"Ich bin wie eine Göttin des Wassers und der Liebe oder so"
"Think" ist die zweite EP von Sudan Archives. Wie bei ihrem Erstlingswerk ließ sie sich vom Geigenspiel der Sudanesen inspirieren - und legte darüber einen HipHop-Beat. Im Interview erzählt sie von ihrer Musik und warum sie ihre Violine mit aufs Klo nimmt.
Wie ein weiblicher Jimi Hendrix an der Geige, so kommt Sudan Archives live rüber - diese Musikerin aus Cincinnati, Ohio, die mittlerweile in LA lebt, mit ihrem voluminösen Afro und vor allem ihrer unorthodoxen Art ihr Instrument zu bearbeiten. Sudan Archives lässt die Violine nicht nur klingen, sie lässt sie krächzen, quietschen, benutzt sie perkussiv und singt dazu: R&B und Sprechgesang. Mit diesem Style und diesem Sound ist sie in LA sofort den Leuten bei Stones Throw aufgefallen. Eine Marke, die für experimentelle Musik steht, die vor allem auf Beats, Elektro und einem speziellen Element beruht. Und da veröffentlicht Sudan Archives jetzt ihre EP "Sink".
Vivian Perkovic: Was ist das für ein Verhältnis, das Sie zu Ihrem Instrument, zur Violine, haben?
Sudan Archives: Ich habe eine sehr enge Beziehung zu meiner Geige. Eines Tages, als ich jünger war, musste ich sie zeitweise abgeben, weil wir das Instrument nicht jeden Monat bezahlen konnten und ich war entsetzt und weinte: "Nein, ich liebe meine Geige, Ihr könnt sie mir nicht wegnehmen!" Also, ich habe eine wirklich sehr emotionale, enge Beziehung zu ihr. Ich nehme sie überall mit hin, sogar mit ins Badezimmer. Wir gehen sogar zusammen aufs Klo.
Perkovic: Sie haben eine ganz spezielle Art, Ihre Violine zu spielen, und die ist inspiriert von den Sudanesen und wie sie ihr Instrument spielen - also eine bestimmte Version, die Violine zu benutzen, die in Nordafrika vorkommt, und da hört man ja auch arabische Rhythmen und Tonleitern raus.
Sudan Archives: Ich reproduziere diese Rhythmen und Melodien auf der Violine und lege einen HipHop-Beat über das Ganze - das ist es.
Über den Vorteil, Außenseiter zu sein
Perkovic: Lassen Sie uns über Außenseiter sprechen. Sie sind streng christlich erzogen worden, interessierten sich mehr für Wissen als für Teenie-Oberflächlichkeiten, hatten nicht viele Freunde in der Schule, dann sind Sie sogar zu Hause rausgeflogen, weil sie nachts mit einem ihrer Freunde draußen waren, sind nach LA gezogen und waren wieder ein Außenseiter unter Geigespielern, unter den hippen Musikern des Stone Throw Umfeldes. Was ist der Vorteil daran, Außenseiter zu sein?
Sudan Archives: Der Vorteil, Außenseiter zu sein, ist tief in sich hineinzugehen und etwas zu finden, das man der Welt zurückgeben kann. Du fühlst dich allein, aufstrebend mit einigen sonderbaren Ideen, aber diese könnten sich als der nächste Hit herausstellen, den man gerne jeden Tag hört, weil er so beziehungsreich ist und so viel Gefühl hat.
Perkovic: Das fand ich schon immer in der Schule, die Leute, die Außenseiter waren, mussten sich mehr auf sich konzentrieren und später, wenn die Schule vorbei war, waren das die Coolen. Und die Leute, bei denen alles super war, bei denen war es eher mittelmäßig. Nicht jeder kann das. Man muss ja, so eine Art innere Autonomie entwickeln um das auszuhalten, weil einfach ist es ja nicht. Als Kind will man ja eigentlich dazugehören.
