Subtile Vergeltung

Richard Kämmerlings im Gespräch mit Frank Meyer |
Ein Kriminalroman sorgt für Verwirrung. Der schwedische Autor scheint nicht zu existieren. Stattdessen soll der Feuilletonchef der "Süddeutschen Zeitung" das Buch geschrieben haben. Und warum? Um es dem Herausgeber der "FAZ" mal so richtig zu zeigen, vermutet Richard Kämmerlings.
Frank Meyer: "Vergeltung – der grausige Tod eines Großjournalisten", unter dieser Überschrift hat heute der Literaturchef der Tageszeitung "Die Welt", Richard Kämmerlings, einen langen Artikel veröffentlicht, und darin geht es um einen Kriminalroman, in dem er einen Rachefeldzug unter Großfeuilletonisten sieht.

Der Roman heißt "Der Sturm", der S. Fischer Verlag gibt als Autor den Schweden Per Johansson an. In dem Roman werden die abgenagten Überreste eines Mannes gefunden, und dieser tote Mann und sein Vorleben werden in dem Roman so beschrieben, dass nur einer als dieses Mordopfer in Frage kommt – Frank Schirrmacher, einflussreicher Feuilletonist und Herausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

So sieht es Richard Kämmerlings. Und er hat auch eine These, wer Frank Schirrmacher da so unappetitlich sterben lässt: Das soll niemand anderes sein als Thomas Steinfeld, einer der beiden Feuilletonchefs der "Süddeutschen Zeitung". Richard Kämmerlings ist jetzt für uns am Telefon, seien Sie herzlich Willkommen!

Richard Kämmerlings: Ja, guten Tag, Herr Meyer!

Meyer: Vorab kurz: Wir haben natürlich versucht vom S. Fischer Verlag und von Thomas Steinfeld eine Stellungnahme zu dieser Geschichte zu erhalten. Bisher haben wir da noch keine Antwort bekommen, also halten wir uns an Sie, Herr Kämmerlings. Warum soll denn der Tote in dem Buch Frank Schirrmacher sein?

Kämmerlings: Das ist relativ leicht festzustellen, weil es ziemlich direkte Hinweise gibt, nach denen die Identität des Toten also dann festgestellt wird. Wird gesagt, dass er eben ein mächtiger Chefredakteur einer in ganz Deutschland gelesenen Zeitung sei, es werden seine wichtigsten Themen, journalistischen Themen angeführt, das sind zum Beispiel die Gentechnik, die Demografie-Debatte, aber auch die Finanzkrise und die IT-Technologien und ihre gesellschaftlichen Folgen – also alles Themen, mit denen sich Frank Schirrmacher im "FAZ"-Feuilleton seit Jahren beschäftigt hat. Und hinzu kommen also dann noch Hinweise darauf, dass er eben auch publiziert hat und seine Bücher erwähnt, die eben auch an Schirrmachers Bestseller-Erfolge erinnern.

Meyer: Und das kann aber nur entschlüsseln, wer jetzt das "FAZ"-Feuilleton regelmäßig verfolgt, also das sind Hinweise nur für Eingeweihte?

Kämmerlings: Na ja, was heißt Eingeweihte, sagen wir mal so: Der besser informierte Zeitungsleser in Deutschland, dem werden diese Dinge sehr bekannt vorkommen, und es gibt da glaube ich … Ich meine, er ist ja nun mal ein Bestseller-Autor, er ist ja nicht einfach ein Journalist, der für einen kleinen Zirkel schreibt, sondern er hatte ja riesigen Erfolg mit seinen Büchern "Das Methusalem-Komplott" und auch "Minimum", und er hat auch andere Debatten angestoßen, das heißt, er ist ja durchaus eine sehr prominente publizistische Figur, und daher glaube ich schon, dass also der normale buchaffine Leser in Deutschland sehr schnell erkennen wird, wer hier gemeint ist.

Meyer: Und warum soll der Autor, der nun dieses alter Ego von Frank Schirrmacher, wie Sie sagen, da zu Tode kommen lässt unter ziemlich unappetitlichen Umständen, warum soll das nicht der Schwede Per Johansson sein, sondern der Feuilletonist Thomas Steinfeld?

