblieben. Man sprach ja immer von den fünf „As“: die Armen, die Arbeitslosen, die Alleinerziehenden, die Ausländer, die Alten natürlich … "
Ein Paradigmenwechsel: Nicht die Landluft ist gut, nein, es ist die Stadtluft
Axel Fricke vom Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung in Stuttgart. Leben am Stadtrand ist ein Kompromiss. Wer es sich leisten kann, zieht heute in die Cities. Stadtluft macht frei – nicht Landluft.
"Wenn wir von einem Trend in die Stadt sprechen, gehören zu den Trendsettern eigentlich wieder verstärkt auch junge Leute zwischen 18 und 35 Jahren in Ausbildungsjahrgängen, Berufseinsteiger, dann die Studierendenzahlen haben sich seit dem Jahr 2000 verdoppelt. Es gehören dazu junge Frauen, die Familie und Beruf vereinbaren, weil einfach es mehr Jobs im tertiären Sektor gibt und diese Jobs sind in der inneren Stadt. Und wir haben mehr Akademiker, die natürlich auch die Stadt suchen als Wohnort und nicht nur als Arbeitsort. Und das heißt natürlich, dass die auch entsprechend Wohnwünsche und Vorstellungen mitbringen. Zum Beispiel wird hier Eigentumsbildung viel stärker betrieben als noch in den vergangenen Jahrzehnten."
Junge Leute, die einen gut bezahlten Beruf haben oder als Studenten von ihren Eltern unterstützt werden, finden schon eine Wohnung. Sie können sich beispielsweise sogar eines jener Appartements mit Balkon und Stellplatz fürs eigene Auto leisten, wie sie auch Hausbesitzer im Stuttgarter Westen anbieten. Aber diese Klientel ist eine Minderheit. Sie wird von Immobilienunternehmen umworben, weil auch sie die Kassen der Baugesellschaften klingeln lässt. Gut verdienende Arbeitnehmer und Selbständige sowie vermögende Familienangehörige legen ihr Geld in Eigentumswohnungen an, die sie dann vermieten oder verkaufen. Für ihre Alterssicherung bauen sie auf das sogenannte Betongeld als Alternative zu traditionellen Lebensversicherungen. Die Stadtverwaltungen sind an Bewohnern mit finanziellen Spielräumen interessiert.
Diese Dynamik hat mittlerweile auch einige ostdeutsche Städte erfasst, für die vor Jahren noch der schleichende Niedergang unausweichlich schien. In Leipzig sorgten ein neues BMW-Werk, Porsche, der Logistikriese DHL, der Online-Handel Amazon und die Messe für einen wirtschaftlichen Aufschwung, die Einwohnerzahl ist auch dadurch gestiegen. Die Stadtregierung kokettiert mit Slogans wie „Hypezig“. Das Kürzel steht für Leipzig-Hype. Aber ländliche Gemeinden im weiteren Einzugsgebiet der sächsischen Metropole schrumpfen weiter, sagt der Soziologe Dieter Ring vom Leipziger Umweltforschungszentrum.
"Wir waren ja mal die Hauptstadt des Wohnungsleerstands in Deutschlands, so Metropole des Leerstands. Wir hatten mal über 60.000 leer stehende Wohnungen um 2000, 20 Prozent des Bestands. Das hat sich massiv verändert durch Stadtumbau: 14.000 Wohnungen sind abgerissen worden, durch Zuwanderung. Wir haben aber immer noch ziemlich viel Leerstand. Gegenwärtig haben wir auch eine intensive wohnungspolitische Diskussion. Und da geht´s unter anderem auch darum, wie viel Puffer ist noch da. Ich schätze mal: wir haben jetzt noch 23.000 leer stehende Wohnungen, allerdings ist die Hälfte davon nicht beziehbar, weil das eben nicht sanierter Leerstand ist."
Neu gebaut wird derzeit auch schon, aber eben verhalten. Im letzten Jahr – nach den neuesten Zahlen – sind 900 Wohnungen gebaut worden. Das ist nun jetzt nicht die Masse, die jetzt hier neu auf den Markt kommt. Das heißt also: wenn die Zuwanderung so bleibt, wie sie derzeit ist, zehn – bis zwölftausend Menschen pro Jahr, naja dann ist das alles weg innerhalb kürzester Zeit.