Sudan Archives: Ja, man muss etwas finden dem man sich hingeben kann, sodass man vom Schmerz abgelenkt ist. So war die Musik für mich ein wirklich gutes Hobby. Immer wenn ich mich allein fühlte, fing ich an Musik zu machen. Kindlich, aber ich habe versucht, eine Sammlung zu kreieren und alles mögliche Zeugs zusammenzubasteln. Es gibt dir ein gutes Gefühl, an etwas zu arbeiten. Ich ging zum Beispiel auch nie mit jemanden zusammen Mittagessen. Da ich in vier verschiedene Highschools ging, hieß es: "Ah, da ist das neue Mädchen! Sie ist cool! Hi!" Aber ich hatte keine wirklichen Freunde, zu denen ich mich setzen konnte. Also ließ ich das Mittagessen immer ausfallen und ging zu McDonalds oder ging in irgendwelche Geschäfte.
Perkovic: Wo sind Sie jetzt? Stehen Sie immer noch außen oder sind Sie im Zentrum, jetzt wo Sie Leute gefunden haben, die gleichgesinnt sind?
Sudan Archives: Das ist definitiv noch immer so. Musik ist zum Abheben, um die Welt zu bereisen, und nicht von 9 bis 17 Uhr zu arbeiten. Alles andere ist noch immer gleich. Ich habe natürlich ein paar Freunde – vier, fünf Leute. Aber es fühlt sich nicht nach "Cool Kid" an, sondern eher nach "Lame Kid".
"Nächstes Jahr gibt es den ganzen Teller auf einmal"
Perkovic: Bisher haben Sie den Menschen nur häppchenweise Musik abgegeben. Hier eine EP, jetzt noch eine. Was ist das denn für eine Taktik?
Sudan Archives: Ich habe noch viel mehr Musik und nächstes Jahr werde ich mich auch trauen, ein ganzes Album rauszubringen! Aber ich hatte das Gefühl, mich erst mal ein bisschen geheimnisvoll präsentieren zu müssen. Ich bin sehr geheimnisvoll, wie eine Göttin des Wassers und der Liebe oder so ähnlich. Und wenn ich da gleich ein Album herausgebracht hätte, ich glaube, die Leute wären erschlagen worden. Sie hätten so viel auf einmal gar nicht ertragen! Ich glaube meine Musik ist zu verrückt, deswegen will ich die Leute Stück für Stück dran gewöhnen. Ich verfüttere meine Musik sozusagen in kleinen Portionen: "Hier probiert das mal – schmeckt gut oder? Ja!" Das hab ich jetzt zwei Mal so gemacht. Aber nächstes Jahr – gibt es den ganzen Teller auf einmal.
Perkovic: Was hat sich denn mittlerweile in Ihrer Musik getan. Welche Entwicklungen gibt es?
Sudan Archives: Ach, es hat sich gar nicht so viel verändert. Aber ich habe gelernt, wie ich einen noch volleren Klang aus meiner Musik holen kann und da lege ich jetzt mehr Wert drauf. Die erste EP war von der Produktion her sehr einfach, sehr organisch – aber cool! Bei EP Nummer zwei sind sowohl die Produktion als auch die Texte einfach noch ein Stück besser als davor. Und in meinem neuen Album wird dann richtig gejammt, da werden dann auch mal fünf Minuten Soli auftauchen, das wird ziemlich verrückt.
Perkovic: Einen Song hat uns Sudan Archives auch eingespielt. Das war dann der Moment, wo dann aus den Fluren hier von Deutschlandfunk Kultur Menschen gekommen sind, um ihr zuzusehen – dieser großen, schlanken, langen, sehr schönen Erscheinung und vor allem ihrer Beseeltheit von der Musik. "Come Meh Way" hat sie eingespielt. Ein Song über einen Typen, den man sieht, und dem man sofort sagen will: "Hey, kommt Du mal mit!"
Hier gibt es den Song online zu hören: