Ist die Doppelspitze noch zeitgemäß?
Wer führt die Grünen in die Bundestagswahl? Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt gilt als gesetzt, spannend wird es bei den Männern. Wie sinnvoll das Modell ist, darüber haben wir mit dem Politologen Michael Lühmann gesprochen.
Über die Spitzenkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen für die Bundestagswahl 2017 werden bis zum Januar knapp 60 000 Parteimitglieder abstimmen. Bei dem kleinen Parteitag am Samstag in Berlin fällt der offizielle Startschuss für die Urwahl. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt gilt als gesetzt, spannend wird es bei den Männern. Co-Fraktionschef Anton Hofreiter, Bundesvorsitzender Cem Özdemir sowie Robert Habeck, Umweltminister in Schleswig-Hostein haben ihre Kandidatur bereits bekanntgegeben. Weitere Bewerber können folgen.
Der Politologe Michael Lühmann hält die Konstruktion eines Spitzenduos weiter für sinnvoll. Damit könne zwischen dem zunehmenden realpolitischen Flügel und dem mittlerweile schwächeren linken Flügel ausbalanciert werden, sagte Lühmann im Deutschlandradio Kultur.
Doppelspitze muss den linken und den realpolitischen Flügel ausbalanciern
Eine Doppelspitze sei im Bundestagswahlkampf auch für die Wähler von Bedeutung. So fänden sich in Norddeutschland weiterhin viele linke Grünen-Wähler, die sich erheblich von den Wählern etwa in Baden-Württemberg unterschieden, erklärte der der Politikwissenschaftler vom Göttinger Institut für Demokratieforschung.
Mit Blick auf die vier Favoriten im Rennen um die beiden Spitzenplätze im Wahlkampf, Katrin Göring-Eckardt, Anton Hofreiter, Cem Özdemir und Robert Habeck, erklärte Lühmann, dass für das künftige geschlechterparitätisch besetzte Spitzenduo das Erfolgsmodell Baden-Württemberg mit dem dortigen "ökolibertären" grünen Ansatz "keine Blaupause" darstelle.
Erfolgsrezept Baden-Württemberg nicht einfach übertragbar
So sei einerseits schwarz-grün in Baden-Württemberg nicht automatisch auf Bundesebene zu übertragen und bereits in Bayern schwer vorstellbar. Auch in Mecklenburg-Vorpommern hätte die Partei selbst mit einem starken Realo-Kandidaten vermutlich ein schlechtes Wahlergebnis eingefahren. Im Unterschied zu einer mögliche Doppelspitze aus den Realos Göring-Eckardt und Özdemir gelte es im Führungsduo mehr abzubilden: "Auch weil die Partei in ihren ideologischen Grundsätzen nie eine Partei war und bis heute nicht ist." Aufgabe des Führungsduos sei die Integration verschiedener grüner Positionen, um den absehbaren Streit über soziale oder Steuer-Themen gering zu halten. Zudem gelte es, nach Außen auszustrahlen. "Das war früher perfekt. Fischer war der, der nach Außen ausstrahlte. Roth war das Gewissen der Partei. Ob man sowas gerade hat, da bin ich mir nicht sicher." Mit dem aufwendigen Urwahlprozedere versuche die Partei auch, ihre Mitgliederzahlen wieder auf 60.000 zu bringen und sich von den etablierten Parteien abzugrenzen.
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Wir sollten uns nichts vormachen, die Zeichen stehen auf Wahlkampf. Es ist zwar noch ein Jahr, etwa ein Jahr bis zur Bundestagswahl, aber ab heute wollen die Grünen zum Beispiel die Weichen stellen. Sie treffen sich nämlich in Berlin, um auf einem kleinen Parteitag eine Urwahl einzuleiten. Die geht dann bis Januar, und dann sollen sie feststehen, die grünen Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl. Kandidaten gibt es einige. Kathrin Göring-Eckardt als Frau und Fraktionsvorsitzende gilt einigermaßen als gesetzt, und dann sind da noch ihr Amtskollege Anton Hofreiter, Parteichef Cem Özdemir und Robert Habeck, Umweltminister und Vizeministerpräsident in Schleswig-Holstein. Wer was für die Partei bedeutet, damit beschäftigt sich Michael Lühmann, Politikwissenschaftler am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Guten Morgen!
Michael Lühmann: Guten Morgen!
Welty: Aus vier mach zwei, das klingt jetzt nicht so kompliziert, ist es dann aber wohl doch, weil dieser ganze Prozess der Urwahl eben bis Januar dauert. Warum braucht das so lange?
