"Sucht ein Endlager, das befüllbar ist"

Stefan Martus im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Wohin mit dem Atommüll nach dem Endlagerkonsens? Der Bürgermeister von Philippsburg in Baden-Württemberg will den Müll auf keinen Fall im Zwischenlager am Ort und kündigt Proteste an.
Gabi Wuttke: Wohin mit dem Atommüll aus La Hague und Sellafield nun, da Gorleben nicht mehr zur Verfügung stehen soll? Das steht noch nicht fest, ist eine Lücke in der Einigung zwischen Bund und Ländern auf der Suche nach einem Endlager. Christdemokrat Stefan Martus ist Bürgermeister von Philippsburg in Baden-Württemberg, dessen ersten Block des Kernkraftwerks schon vom Netz ist, während der zweite noch Strom produziert und in dessen Zwischenlager jetzt kommen könnte, was eben nicht mehr nach Gorleben soll. Ich wollte von ihm wissen, warum er gegen eine entsprechende Entscheidung generalsstabsmäßig vorbereitete Demonstrationen angekündigt hat.

Stefan Martus: Ja, wir haben bereits im November 2011 im Gemeinderat eine Resolution verabschiedet, dass am Genehmigungsumfang und Genehmigungsinhalt und an der Rechtslage Zwischenlager Philippsburg bitte nicht mehr gerüttelt werden soll, nämlich, dass nur Castoren gefüllt mit Brennelementen aus Philippsburg Block eins und Block zwei eingelagert werden sollen.

Wuttke: Das heißt, Sie fühlen sich von Ministerpräsident Kretschmann überrollt?

Martus: Ich habe ja damals schon reagiert auf ein Ansinnen vom Umweltminister Franz Untersteller, dass er eben den Castortransport, der nach Gorleben ging damals, in Philippsburg enden lassen will, und wir haben hier die Region mobilisiert und einstimmige Resolutionen gegen solches Ansinnen durchgekriegt. Wir haben ja auch noch die Risiken hier in Philippsburg zu tragen der Produktion von Strom mit Kernenergie.

Dieser gesellschaftliche Kompromiss bei Einstieg in die Kernenergie von damals wurde ja auch schon mit der Zwischenlagerung aufgekündigt, und gegen den Widerstand der Stadt Philippsburg hatten wir hier ein Zwischenlager zu erdulden, das immer noch steht und bis 2047 genehmigt ist. Und damals dann, gegen den Widerstand der Stadt, hat man uns versprochen: Es kommen dann nur Castoren mit Brennelementen aus Philippsburg rein. Und es kann irgendwann nicht mehr angehen, dass dieser Kompromiss schon wieder aufgekündigt wird.

Wuttke: Was wäre denn für Sie transparent und pluralistisch gewesen oder würde sein?

Martus: Es ist ein guter Kompromiss, endlich ein Endlager finden zu wollen und auch bauen zu wollen und dann auch einlagerungsbereit zu bekommen, das ist der richtige Weg. Aber das Ganze auf Kosten von bisherigen Genehmigungen und Rechtslagen zu tun – wenn dieser gesellschaftliche Kompromiss aufgekündigt wird, dann, denke ich, ist ziviler Ungehorsam angesagt.

Wuttke: In welcher Form?

Martus: In der Form, dass wir alle Rechtsmöglichkeiten vorab ausschöpfen werden, und sollten die nicht ausreichen, wir natürlich auch demonstrieren, mit mir an der Spitze.

Wuttke: Wie sieht es da mit dem juristischen Weg aus? Sehen Sie sich denn da gewappnet? Würden Sie vor ein Gericht ziehen?

Martus: Wir werden natürlich, bevor wir auf die Straße gehen, zunächst die Rechtsmittel ausschöpfen, ganz klar. Und da sieht es ja momentan so aus, dass der Einzige, der den Antrag stellen kann, weitere Castore aufzunehmen, die EnBW ist. Und wie das Land Baden-Württemberg die EnBW dazu bekommen will, entsprechend den Antrag zu stellen, das bleibt hier mal abzuwarten.

Wuttke: All Ihre Planung – Sie sind seit 2005 Bürgermeister von Philippsburg –, all ihre Planung für die Stadt und die Pläne, die die Philippsburger gemacht haben, die sind jetzt auch wieder über den Haufen geworfen.

