Subkultur geht, Lifestyle kommt

Hartmut Häußermann im Gespräch mit Katrin Heise |
In den 60er- und 70er-Jahren zogen vor allem wohlhabende Leute an den Stadtrand, erklärt der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann. "Heute wollen auch Leute, die Geld verdienen, in der Stadt bleiben."
Katrin Heise: Schicke Kinderwagen, ausgefallene Klamottengeschäfte, Straßencafés und Bioläden prägen Berlin Prenzlauer Berg. Das war beileibe nicht immer so. Der nur elf Quadratmeter große Stadtteil, Quadratkilometer große Stadtteil natürlich, mit seinen zurzeit nur ungefähr 143.000 Bewohnern war ehemals ein Arbeiterviertel. Dann, zu DDR-Zeiten, fanden die nicht Angepassten in den doch unbequem gewordenen Altbauten ein Zuhause. Nach der Wende zog es Studenten und Hausbesetzer vor allem aus dem Westen hierher – unsaniert und billig, wie es war. Inzwischen werden die wiederum verdrängt von gut verdienenden Akademikern, die sich die entstehenden Eigentumswohnungen leisten. Diese Entwicklung erzählt der Film "Lychener 64", eine Straße mitten in Prenzlauer Berg. Über die sich ändernde Identität eines Stadtteils oder einer Stadt spreche ich gleich mit dem bekannten Stadtsoziologen Hartmut Häußermann. Er wohnt übrigens selber im Prenzlauer Berg.

Subkultur geht, Lifestyle kommt. Gentrifizierung oder umgangssprachlich auch Yuppisierung nennt sich das Phänomen. Ein Stadtteil wird saniert, aufgewertet, teurer Einkommen, schwächere Bevölkerung wird verdrängt. Und genau diese Entwicklung zeigt der Dokumentarfilm "Lychener 64". Er erzählt diesen Prozess anhand der Sanierung eines Hauses in Berlin Prenzlauer Berg. Das ist das größte Stadterneuerungsprojekt Europas. Dirk Fuhrig hat den Film gesehen.

Aus dem Dokumentarfilm "Lychener 64". Ab heute läuft der Film in den Kinos. Die Macher des Films – Jakob Rühle, Teresina Moscatiello und Fabio Dondero – haben übrigens selbst dort gewohnt. Sie waren also quasi Nachbarn von Hartmut Häußermann. Hartmut Häußermann gilt es der führende Stadtsoziologe, der sich seit Jahren mit Verdrängungsprozessen und sozialer Entmischung in Städten beschäftigt. Schönen guten Tag, Herr Häußermann!

Hartmut Häußermann: Schönen guten Tag!

Heise: Wie erleben Sie denn den Strukturwandel vor Ihrer Haustür?

Häußermann: Ja, das ist eigentlich weitgehend geklärt, weil die Sanierungen und Renovierungen und auch die Umwandlung in Eigentumswohnungen ja schon die meisten Häuser verändert hat, und insofern ist von Wandel heute nicht mehr so sehr viel zu spüren.

Heise: Sie haben immer abgelehnt, in dem Bezirk von Gentrifizierung zu sprechen, also von Yuppisierung. Sprechen Sie inzwischen doch davon?

Häußermann: Na ja, das, was wir in dem Film sehen, das sind ja eigentlich Prozesse, wie sie in einem Haus, was so runtergekommen ist, wie die meisten Häuser hier zum Ende der DDR waren, überall stattfindet. Das kann man nicht als Gentrifizierung bezeichnen, sondern das ist Sanierung, Modernisierung, Renovierung. Und das betrifft – in dem Film wird das ja auch gezeigt – betrifft es nämlich Leute, die vor allem hierher gezogen sind, weil es billig war, weil es runtergekommene Wohnungen sind und deshalb billig waren, die Substandardwohnungen bevorzugen, weil es ihnen vor allem darauf ankommt, für wenig Geld zu wohnen. Und das wird durch die Sanierung und Modernisierung dadurch verhindert. Und das wird verdrängt, wenn man das Verdrängung nennen will. Aber viele der Bewohner haben ja auch gesagt, also bestimmte Modernisierung wie eine Heizung und ein Einbau von einem WC und einem Bad und so, das würden sie schon selber auch begrüßen. Aber das kostet natürlich Geld und das wird umgelegt auf die Miete, und das hat Folgen.

Heise: Das hat Folgen, nämlich soziale, die soziale Mischung im Bezirk ändert sich. In Berlin Prenzlauer Berg ist das sehr deutlich. Bis zu 80 Prozent spricht man da von Bevölkerungsaustausch, überwiegend wird jetzt der Bezirk von Akademikern bewohnt. Was passiert da mit der Identität einer Stadt oder eines Stadtteils, wenn wir es mal über Prenzlauer Berg hinaus sehen?

Häußermann: Das mit den 80 Prozent Austausch, das ist so ein Mythos, das ist ein Glaube, das kann niemand nachweisen, dass das so ist, weil die Mieter, auch die Mieter in dem Haus, hatten ja die Möglichkeit, in Umsetzwohnungen im selben Bezirk, in derselben Nachbarschaft zu bleiben.

Heise: Wo sie dann allerdings kurz danach wieder raus mussten, weil auch das Haus dann saniert wurde – ein Fall in diesem ...