"Versuch, so ein bisschen auch Frieden und Ruhe in die Partei zu bringen"
Lühmann: Ich glaube, auch um ein bisschen der Partei Zeit und Ruhe zu geben, dass die sich ein bisschen finden kann. Es ist ja durchaus so, dass die Grünen schon mal harmonischere Zeiten hatten, auch erfolgreichere Zeiten. In erfolgreichen Zeiten ist der Parteienstreit natürlich natürlicherweise auch deutlich gemindert. Ich glaube, das ist der Versuch, so ein bisschen auch Frieden und Ruhe in die Partei zu bringen, allen die Möglichkeit zu geben, ihre Stimme zu geben. Und gleichzeitig, da ist man natürlich auch ein bisschen ehrgeizig, wieder auf die 60.000 Mitglieder zu kommen. Man kombiniert das ja mit einer quasi Mitgliederneuwerbungskampagne. Und da war man schon mal, da will man auch wieder hin, das ist ja im Prinzip eine Katastrophe für die Grünen, dass man jetzt schon wieder verliert, wo man doch mal zwischenzeitlich zumindest hochgejazzt wurde als fast neue Volkspartei. Da will man auch ein bisschen sich bewegen in die Richtung.
Welty: Wie gesagt, gesucht werden zwei Kandidaten. Wäre es nicht einfacher oder auch effizienter, wenn sich die Grünen auf einen Spitzenkandidaten einigen. Oder, anders gefragt, wer braucht denn noch die Doppelspitze?
"Baden-Württemberg ist keine Blaupause"
Lühmann: Man kann es auch umdrehen und sagen, wäre es nicht einfacher, zwei Kandidaten quasi aufzustellen, weil die Partei immer noch in ihren ideologischen Grundsätzen nie war und auch bis heute nicht ist, nicht eine Partei ist, sondern immer einen mal stärkeren, mal schwächeren linken Flügel. Der ist mit Sicherheit gerade schwächer als der Realo-Flügel, das sieht man ja auch bei den Kandidaten. Durchaus die meisten Chancen haben mit Kathrin Göring- Eckardt, und manch einer wagt es vorherzusagen, Cem Özdemir, dass da quasi dann zwei Realos vornedran stehen. Aber im Prinzip muss man in der Partei ein bisschen mehr abbilden, und da ist eben Baden-Württemberg dann gerade keine Blaupause. Baden-Württemberg war historisch schon in den 80er-Jahren durch den öko-libertären Ansatz eigentlich immer eine Realo-Partei und hatte nie so einen relevanten linken Flügel. Das gilt für den Rest der Partei, vor allen Dingen in den Ländern, den Nordländern etwa, nicht ganz so stark. Von daher ist es immer noch zum einen notwendig, um was in der Partei abzubilden, was vorhanden ist. Und das andere ist natürlich, man markiert Differenz. Man will ja eigentlich nicht und man ist es auch nicht in allen Teilen, die etablierte Partei wie CDU und SPD sein. Das ist ja im Prinzip ein Effekt, der erst mit den Piraten aufkam, dass plötzlich die Grünen zu den Etablierten gehörten. Da gibt es auch durchaus Interesse, da als eine andere Partei immer noch wahrgenommen zu werden.
Welty: Aber wenn Sie gerade schon Baden-Württemberg erwähnen. Da sitzt der prominenteste Grüne, Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Der kann Wahlen gewinnen, das hat er bewiesen, und auch im sogenannten bürgerlichen Lager. Warum geben die Grünen diese Chance aus der Hand?
"Schwarz-grün als Modell zu übertragen ist nicht so ganz einfach"
Lühmann: Weil die ganze Bundesrepublik nicht so funktioniert wie Baden-Württemberg funktioniert, weil in Baden-Württemberg eben tatsächlich schon in den 80er-Jahren die Grünen über die Einheit von Wirtschaft und Ökologie gesprochen haben. Das hat sich dann natürlich übersetzt. Dann kommt dazu, es ist eine enorme Popularität, natürlich. Er hat den Ministerpräsidentenbonus, er hat dort aber auch schon immer eine gute Basis gehabt. Das ist nicht eben übertragbar auf alle Bundesländer, das hat man jetzt in Mecklenburg-Vorpommern gesehen. Dort hätte man auch mit einem starken Realo-Kandidaten wahrscheinlich ein schlechtes Wahlergebnis eingefahren. Das Modell ist eben nicht übertragbar auf die Bundesrepublik. Deswegen sollte man vorsichtig sein. Und es ist eben auch deswegen nicht übertragbar, und das ist das, was die Grünen ahnen, wissen, was auch jeder Beobachter weiß, alleine, wenn man nach München rübergeht, wenn man nach Bayern rübergeht, Schwarz-Grün als Modell zu übertragen einfach ganz simpel, das ist nicht so ganz einfach, weil dort eben die CSU hockt und die eben eine ganz andere Politik macht als die Grünen.
Welty: Wenn es bei zwei Leuten bleibt, was müssen die können, was müssen die mitbringen, damit die Partei reüssiert? Parteichefin Simone Peter hat ja schon gesagt, ich bin es nicht.
Lühmann: Was sie mitbringen müssen, ist zweierlei: Sie müssen ausstrahlen nach außen und nach innen. Es braucht also einen Integrator in die Partei hinein, damit der Streit möglichst gering bleibt, der wird kommen, über Sozialthemen, über Steuerthemen und so weiter. Und es braucht jemanden, der nach außen trägt. Das war früher quasi perfekt – was heißt früher, das war zu Zeiten von Fischer und Roth perfekt. Also Fischer war der, der nach außen wirkte, der in alle möglichen Milieus ausstrahlte, Roth war im Prinzip das Gewissen der Partei. Ob man so was gerade hat, da bin ich mir nicht so sicher. Weder strahlen sie alle wahnsinnig doll aus, noch sind sie alle die eine unumstrittene Führungsfigur, die die Partei hinter sich einigen kann. Also wird man das so ein bisschen arbeitsteilig bewerkstelligen müssen. Und da hat halt jeder seine Qualitäten. Özdemir ist gewachsen auf jeden Fall in den letzten ein, zwei Jahren, gerade in der sogenannten Flüchtlingskrise ist er gewachsen. Göring- Eckardt hat die Fraktion gut im Griff. Habeck hat einen ganz anderen Ansatz, hat einen größeren Ansatz, will größer denken, will weiter denken. Auch das ist etwas quasi, wieder Erzählung, wieder Idee in die Politik zu bringen, ist sehr wichtig. Und Hofreiter auf der anderen Seite – eigentlich bräuchte man ihn auch, weil man eben einen Kommunikator ins linke Lager braucht, gerade, wenn man sich überlegt, es könnte Schwarz-Grün kommen. Das muss eigentlich ein Partei-Linker, das sagte man früher immer über Trittin, also wenn jemand Schwarz-Grün in die Partei verkaufen kann, dann Jürgen Trittin oder eben ein linker Nachfolger.
Welty: Aber das, was Sie jetzt sagen, das klingt ja mehr nach Führungsquartett als nach Doppelspitze.
"Jemand, der vielleicht auch mal den einen oder anderen Ministerpräsidenten mit vorschnellen Ideen beruhigt"
Lühmann: Genau. Deswegen muss man aus vier dann doch irgendwie zwei machen, das reduzieren. Die Grünen sind ja auch schon mal mit einer Sechsfachspitze, wo dann noch die Europawahl quasi dazu kam, angetreten. Das ist dann wirklich irgendwann nicht mehr vermittelbar. Aber im Prinzip müssen die Personen, die dort antreten, all das mit bedenken, und jeder muss da irgendwie seine Rolle finden. Das hat man mit Göring- Eckardt und Trittin – das war ein Versuch 2013, der ging grandios schief, weil eben die Partei und die Wählerschaft, oder die erweiterte Wählerschaft, auf die man schielte, völlig unterschiedlich tickten. Insofern wird man sich da jetzt auch noch ein bisschen mit Ruhe und Überlegung an den Bundestagswahlkampf setzen müssen, was man dort eigentlich alles wagt und was man alles nicht wagt. Das ist völlig offen, und deswegen braucht es eben jemand, der auch die Partei beruhigt, die vielleicht mal den einen oder anderen Ministerpräsidenten mit vorschnellen Ideen beruhigt. Da braucht es eben aber auch ein starkes Votum, das ist eben auch wichtig. Das ist so eine Gefahr bei so einer Wahl natürlich, wenn jetzt dort drei Kandidaten so mit um die 30 Prozent rausgehen, dann sind alle drei Männer zumindest im Start erst mal geschwächt. Das kann sich dann ganz schnell wieder vergessen machen, und dann läuft der Wahlkampfmotor, und dann ist es auch egal, aber das ist eine Gefahr.
Welty: Die Bündnisgrünen stellen heute die Weichen in Richtung Bundestagswahl, und zusammen mit dem Politikwissenschaftler Michael Lühmann haben wir hier in "Studio 9" die diversen Optionen ausgeleuchtet. Haben Sie sehr herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Lühmann: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.