Was Frauen davon abhält, sich parteipolitisch zu engagieren
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Die SPD sucht eine Doppelspitze, doch es fehlt angeblich an "passenden Frauen". Die Sozialdemokratin Tatiana Herda Muñoz erklärt, vor welchen Herausforderungen man als Frau in der Politik steht.
Liane von Billerbeck: Am Sonntag endet die Frist für die Bewerbungen um den SPD-Vorsitz. Wenn Sie das vorhaben, Sie können es also noch tun, die nächsten paar Tage sind noch Zeit. Großes Problem für die Bewerbung: Die männlichen Kandidaten klagen darüber, dass sie keine "passenden Frauen" finden – gewünscht ist eine Doppelspitze.
Wir nehmen das zum Anlass und schauen auf die Ebene, auf der Politikerinnen anfangen, auf die kommunale Ebene, und fragen, warum es so schwer für Frauen ist, warum sie sich so schwertun, politische Spitzenämter zu übernehmen. Wir tun das gemeinsam mit Tatiana Herda Muñoz, die seit wenigen Tagen vereidigte Ortsvorsteherin im Mainzer Stadtteil Hechtsheim, ein bisher ziemlich konservativer Stadtteil. Sie ist die erste weibliche Sozialdemokratin in diesem Amt.
Sie haben schon anders gearbeitet im Ort, Sie sind Energie- und Klimaexpertin, haben erneuerbare Energien in Lateinamerika aufgebaut und waren kommunale Klimaschutzmanagerin der Stadt Mainz. Sie sind eine Rote im grünen Gewand, könnte man sagen. Nun sind Sie Ortsvorsteherin, eingeführt dort im August, die erste weibliche SPD-Ortsvorsteherin und die zweite Frau überhaupt insgesamt. Sie haben sich gegen vier männliche Mitbewerber durchgesetzt. Inwiefern haben Sie gespürt, dass Sie es als Frau dort schwerer haben?
Muñoz: Es hat eigentlich damit angefangen, dass sobald man als Frau in der Öffentlichkeit ist, muss man sich erst mal als Frau beweisen – und nicht als Mensch. Es ging oft nicht um die politischen Inhalte, sondern zunächst ging es darum: Habe ich Familie, bin ich verheiratet? Oder Sprüche wie: Sie sehen schon ein bisschen schöner aus als diese Männer, das ist schon ein Vorteil, wenn das alles so ästhetisch ist. Das heißt …
Billerbeck: Blanker Sexismus.
Muñoz: Ja, ganz klar. Einige haben sogar gesagt, das ist zwar sexistisch, aber Sie sehen schon gut aus auf dem Plakat, also ganz offen. Das war während der Wahlkampagne, immer noch geht es am Anfang des Gesprächs oft darum, dass ich eine Frau bin oder dass ich als Frau gewonnen habe, weil ich so aussehe, wie ich aussehe.
Cliquenbildung hindert Frauen
Billerbeck: Die Sätze kenne ich manchmal von Männern, die dann so Sätze sagen wie: Die weiß, wie es geht. Inwiefern haben Frauen in der Politik es schwerer, nach oben zu kommen? Warum greifen Sie nicht einfach selbstverständlich nach der Macht?
Muñoz: Ich glaube, das ist einfach nicht so weiblich. Wenn ich mich zurückerinnere an die Zeit, wo ich selbst in die Partei eingetreten bin, war das so, dass die Mechanismen innerhalb der SPD – und nicht nur innerhalb der SPD, das höre ich auch von anderen Frauen in anderen Parteien, weil wir auch überparteilich zum Teil sehr gut vernetzt sind –, dass diese Machterhaltung und diese Cliquenbildung innerhalb der Parteistrukturen dazu führt, dass ich als Frau keine Lust habe, wenn ich mich fachlich einbringen möchte oder politisch, mich erst mal da durchzukämpfen – und viele Männer übrigens auch nicht. Viele Männer, die nicht dieses typische "Ich gehe nach vorne" und "Ich will das" und so weiter haben.
Gestaltung statt Macht
Billerbeck: Aber gut, das ist der Preis, wenn man die Macht will, dann muss man sie sich nehmen.
Muñoz: Genau. Aber die Frage ist: Ich verbinde Politik gar nicht so mit Macht, nicht mit ich möchte jetzt Macht haben, weil für mich geht Politik nicht um meine Person in meiner Position, sondern ich möchte einfach gestalten. Es ist eher aus der anderen, aus der Perspektive der Lösung, von hinten her gedacht – und nicht von vorne, nämlich ich in der Macht, mit Macht.
Billerbeck: Die einzige SPD-Vorsitzende Andrea Nahles, das ist noch nicht lange her, dass sie weg ist, sie hat auch beschrieben, dass sie zwar in vielen Zirkeln war, aber dass es dann immer noch andere männliche Zirkel gab, die vorher oder hinterher getagt haben, zu denen sie keinen Zugang hatte. Was müsste denn passieren, damit in der Kommunalpolitik mehr Frauen aktiver werden und dass diese Ämter für Frauen attraktiver sind, denn auch als Oberbürgermeisterin gibt es immer noch viel zu wenige Frauen.
Muñoz: Auf jeden Fall müssen diese Cliquen und Machtstrukturen aufgebrochen werden, die Hierarchie; die starren Strukturen einer Partei aufgemacht werden. Das ist das eine, also die Systemfrage.
Frauen sollten sich gegenseitig ermächtigen
Billerbeck: Wie wollen Sie das machen, eigene Cliquen gründen oder Netzwerke?
Muñoz:Die habe ich ja. Das gehört dazu. Es sind zwei Perspektiven: Einmal das System an sich, aber auch die Frauen selbst. Wir Frauen müssen auch sagen, okay, die Männer arbeiten mit Netzwerken, mit Seilschaften, lasst uns auch genauso arbeiten. Das ist das Zweite: Ermächtigung. Eine Frau, die bereits sehr erfolgreich ist, sollte auch andere Frauen ermächtigen und die mitnehmen, reinholen und nachziehen. Das passiert in der SPD in Rheinland-Pfalz sehr stark, das war auch ein Grund, warum ich reingegangen bin, weil es hier sehr viele Frauen gibt, die in hohen Ämtern sind; wir helfen uns ganz stark gegenseitig. Aber das sind wiederum andere Hierarchien, wenn man reinkommt, dann muss man auch erst von den Frauen "entdeckt" werden.
Billerbeck: Sie vermutlich dann auch Ihre Nachfolgerin. Sie sind noch jung, Mitte 30 gerade mal, ich hoffe, Sie holen die Nachfolgerinnen dann nach, die auch in so ein Amt wollen mit ihren Erfahrungen.
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