"Legalisierung bedeutet strengere Kontrollmechanismen"
Als Suchtforscher weiß der Mannheimer Oberarzt Derik Hermann um die Gefahren, die besonders Jugendlichen beim Cannabis-Konsum drohen. Dennoch würde er eine Legalisierung in Deutschland nach kanadischem Vorbild begrüßen.
Nicole Dittmer: Die Debatten über die Legalisierung von Cannabis, die werden in Deutschland seit Jahrzehnten geführt. Die Legalisierung würde die Aufklärung Jugendlicher erleichtern, sagen die einen. Cannabis ist eine gesundheitsschädliche Droge, die verboten gehört, die anderen.
Als Genussmittel ist Cannabis in Deutschland nach wie vor verboten. Schwerkranke bekommen es mittlerweile auf Rezept, aber auch nicht ganz einfach. Als erstes führendes Industrieland der Welt hat Kanada nun den Anbau und Verkauf von Cannabis legalisiert. Ein Schritt, der möglicherweise auch den Anstoß für andere geben wird oder sollte.
Derik Hermann ist Suchtforscher und leitender Oberarzt der Suchtklinik in Mannheim. Einen schönen guten Abend!
Derik Hermann: Guten Abend!
Dittmer: Herr Hermann, auf einer Skala von eins bis zehn, für wie gefährlich halten Sie Cannabis?
Hermann: Ich würde das so in den mittleren Bereich einschätzen, so bei vier bis fünf.
Dittmer: Das Image ist ja ein ganz entspanntes, also Cannabis ist entspannend und harmlos, zwar nicht erlaubt, aber in Städten wie Berlin gehört es eigentlich zum Alltag. Jeder weiß, wo man es bekommt. Ist das auch eine der Gefahren, diese allgemeine komplette Verharmlosung?
Hermann: Ja, das ist sicherlich auch eine Gefahr, weil Cannabis ist nicht harmlos. Cannabis kann eine ganze Reihe von gesundheitlichen Problemen verursachen, deswegen muss man das Ganze schon auch kritisch sehen.
Lungenschäden und mehr Unfälle
Dittmer: Was sind Ihre Erfahrungen in der Praxis, welche Auswirkungen hat regelmäßiger Cannabiskonsum bei den Menschen?
Hermann: Die gesundheitlichen Gefahren von Cannabis bestehen zum einen darin, dass es das Auftreten von Psychosen fördert, die mit Halluzinationen und Paranoia einhergehen. Außerdem kann regelmäßiger Cannabiskonsum zu Abhängigkeit führen. Er beeinträchtigt Gedächtnisleistung, Aufmerksamkeit, das Lernen, und dazu kommt natürlich auch, dass, wenn es geraucht wird, Lungenschäden entstehen können, und wenn man quasi im intoxikierten Zustand nicht mehr ganz aufmerksam ist, auch mehr Unfälle entstehen.
Dittmer: Jetzt ist es ja nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Heranwachsenden sehr verbreitet. Ich könnte mir vorstellen, dass es da noch mal deutlich gefährlicher ist, oder?
Hermann: Das ist richtig. Die wissenschaftlichen Untersuchungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass Cannabis besonders bei Jugendlichen schädlich ist oder zu mehr Problemen führt. Das liegt daran, dass es quasi körpereigene Cannabinoide gibt, die bei der Gehirnentwicklung eine große Rolle spielen, und wenn da quasi Cannabis dazwischenfunkt, was geraucht wird, dann kann dieser fein abgestimmte Prozess der Vernetzung im Gehirn nicht richtig stattfinden. Deshalb ist Cannabis gerade für Jugendliche gefährlicher.
Dittmer: Auf welcher Seite stehen Sie in dem Zusammenhang dann mit der Legalisierungsdebatte?
Hermann: Eins der Ziele der Legalisierung ist ja, den Jugendschutz zu verbessern, und das ist ein Punkt, den ich auch sehr wichtig finde. Von daher finde ich, ist es ein ganz guter Ansatz. Man darf nicht vergessen, die Legalisierung bedeutet gleichzeitig, dass man sehr strenge oder strengere Kontrollmechanismen einführt, die den Verkauf betreffen. Das heißt, gleichzeitig mit der Legalisierung wird es auch ein deutliches Verbot des Verkaufs an Jugendliche geben, und das ist sicherlich ein wichtiger und guter Punkt.
Dittmer: Gibt es vielleicht noch den anderen? Es gibt ja die unterschiedlichsten Sorten von Cannabis, und dementsprechend variiert auch der Wirkstoffgehalt. Wäre das mit einer Legalisierung auch besser zu kontrollieren, wenn man – in Anführungsstrichen – "nur" kontrollierte, saubere Drogen zum Verkauf freigibt?
Hermann: Genau, das sind zwei Aspekte, die Sie ansprechen. Das eine ist wirklich die Frage des Wirkstoffgehaltes, und da hat man beobachtet, dass auch dadurch, dass Cannabis verboten war, es Züchtungen gegeben hat, die eine stärkere Cannabiswirkung herbeiführen wollten, und der Anteil an THC ist quasi in den letzten 20 Jahren von vielleicht acht Prozent auf etwa sechzehn Prozent gestiegen. Das heißt, Cannabis ist heute stärker als früher. Das kennt man auch aus anderen Prohibitionsgeschichten. Beim Alkohol, in den USA früher, hat man dann auch Schnaps oder Whisky gebrannt, statt normales Bier zu trinken. Das macht Cannabis gefährlicher, wenn der Wirkstoffgehalt so hoch ist.
Suchttherapien sind sehr aufwendig
Dittmer: Wie schwer ist es, wenn man einmal abhängig ist, davon wieder loszukommen?
Hermann: Das ist natürlich nicht ganz einfach. Ich arbeite ja in einer Suchtklinik, in der sich auch Cannabisabhängige behandeln lassen, und das ist wie bei anderen Abhängigkeiten auch. Eine Abhängigkeit ist ja dadurch gezeichnet, dass man nicht mehr freiwillig und mit dem freien Willen einfach entscheiden kann "Ich höre jetzt auf", sondern da muss man doch sehr viel aufwendigere Therapien machen. Das macht doch auch häufig gerade im sozialen Umfeld deutliche Schwierigkeiten, wenn jemand eine Abhängigkeit entwickelt hat.
Dittmer: Aber insgesamt, habe ich aus diesem Gespräch jetzt rausgehört, dass es langfristig sinnvoll ist, wenn Deutschland dem Vorbild Kanadas folgt.
Hermann: Das würde ich auch so sehen. Vor allen Dingen muss man sich ja doch die Frage stellen, im Moment ist es ja schon so, wie Sie erwähnt haben, in Berlin gehört das mit dazu. Eigentlich ist Cannabis bei uns fast legalisiert, würde ich mal so sagen.
Dittmer: Na ja, legal würde ich das hier in Berlin nicht nennen!
Hermann: Genau, aber es ist – da gibt es auch Umfragen zu – wirklich für Jugendliche sehr einfach, an Cannabis ranzukommen, und das geschieht dann völlig unkontrolliert beziehungsweise nur durch die Beratung von einem Dealer, und das ist was, das ist sehr ungünstig. Viel besser wäre es natürlich, wenn das klar und kontrolliert abgegeben würde mit Qualitätskontrollen.
Dittmer: … sagt der Suchtforscher Derik Hermann. Vielen Dank!
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