Häußermann: Na, die werden nicht um…, wenn sie umgesetzt werden in Sanierungswohnungen, dann ist es natürlich quatsch, aber in der Regel, also wenn es im Programm sozialer Stadterneuerung stattgefunden hätte, hätten die ja Umsetzwohnungen bekommen, die schon renoviert sind und hätten die Entscheidung gehabt, da zu bleiben oder wieder zurückzukommen. Das war jetzt eine private Sanierung, wo es auf die Kooperationsbereitschaft der Eigentümer anging. Und was in dem Haus der Fall war, waren die ja noch relativ kooperativ. Aber das Programm soziale Stadterneuerung gibt es seit 2005 nicht mehr im Prenzlauer Berg, und seither finden Umwandlungen eigentlich nur noch von privaten Investoren statt, mit dem Ziel, möglichst viel Geld zu verdienen. Und das bringt den radikalen Wandel. Bis 2005 war das eigentlich relativ gemischt, was hier abgelaufen ist, und es hing sehr viel davon ab, was die Mieter wollten. Und manche wollten ja, dass ihre Wohnung verbessert wird, manche wollten auch weg. So ein Sanierungseingriff ist immer ein Moment, wo jeder Mieter sich überlegt, will ich hier bleiben oder habe ich vielleicht doch andere Möglichkeiten, will ich vielleicht ganz aus dem Bezirk weg. Also das ist nicht alles Verdrängung. Verdrängung ist schon der Punkt, dass man sagt, es muss sich was ändern. Das bleibt keinem überlassen zu sagen, es darf sich nicht ändern, sozusagen ein Recht auf Substandardwohnen wird niemandem eingeräumt.

Heise: Über die soziale Mischung in den Städten spreche ich mit dem Stadtsoziologen Hartmut Häußermann. Herr Häußermann, glauben Sie, dass gerade im Prenzlauer Berg das Ende des Strukturwandels sozusagen erreicht ist oder wird das noch weitergehen?

Häußermann: Na, es werden noch Häuser saniert, aber wenn heute Häuser saniert und modernisiert werden, dann geschieht es halt unter den Bedingungen der marktwirtschaftlichen Rentabilität. Es gibt keine Zuschüsse mehr vom Senat, es gibt dann auch keine Sozialplanungen mehr, sondern dann wird es von privaten Investoren gemanagt. Und das mündet in der Regel in eine Umwandlung in Eigentumswohnung. Und das hat in der Regel dann auch einen sozialen Wandel zur Folge.

Heise: Und wie typisch ist das, was Sie da jetzt für Prenzlauer Berg beobachten, wie typisch ist diese Gentrifizierung für andere Viertel in Deutschland, beispielsweise mal Schanzenviertel in Hamburg?

Häußermann: Ja, generell gibt es in den – das ist nicht nur in Deutschland so, das ist in allen großen westeuropäischen und auch amerikanischen Städten so – gibt es eine Renaissance der Innenstadt, des Innenstadtwohnens. Es sind also weniger Leute, die wegziehen, wenn sie Geld verdienen, ins Umland und sich ein Eigenheim bauen, sondern mehr junge Leute wollen in den Städten bleiben. Und das hat einen langsamen Prozess der Veränderung der sozialen Zusammensetzung der Innenstädte zur Folge. Früher, in den 60er-, 70er-Jahren, jedenfalls im Westen, war das so, dass die Innenstädte eher die Wohnorte der ärmeren Bevölkerung waren, die, die es sich nicht leisten konnte, an den Stadtrand zu ziehen. Und das hat sich verändert. Heute wollen auch Leute, die Geld verdienen, in der Stadt bleiben. Und das führt natürlich dazu in der Marktwirtschaft, dass die mit weniger Geld die Verlierer sind.

Heise: Was ist da von politischer Seite aus zu tun? Ist die Politik verpflichtet Ihrer Meinung nach, für so eine soziale Mischung zu sorgen, mit Eingriffsmöglichkeiten?

Häußermann: Nach meiner Ansicht schon. Also Stadtpolitik soll ja nicht nur dafür sorgen, dass die Marktwirtschaft gut funktioniert, sie soll auch die Rechte und die sozialen Chancen von denen schützen, die einkommensschwach sind und am Marktgeschehen nicht so teilhaben können wie andere. Und insofern ist das schon eine Aufgabe der Politik, für die Rechte und auch für die Wohnmöglichkeiten von Haushalten mit geringeren Einkommen zu sorgen.

Heise: Aber genau da wird jetzt gespart, eben die erwähnten Programme werden gestrichen, das ist ja auch nicht nur in Berlin so. Wie sehen Sie da die Entwicklung?

Häußermann: Ja, es gibt ja auch viele Städte, die begrüßen diese Entwicklung. Die sagen, das spart ja Geld für die öffentlichen Haushalte, wenn privat saniert wird, wenn private Gelder in diese Erneuerung fließen, und deshalb wird da gar nicht so sehr viel dagegen unternommen. In Berlin ist die Situation ein bisschen anders, weil dieser Wandel, vor allem mit den Ostbezirken, also ausschließlichen Ostbezirken, ja sehr stark mit der Restitution von Privateigentum zu tun hat, weil hier flächendeckend eigentlich Vernachlässigung der Bausubstanz über 40, 50 Jahre der Fall war. Das hat man in westdeutschen Städten nirgendwo so.

Heise: Über den Strukturwandel in unseren Städten am Beispiel von Berlin Prenzlauer Berg sprach ich mit dem Stadtsoziologen Hartmut Häußermann. Herr Häußermann, ich bedanke mich für das Gespräch!

Häußermann: Bitte schön!

Heise: Einen schönen Tag noch!