Martus: Ja, eigentlich nicht. Wir haben uns ja auf die Energiewende eingestellt, sind auch aktiv die Energiewende angegangen. Wir haben zum Beispiel die größte Aufdach-Solaranlage in Deutschland auf dem Europäischen Zentrallager der Goodyear. Wir sind uns bewusst, dass wir den Strukturwandel Energiewende hier vor Ort angehen müssen, ganz klar. Aber hier gilt es jetzt einfach, ein klares politisches Signal zu setzen: Sucht ein Endlager, das befüllbar ist, für das die Zwischenlagerung an den Standorten und die Stilllegung und der Rückbau auch funktioniert.

Wuttke: Und Sie würden auch kein Trostpflaster annehmen, welcher Art auch immer?

Martus: Was für ein Trostpflaster schwebt Ihnen da vor?

Wuttke: Ich frage eigentlich Sie, welches Trostpflaster Ihnen vorschweben könnte.

Martus: Eigentlich keins, weil es ganz klar der gesellschaftliche Kompromiss war bei Ansiedlung der Kernenergie, nie mit der Abfallthematik betraut zu werden. Dieses ist schon einmal 2001 gebrochen worden, und irgendwo müssen wir jetzt politische Signale setzen und sagen: Findet endlich ein Endlager. Für schwach- und mittelradioaktive Abfälle haben wir ja auch die Erfahrung, dass Schacht Konrad genehmigt ist, durch alle Rechtsinstanzen gegangen ist und immer noch nicht geöffnet ist, und wir brauchen jetzt auch Schacht Konrad für die Stilllegung und den Rückbau.

Wuttke: Aber Sie verstehen auch die politische Bredouille, dass eine neue Suche mit einem neuen Gesetz noch mal einen Prozess von mehreren Jahrzehnten in Gang setzt? Und in dieser Zwischenzeit muss ja was mit diesen Abfällen passieren.

Martus: Klar, aber vielleicht kann man auch andere Lösungen finden …

Wuttke: Welche?

Martus: … denn man hat ja die Zwischenlager hier vor Ort eingerichtet, damit Transporte vermiedet werden. Es gibt ja durchaus auch Verhandlungsmöglichkeiten mit der Wiederaufarbeitung in Le Hague und Sellafield, entsprechende Dinge auszumachen.

Wuttke: Haben Sie das mal angemerkt an anderer Stelle?

Martus: Noch nicht, aber ich werde das noch tun, wenn die erste Pressewelle, die momentan über die Standorte weggeht, abgeebbt ist.

Wuttke: Sind Sie eigentlich zurzeit Einzelkämpfer oder sind Sie schon in Kontakt mit anderen Bürgermeistern, deren Städte zu Zwischenlagern werden könnten?

Martus: Ich habe die anderen Bürgermeister ständig in Kontakt, die kerntechnische Anlagen haben. Wir haben uns da auch zusammengeschlossen bei einem Arbeitskreis. Und ich weiß mich auch gut aufgestellt, da die Resolution aus dem Jahr 2011 mit Sicherheit auch 2013 noch ihre Gültigkeit hat.

Wuttke: Nun hat ja Philippsburg so gesehen eine wechselhafte Geschichte, denn Sie haben ja – und das ist ja auch Teil Ihrer Position und wiederum Teil des Problems – schon mal einen Ausstiegsbeschluss gehabt, der zurückgenommen wurde, dann kam die Energiewende. In einem Interview vor ungefähr einem Jahr haben Sie uns gesagt, die Philippsburger seien relativ entspannt. Jetzt sind sie es nicht mehr. Andersherum gedacht: Sie leben schon so lange mit der Atomkraft, glauben Sie, dass das auch ein Kriterium war, um zu sagen, den Philippsburgern können wir vielleicht noch was zumuten?

Martus: Könnte durchaus ein Kriterium sein. Aber ich will jetzt mal mit Kleist antworten: Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Und für uns ist er gebrochen.

Wuttke: Sagt Stefan Martus von der CDU, Bürgermeister von Philippsburg. Ich danke Ihnen sehr!

Martus: Herzlichen Dank auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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