… und dann kann sich auch in ostdeutschen Städten ein Wohnungsproblem zusammenbrauen, wie es westdeutsche Boom-Regionen kennen. Angeheizt wird diese Entwicklung durch die Umwandlung preiswerten Wohnraums in teure Miet- oder Eigentumswohnungen. Investoren kaufen Altbauten auf, parzellieren sie in fashionable Wohneinheiten, Penthouse- und Maisonette-Wohnungen über zwei Stockwerke locken mit großzügigen Lofts in ehemaligen Lager- und Fabrikhallen. Vermietung oder Verkauf sind ein gutes Geschäft. Leute mit vergleichsweise geringem Einkommen können oft nur hoffen, in einem der Miethausblöcke am Rande der Stadt unterzukommen.
Ein Syndikat für bessere Mietshäuser
Tobias Bernet hat Ethnologie studiert. Er stammt aus Zürich und kam als Gaststudent in die sächsische Großstadt. Er gehört dort zu den Gründern der "Wohnungsgesellschaft Central“. Sie kauft in Leipzig sanierungsbedürftige Häuser und wandelt sie in alternative, selbstverwaltete Wohnprojekte um. Durch handwerkliche Eigenleistungen bei der Sanierung sollen die Kosten gesenkt werden. Die veranschlagte Miete, aus der die Ratenzahlungen für den Häuserkauf bestritten werden, liegt deutlich unter der Summe, die Wohnungsbaugesellschaften verlangen würden. Möglichst niemand soll der Versuchung erliegen, sich von Nachmietern einen Umzug teuer bezahlen zu lassen oder die Wohnung eines Tages doch meistbietend zu verkaufen.
"Das sind drei Vorderhäuser in diesem gründerzeitlichen Baubestand hier, die leer standen, die aus einer Zwangsversteigerungssituation erworben werden konnten durch eine Gruppe von dreißig, vierzig Leuten. Die Häuser gehören einer GmbH. Die GmbH wiederum gehört einem Verein, in dem die Leute, die in den Häusern wohnen oder wohnen werden – also eines wir im Moment noch saniert, die sind in dem Verein wieder über drei Untervereine nach Häusern organisiert. Also letztlich gehören dann denen als Kollektiv – eben nicht als Einzelne, als Kollektiv – auch die Grundstücke."
Tobias Bernet kann sich vorstellen, dass sich die Leipziger Initiative einem bereits bestehenden übergeordneten Netzwerk anschließt – dem Mietshäuser Syndikat. Ihm gehören derzeit rund 90 ähnliche Projekte an. Diese Dachorganisation kann ihr Veto gegen einen Verkauf einlegen. Tobias Bernet hofft, durch solche Maßnahmen alternative Wohnprojekte den normalen, renditeorientierten Marktmechanismen zu entziehen und auch Geringverdienern in dem Projekt der "Wohnungsgesellschaft Central“ eine Chance zu geben“.
Zurück in Stuttgart. Eine Baustelle am Rande der City. Ein neuer Wohnkomplex entsteht, genau an der Nahtstelle zwischen dem geschäftigen Zentrum und einer jener noblen, dem berühmten Stuttgarter Killesberg etwas vorgelagerten und zur City hin orientierten Halbhöhenlagen. Sieben quaderförmige sogenannte Stadtvillen mit insgesamt 115 großzügigen Wohnungen. „Villengarten“ nennt der Investor das Projekt. Peter Steiert, der pensionierte Bankbeamte und ehrenamtliche Mitarbeiter in einem Treffpunkt für Obdachlose, hat von seiner Wohnung aus die Baustelle direkt vor Augen:
"In diesem neuen „Villengarten“ Stuttgarts wird der Quadratmeter bei etwa 4.000 Euro liegen. Das heißt: wenn Sie hundert Quadratmeter Wohnung kaufen wollen, sind allein einmal die reinen Gestehungskosten bei 400 Tausend. Wer kann das denn noch mit einem durchschnittlichen Gehalt finanzieren. Das heißt: die Klientel wird eine andere sein. Schräg gegenüber haben wir tatsächlich sozialen Wohnungsbau. Ich bin mal echt gespannt, was es da für Spannungsverhältnisse gibt. Bei der Vorstellung für die Nachbarn, da hat uns der leitende Bauingenieur mit Pathos in der Stimme erklärt, der Quadratmeter Bodenwert sei bereits um 250 Euro pro Quadratmeter gestiegen."