Kämmerlings: Na, sehen Sie, ich habe diesen Roman ja auch erst mal ganz naiv, sage ich mal, gelesen, weil das einfach interessant klang, und man hat dann schon rasch den … oder man beginnt sich rasch zu wundern, was denn eigentlich einen unbekannten schwedischen Autor so an dieser Schirrmacher-Figur reizen soll, was der überhaupt mit diesen deutschen Feuilleton-Debatten zu tun hat und warum den das so beschäftigt. Und wenn man sich dann die Biografie ein bisschen näher anguckt – es gibt sogar ein Autorenporträt dabei –, dann stutzt man umso mehr, weil da eben erwähnt wird, er lebe seit Langem in Berlin, er gehe da künstlerischen Interessen nach, er habe eine Firma, die Homepage ist für Künstler, er stellt … und nebenbei hätte er einen Bauernhof eben irgendwie in Südschweden. Das ist alles ein bisschen kryptisch, weil man von diesem Autor halt noch nie vorher irgendwas gehört hat und auch eben im Internet oder sonst wo sich also keine Spur findet. Per Johansson ist natürlich ein häufiger Name, man findet diverse Per Johanssons, Handballspiele und andere, aber von diesem Autor ist nirgendwo was zu finden.

Meyer: Es dürfte ja dann auch keine schwedische Ausgabe geben und keine Übersetzerin, wenn Ihre These stimmt. Haben die das so kriminalistisch verfolgt, ob das alles so ist?

Kämmerlings: Ja, das ist doch so. Es gibt im Buch zwar einen Hinweis auf ein schwedisches Original, aber ohne Verlagsangabe, und die Übersetzerin, die hier Alexandra Grafenstein heißt und in Berlin leben soll, ist also auch nirgendwo aufzufinden. Es gibt kein Buch, ich habe kein Buch gefunden, das sie jemals übersetzt hätte. Also das halte ich eben auch für einen Fake.

Meyer: Also nicht Per Johansson – aber warum Thomas Steinfeld, warum soll er es sein?

Kämmerlings: Na ja, dann beginnt man, Indizien zu sammeln und fragt sich einfach, wer es sein könnte und wer wohl vielleicht einen Grund hat auch, seine Identität nicht gleich preiszugeben. Da kann man dann verschiedene … eine Art Täterprofil erstellen, wenn man da jetzt mal die Metaphorik wählen will, so eine Art Rasterfahndung: Welche Merkmale müssen zutreffen? Und es gibt eben ein paar Hinweise, also der Autor kennt sich offenbar sehr, sehr gut mit Schweden, speziell mit Südschweden, mit Schonen aus, er kennt sich sehr gut mit Kriminalromanen aus, hat offenbar sehr genau studiert, wie dieses Genre funktioniert, gerade die Romane schwedischen Typs. Es gibt ein paar auffällige Dinge im Buch, der Ermittler ist ein Lokalreporter namens Ronny, der dann ein bisschen versucht, das Ganze zu entwirren, der hört ständig Bob-Dylan-Songs, also sehr auffällig, und schließlich eben diese …

Meyer: Und Thomas Steinfeld ist auch ein bekannter Dylan-Fan, darauf wollten Sie hinaus.

Kämmerlings: Genau, genau, das sind alles Merkmale. Und dann eben natürlich muss er irgendwie eine Beziehung zu Frank Schirrmacher haben, weil sonst würde man ihn ja vielleicht auch nicht so aufs Korn nehmen, und ja, diese Merkmale treffen halt alle geradezu idealtypisch auf Thomas Steinfeld zu.

Meyer: Das sind alles Indizien, die Sie jetzt aufzählen. Haben Sie denn vom S. Fischer Verlag oder von Thomas Steinfeld selbst oder vielleicht auch von Frank Schirrmacher irgendwas zu Ihrer Theorie gehört?

Kämmerlings: Herr Steinfeld hat auf Anfrage sich nicht geäußert, der Fischer Verlag hat den Verdacht nicht dementiert, sondern hat nur gesagt, wir kommentieren solche Spekulationen nicht, und haben dann aber zugegeben, dass es sich um ein Pseudonym handelt. Also das steht auf jeden Fall fest. Und sie haben dann allerdings behauptet, es handelt sich um ein Autorenduo, das das Pseudonym wahren wolle. Das kann natürlich durchaus sein. Ich bin aber felsenfest davon überzeugt, dass eine Hälfte dieses Duos oder sagen wir mal mindestens die eine Hälfte dieses Duos Thomas Steinfeld ist. Jetzt kann man natürlich versuchen, noch einen Coautor ausfindig zu machen.

Meyer: Na ja, bleiben wir erst mal bei dem. Deutschlandradio Kultur, wir reden mit Richard Kämmerlings, Literaturchef der Tageszeitung "Die Welt", über den Kriminalroman "Der Sturm". Wir können uns ja auch mal die Gegenthese anschauen: Also warum sollte Thomas Steinfeld so etwas tun? Er ist ja bekanntermaßen ein kluger Kopf, ein respektabler Feuilletonist. Warum soll er mit einem abgeschmackten Krimi, mit so einer primitiven Rache an einem Kollegen, warum soll er damit seinen Ruf gefährden?

Kämmerlings: Ja, das ist eine gute Frage, da kann ich natürlich auch nur spekulieren. Es gibt naheliegende Gründe, die jeder Krimiautor wahrscheinlich haben wird, oder jeder auch, der vielleicht im Nebenberuf Krimis schreibt – einfach ein finanzieller, kommerzieller Grund, natürlich, Krimis und gerade skandinavische Krimis sind ja bestsellertauglich oder Bestsellerkandidaten. Das mag eine Rolle spielen. Und ganz offensichtlich gibt es hier, ja, eine offene Rechnung oder so etwas wie den Wunsch jedenfalls, ja, also die vielleicht Rivalitätsgefühle gegenüber der Konkurrenz, gegen einen Konkurrenten speziell, eben Chef eines anderen großen Feuilletons, ja, den eben symbolisch zu vernichten, könnte man oder muss man eigentlich nach Lektüre des Romans sagen.

Meyer: Interessant ist ja auch, wenn man jetzt auf Ihre Rolle bei dem Ganzen schaut, weil das Buch ist ja noch nicht veröffentlicht, Sie drücken diesem Buch diesen Stempel auf jetzt mit Ihrem Artikel: Achtung, Rachefeldzug Steinfeld gegen Schirrmacher. Andere Leser – darauf wollte ich vorhin auch mit meiner Frage hinaus –, die nicht so in unseren Feuilleton-Debatten drinstecken, würden das Buch vielleicht ganz anders lesen. Aber mit dem, was Sie jetzt dem Buch mitgeben, mit diesem publizistischen Erstschlag haben Sie das Buch gelabelt. Also eigentlich betreiben Sie, wenn das alles so stimmt, damit das Geschäft von Thomas Steinfeld.

Kämmerlings: Das könnte sein, das kann ich nicht ausschließen. Aber das ist immer ein Risiko bei solchen Geschichten, das liegt in der Natur von Skandalisierungen oder von, ja, also dass publizistische Aufmerksamkeit immer auch zum Verkaufserfolg beiträgt. Das ist bei anderen Literaturdebatten in der Vergangenheit ja nicht anders gewesen, von Helene Hegemann bis Christian Kracht und andere Namen kann man da nennen. Gut, aber da kann ich natürlich … Das kann ich nicht ändern. Ich kann es mir aber nicht vorstellen, dass der Autor darauf spekuliert oder der Verlag darauf spekuliert hat, dass es hier skandalisiert wird. Dafür ist das viel zu riskant. Es könnte ja sein, dass Frank Schirrmacher juristisch gegen das Buch vorgeht, es könnte auch sein, dass, ja, vielleicht es irgendwelche Leser auch natürlich abstößt, genau eben solche Insiderdebatten im Krimi zu verfolgen. Ich glaube schon, dass es als Krimi funktionieren soll und dass es auch als ein Krimi-Bestseller geplant ist. Die ganze Verlagsmaschinerie von Fischer steht ja auch dahinter mit entsprechenden Werbemaßnahmen und so weiter.

Meyer: Allerdings keine Autoreninterviews, weil der Autor ja nun irgendwie nicht greifbar ist. Aber weil wir gerade so im Raum der Verdächtigungen und Phantasien sind – Sie sind ja nun selbst auch kein neutraler Beobachter dieser ganzen Szene, Sie waren mal Redakteur bei der "FAZ", jetzt sind Sie bei der "Welt", die gerne auch so eine wichtige Zeitung wie die "Süddeutsche" oder die "FAZ" wäre. Ist das da auch mal ganz schön, so gegen die große Konkurrenz austeilen zu können?

Kämmerlings: Na ja, was groß und was klein ist, das überlasse ich anderen, das einzuschätzen. Ja, natürlich bin ich auch … Ich bin Literaturkritiker, ich bin Journalist, ich kenne beide Beteiligten, Schirrmacher kenne ich natürlich besser, weil ich lange bei der "FAZ" gearbeitet habe.
Meyer: Da war er Ihr Chef dann logischerweise.

Kämmerlings: Ja, genau, wie er eben auch – und das haben wir jetzt noch nicht erwähnt –, wie er eben auch lange Jahre, vor meiner Zeit allerdings knapp, oder sagen wir, ich habe es noch ganz kurz selber miterlebt, eben auch Chef von Thomas Steinfeld war, nicht? Das ist natürlich auch ein wichtiger Baustein. Aber noch mal zu der Frage zurück: Ich kann Ihnen versichern, dass ich keinen Roman in der Schublade habe.

Meyer: "Vergeltung – der grausige Tod eines Großjournalisten", so heißt der Artikel von Richard Kämmerlings heute in der Welt zu dem Buch "Der Sturm" von – vielleicht – Per Johansson. Das Buch wird in der nächsten Woche herauskommen. Herr Kämmerlings, vielen Dank für das Gespräch!

Kämmerlings: Ja, ich bedanke mich!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.