Mediziner über Alkoholabhängigkeit
Wenn jemand Suchtprobleme hat, könne man nicht an dessen Eigenverantwortung appellieren, sondern man müsse dem Menschen helfen, sagt Georg Schomerus. © imago images / Ikon Images / Jens Magnusson
Das Umfeld hat eine Mitverantwortung
08:25 Minuten
Alkohol gehört für viele Menschen mit zum Alltag. Doch wann ist noch ein Glas ein Glas zu viel? Wenn jemand alkoholabhängig wird, habe das auch mit dem eigenen Umfeld zu tun, sagt Psychiater Georg Schomerus.
Rund drei Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland sind alkoholabhängig oder konsumieren Alkohol in missbräuchlichen Mengen. Darauf weist die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) hin.
Alkoholismus ist zwar eine anerkannte Erkrankung, doch in der Gesellschaft gibt es darüber unterschiedliche Ansichten, sagt Georg Schomerus, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Leipzig. Der Psychiater befasst sich unter anderem mit der Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Die eine Hälfte der Menschen bezeichne eine Alkoholabhängigkeit als Krankheit, die andere Hälfte sei diesbezüglich unsicher: „Selbst die Leute, die das für eine Krankheit halten, haben trotzdem das Gefühl, dass es doch in erster Linie ein Fehlverhalten ist, dass derjenige doch irgendwie selber schuld ist, dass er diese Krankheit bekommt.“
Die Abhängigkeit kommt schleichend
Dabei sei es wichtig, Alkoholabhängigkeit als Krankheit anzuerkennen, so Schomerus, denn die Sucht habe nicht nur gesundheitliche und soziale Konsequenzen für einen selbst, sondern auch für das Umfeld. Eine Abhängigkeit passiere auch nicht ad hoc, sondern es handle sich dabei um einen Prozess: „Es gibt sozusagen unproblematischen Konsum. Es gibt problematischen Konsum. Dann gibt es Konsum, der diese Schwelle zur Krankheit, was einfach eine Frage des Schweregrades ist, überschreitet. Und dann gibt es auch sehr schwer erkrankte Menschen.“
Niemand würde Alkohol mit der Absicht trinken, abhängig zu werden, so der Mediziner. Am Anfang stehe immer „ein Mensch mit einer Biografie in einer bestimmten Situation“. Menschen würden Alkohol trinken, weil es sozial erwartet werde, weil es dazugehöre und zunächst auch guttue. Wenn dann verschiedene Dinge zusammenkämen, könne sich der regelmäßige Alkoholkonsum aber zu einer Abhängigkeitserkrankung entwickeln.
Das Umfeld ist mitverantwortlich
Wenn eine Person alkoholabhängig ist, habe auch das soziale Umfeld eine Mitverantwortung, sagt Schomerus. „Substanzkonsum“ spiele sich immer in einem sozialen Raum ab:
„Und je schwerer jemand krank wird oder je schwerer ein Substanzproblem ist, desto mehr Verantwortung muss das Umfeld übernehmen. Also wenn ich einen schwer betroffenen Menschen auf der Straße liegen sehe, der völlig intoxikiert ist, dann kann ich nicht an dessen Eigenverantwortung appellieren. Das ist zynisch, sondern dann muss ich helfen. Und genauso ist es, wenn jemand eine langjährige schwere Abhängigkeit hat, dann braucht er auch sehr viel Hilfe von außen.“
Das Ziel dieser Hilfe müsse sein, dass die betreffende Person wieder in die Lage versetzt werde, mehr Eigenverantwortung für sich selbst zu übernehmen, sagt der Mediziner.
jde/dpa
jde/dpa