… und damit auch der Verkaufswert für Grundstücke. Denn der „Villengarten“ könnte Investoren und Anleger anstacheln, weitere Häuser und Grundstücke in dieser Ecke der Stadt aufzukaufen und weitere Luxuswohnungen zu errichten. Diese Entwicklung ist kaum zu bremsen, Auch nicht durch Bestimmungen, wie sie der Stuttgarter Gemeinderat beschlossen hat. Danach müssen Investoren einige mit öffentlichen Mitteln geförderte Miet- und Eigentumswohnungen einplanen. Die Immobilienwirtschaft befürchtet, solche Eingriffe würden den freien Markt abwürgen. Anderen Kritikern gehen die Maßnahmen nicht weit genug. Durchschnittsverdiener hätten trotzdem wenig Chancen. In einigen Straßen der Stuttgarter Innenstadt präsentieren Immobilienunternehmen ähnliche Projekte auf großen Werbetafeln. „Wir suchen Baugrundstücken, Wir bezahlen sofort“, steht auf einem der Plakate. Hat also der Ausverkauf der Stadt begonnen? Eine Frage, die sich auch Peter Steiert aufdrängt.
"Jetzt ist es so, dass wir grundsätzlich mal von einer gesunden Haushaltsentwicklung ausgehen. Da darf die Nettomiete nicht mehr als dreißig Prozent des gesamten Einkommens betragen. Da stell ich fest: dieser Prozentsatz ist in aller, aller Regel überzogen, teilweise bis fünfzig Prozent. Hab dieser Tage eine Statistik gelesen, dass es eigentlich gar nicht so schlimm wär, auch in Stuttgart nicht. Aber Statistiken, das ist immer so eine Sache. Da geht man in der Statistik davon aus, dass das durchschnittliche Netto-Einkommen der Stuttgarter Haushalte bei 3.600 Euro netto liegt. Das ist also schlicht und ergreifend der Schnitt von Einkommen von zehntausend und mehr Euro netto und 900 Euro für einen Hartz-4-Empfänger."
Leerstand bis zur Radikalsanierung, nach dann größere Profite möglich sind
Die Situation spitzt sich in gefragten Ballungsgebieten zusätzlich zu, weil Wohnungen und Häuser leer stehen bleiben, bis eine Radikal-Sanierung oder der Abriss unumgänglich werden. Die Berliner Stadtregierung will nun verhindern, dass in manchen gefragten Stadtteilen noch mehr Haushalte mit geringen Einkünften aus ihren angestammten Quartieren verdrängt werden. Deshalb hat der Berliner Senat ein Verbot der Zweckentfremdung durch „spekulativen Leerstand“ erlassen. Andere Großstädte planen ähnliche Bestimmungen. Eigentum verpflichtet, heißt es im Grundgesetz. Angelika Brautmeier vom Mieterverein Stuttgart ist klar, dass nur ein Teil der leerstehenden Wohnungen über eine Zweckentfremdungsklage dem Markt wieder zugeführt, akquiriert werden könnte:
"Wenn ich in Stuttgart nach dem Zensus 11.000 leer stehende Wohnungen hab – selbst wenn ich davon nur 2.000 Wohnungen akquirieren kann, dann sind es 2.000 Wohnungen, die für Menschen bedeuten: ich kann ne preiswerte Wohnung vielleicht irgendwo bekommen. Und dann setzt das voraus: ich muss irgendwann mal tätig werden als Gemeinderat Zweckentfremdungsverbot erlassen. Das Zweckentfremdungsverbot gibt es, da muss die Kommune sagen: ich mache davon Gebrauch."
Inzwischen versuchen manche Städte, in der kommunalen Wohnungsbaupolitik Akzente zu setzen. So sollen künftig bei der Vergabe von Baugrundstücken mehr denn je sogenannte Baugemeinschaften zum Zug kommen, zu denen sich Privatleute zusammenschließen. Eines der noch wenigen Stuttgarter Beispiele ist die Baugemeinschaft im Stadtteil Heumaden. Die Malerin Uta Kamleiter beteiligt sich dort als Mieterin, zusammen mit Mann und Kind.
"Ich hab die Gegend sehr schätzen gelernt, weil man eben auch sehr schnell in der Stadt ist. Und trotzdem hat man diesen Vorteil: der weite Himmel, während hier die Häuser so eng stehen, dass man manchmal gar nicht bis zum Himmel durchguckt – so ungefähr, und auch dass es ein bisschen freier ist, bisschen mehr Luft, und im Sommer ist es eigentlich ganz angenehm."
Es ist ein langer und manchmal konfliktreicher Weg, bis sich die Mitglieder einer Baugemeinschaft zusammengerauft haben. Sie müssen ein Konzept entwickeln, wie sie sich die Gestaltung eines Wohnquartiers vorstellen, sagt Michael Kunert vom Stuttgarter Amt für Stadterneuerung. Er und seine Kollegen erhoffen sich davon, auch soziale Gesichtspunkte besser berücksichtigen zu können.
"Die Stadt wird künftig bei Konzeptverfahren gerade auf eigenen Flächen auch Kriterien anlegen. Also es gibt Konzeptwettbewerbe, wo man sich bewerben muss als Investor oder auch als Baugemeinschaft, um mit einem Vorschlag, wie man ein Wohnkonzept realisiert, dann auch den Ausschlag zu bekommen. Die Grundstücke werden günstiger – bei Baugemeinschaften zum Festpreis, bei Investoren künftig in einer Abwägung zum Konzept vergeben. Aber dafür muss eben programmatisch einiges realisiert werden. Und die Kommune kann für diese Quartiere vorab Programme entwickeln, welche soziale Durchmischung gewünscht ist, welche Nutzungsmischung gewünscht ist, und damit Entwicklung steuern."
Die Rahmenbedingungen lassen sich mit solchen Ansätzen jedoch kaum verändern. Die Zuwanderung in Ballungsgebiete wird weiter zunehmen, ebenso die Zahl der Haushalte für Singles und für Paare, die als dinkies bezeichnet werden: double income no kids. Sie haben keine Kinder und verfügen über ein doppeltes Einkommen. Eines davon kann in teure Miet- und Eigentumswohnungen investiert werden.
Das Bundesbauministerium macht den Trend zu kleineren Haushalten mitverantwortlich für die starke Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt, den nicht nur deutsche Städte spüren, sondern beispielsweise auch Wien. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks hatte die Stadt eine enorme Zuwanderung aus südosteuropäischen Staaten zu verkraften. Mittlerweile ziehen viele Menschen aus Deutschland nach Wien. Die Metropole gilt als eine Großstadt mit hoher Lebensqualität und einer sozial ausgeglichen Wohnungsbaupolitik. Fachleute sind unter anderem beeindruckt von Großprojekten wie der Seestadt Aspern, die am östlichen Rand der Stadt entsteht. Bis 2028 sollen dort achteinhalbtausend neue Wohnungen für rund 20.000 Menschen gebaut werden. Eigentumswohnungen und Mietwohnungen für Durchschnittsverdiener vor allem. Das Stadtentwicklungsprojekt Aspern steht in einer Tradition, die schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann und Wien bis heute prägt:
"In Wien gibt es heute etwa 200.000 gemeindeeigene Wohnungen und darüber hinaus nochmal 200.000 Sozialwohnungen … "
… sagt Tilman Harlander, Architektursoziologe von der Uni Stuttgart. Der kommunale Wohnungsbau der Stadt Wien blühte zur Zeit des „Roten Wien“ auf. Es waren die Jahre zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg und der Machtübernahme durch die Faschisten, die 1938 zum Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland führte. In dieser Zeit, im „Roten Wien“, regierte eine sozialistische Stadtregierung. Sie legte ein ehrgeiziges Wohnungsbauprogramm vor. Große sogenannte Gemeindebauten, sollten der Arbeiterschaft ein menschenwürdiges Wohnen ermöglichen.
Hilfe von der Regierung: Kein Wohnungsverkauf an Private, keine Radikalsanierung
Der Karl-Marx-Hof ist der berühmteste jener "Volkswohnpaläste“. 1926 begann der Bau des kolossalen Komplexes. 1.400 Wohnungen, außerdem Gemeinschaftseinrichtungen wie zentrale Wäschereien, Bäder mit Wannen und Brausen, Kindergärten, eine Bibliothek, eine Zahnklinik, ein Postamt. Außerdem Arztpraxen, Kaffeehäuser, Läden. Angelegt sind die Wohnungen um mehrere Höfe, die den Komplex gliedern. Fließendes Wasser und eine Toilette in der Wohnung waren Standard im Karl-Marx-Hof und anderen Gemeindebauten. Hausbesitzer und Spekulanten bekämpften die Steuer, mit der die Stadt Wien das Wohnbauprogramm finanzierte. Bis heute hält die politische Diskussion darüber an, ob die Wohnungen, die der Stadt gehören, nicht an private Unternehmen verkauft werden sollten. Die Befürworter argumentieren: um die Wohnanlagen in Schuss zu halten, müsse privates Kapital mobilisiert werden.
Die sozialdemokratisch geführte Stadtregierung lehnt die Privatisierung genauso ab wie überzogene Sanierungen. Sie würden zu Lasten angestammter Bewohner gehen, meint Michael Ludwig. Er ist in der Stadt für den Wohnungsbau und die Stadterneuerung verantwortlich.
Die Gemeindebauten hatten und haben in Wien deshalb eine große Bedeutung, weil sie quantitativ am Wohnungsmarkt eine große Rolle spielen. Es leben rund eine halbe Million Menschen in diesen insgesamt 2.000 Wohnhausanlagen. Das heißt: fast jeder dritte Wiener oder Wienerin wohnt in einem Wiener Gemeindebau. Dazu kommen noch 200 Tausend geförderte Miet- oder Genossenschaftswohnungen. Das heißt 60 Prozent aller Wienerinnen und Wiener leben in einer geförderten Wohnung. Und das senkt insgesamt das Preisniveau, was den Wohnungsmarkt betrifft und ist mit ein Grund, dass die Wohnkosten in Wien – verglichen zu anderen Metropolen in Europa – relativ stabil sind.
Aber auch in Wien erwarten Mieter kommunaler Wohnungen zunehmend mehr Platz und einen immer besseren Standard. Ältere Menschen beispielsweise leben auf Aufzüge Wert. Die ließ die stadteigene Wiener Wohnbaugesellschaft auch im Karl-Marx-Hof einbauen. Wenn irgend möglich soll jeder Mieter, jede Mieterin selber entscheiden, welche Sanierungsmaßnahmen er oder sie mittragen will und welche nicht. Mieter-Mitbestimmung sei Tradition in Wien, sagt Erna Mörixbauer, 1929 im Karl-Marx-Hof geboren. Dort blieb sie bis heute wohnen:
"Man hat also 1990 bei der Renovierung eingeleitet die Fernwärme in allen Wohnungen. Konntest du auch ablehnen. Konkret ich zum Beispiel hab also nur a Gasetagenheizung, aber die Fernwärme geht bis zu der Eingangstür."
Sanierungen aus Prinzip anzulehnen, sei keine Lösung, sagt Stadtbaurat Michael Ludwig, der selbst in einem Wiener Gemeindebau aus der Ära des „Roten Wien“ aufwuchs. Und er bekennt sich zu maßvoll steigenden Mieten.
"Es ist sicher ein Spannungsfeld, dass man auf der einen Seite soziale Wohnungen, Gemeindebauwohnungen jenen zur Verfügung stellt, die´s auch besonders benötigen. Dass es aber zum Zweiten auch wichtig ist, eine soziale Durchmischung zu bewerkstelligen. Und das ist nur dann möglich, wenn es im geförderten Wohnbau auch so hohe Qualitäten gibt, dass sie für den Mittelstand bis hin zum gehobenen Mittelstand attraktiv sind. Also im privaten Wohnungsbereich ist es so, dass wir finanzielle Mittel zur Verfügung stellen. Wir unterstützen manche Sanierungsprojekte bis zu zwei Drittel der Gesamtkosten als Stadt. Vergeben allerdings auch die Auflage an die privaten Hauseigentümer, dass sie 15 Jahre hindurch die Miete aufgrund der Sanierung nicht anheben dürfen."
Um eine soziale Wohnungspolitik durchzuhalten, bedarf es eines starken politischen Willens. Darauf kann Wien seit Generationen bauen. In Deutschland dagegen scheinen die vom Kapital bestimmten Kräfte des Marktes die Oberhand gewonnen zu haben.
Schritt für Schritt verabschiedeten sich deutsche Regierungen vom Sozialen Wohnungsbau. Dabei war auch Deutschland hier einst sehr engagiert. Nach dem Ersten Weltkrieg ließen genossenschaftlich organisierte Wohnbaugesellschaften in vielen deutschen Großstädten Siedlungen errichten. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten sie in Westdeutschland diese Erfolgsgeschichte fortzusetzen. Weil sie als gemeinnützig anerkannt waren, wurden erhebliche Steuervorteile gewährt. So ließen sich preiswerte Wohnungen realisieren.
Mieten sinken nur, wenn es neue Wohnungen gibt, neu gebaut wird
Vor allem in der Zeit von Helmut Kohl liberalisierte die Regierung den Wohnungsmarkt immer mehr. Ziel war, die staatliche Förderung zu beenden und Spielräume für private Investoren zu schaffen. Immer weniger Wohnungen sind seitdem vor einem Verkauf auf dem Freien Markt geschützt. Die steuerlichen Anreize und staatlichen Fördermittel wurden gestrichen. Der Soziale Wohnungsbau als Institution spielt heute in Deutschland keine nennenswerte Rolle mehr. Das hängt auch mit einer Akzentverschiebung zusammen.
Über Jahrzehnte war der öffentlich geförderte soziale Wohnungsbau in der breiten Mitte der Gesellschaft verankert. Nicht nur Familien mit geringen finanziellen Mitteln profitierten von der staatlichen Förderung. Es war keine Schande, in einerSozialwohnung zu leben. Doch dann sollte der Soziale Wohnungsbau nur noch für materiell stark benachteiligte Bevölkerungsschichten da sein. Er wurde degradiert zu einer Veranstaltung für gesellschaftliche Randgruppen, flankiert vom Wohngeld, das den Beigeschmack eines Almosen für Bedürftige nie los wurde. Bereits vor Jahren haben international aktive Investment-Unternehmen namhafte deutsche Wohnbau-Genossenschaften übernommen, weil sie ein einträgliches Geschäft erwarteten. Aber das ist nicht der Sinn von Genossenschaften, meint Tilman Harlander von der Uni Stuttgart:
"Kernüberlegung ist: dauerhafte Bindung von staatlich gefördertem Wohnraum. Bei uns war die maximale Bindungsdauer etwa 30 Jahre, die immer weiter verkürzt wurde. In den Neunzigern hat man noch Programme aufgelegt, bei denen die Bindungsdauer zum Teil nur noch sechs oder acht Jahre dauerte, also im Grunde mehr oder weniger nur noch eine Wahlperiode lang. In der Schweiz haben wir genossenschaftlichen Wohnungsbau – Zürich etwa hat enorm hohe Anteile an relativ preiswerten – für Schweizer Verhältnisse gemessen, wodurch man selbst in so einer hochpreisigen Stadt wie Zürich doch gut zusammenleben kann."
Inzwischen wird die Forderung immer lauter, den Sozialen Wohnungsbau wieder zu beleben. Mitte Mai 2015 beschloss der Gemeinderat von Freiburg mit äußerst knapper Mehrheit, dass künftig die Hälfte des neu geschaffenen Wohnraums in der Stadt öffentlich geförderter Wohnungsbau sein müsse. Dagegen lief nicht nur die Immobilienwirtschaft Sturm, sondern unter anderem auch der grüne Oberbürgermeister der Stadt und grüne Parteigenossen. Sie befürchten, dass so der Bau von Wohnungen erlahmen anstatt angeregt würde. In Stuttgart hat Peter Steiert nicht zuletzt überschuldete Geringverdiener im Blick. Aus seiner Sicht als ehrenamtlicher Schuldnerberater. könnte eine Mietpreisbremse helfen, wie sie der Bundestag verabschiedet hat. In ausgewiesenen Gebieten deckelt sie die Miete, die ein Vermieter verlangen darf, wenn neue Leute in eine Wohnung einziehen. Peter Steiert denkt noch weiter:
"Es müsste meines Erachtens da auch irgendwie eine Mietobergrenze geben und dann aber auch Mietpreisbindungen über Jahre und nicht nur über zwei Jahre. Aber das ist klar: das ist für einen Vermieter, auch wenn´s eine Wohnungsbaugesellschaft ist, nicht rentabel."
Die Branche steht jedoch in einer sozialen Verantwortung. Kritiker der Mietpreisbremse sagen, dass nur durch den Bau neuer Wohnungen, durch ein größeres Angebot, Mieten sinken. In Deutschland wurden 2014 so viele neue Wohnungen in Mehrfamilienhäusern, den klassischen Mietshäusern, genehmigt, wie lange nicht mehr: 128.000. Mehr als doppelt so viele wie noch vor sieben Jahren. In der Pflicht sind Parlamente und Regierungen. Sie müssen Bedingungen schaffen, damit der Wohnungsmarkt keine geschlossene Gesellschaft wird.