Sudan

"Mehr Verantwortung übernehmen"

UN-Soldaten heflen in einem Flüchtlingscamp im Südsudan
Ein Flüchtlingscamp im Südsudan © picture alliance / dpa
Sarah Tangen im Gespräch mit Ulrike Timm |
Im Südsudan eskaliert die Gewalt, wie einst in Ruanda droht dort eine humanitäre Katastrophe. Um den Konflikt zu lösen, müssten auch Länder wie Deutschland sich mehr engagieren, sagt Sarah Tangen von der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Ulrike Timm: Im Südsudan droht eine humanitäre Katastrophe. Über eine Million Menschen sind auf der Flucht, die Feindschaft von Präsident und Vizepräsident ist in blutige Stammesfehden zwischen Dinka und Nuer eskaliert. Es hat Massaker gegeben, der Konflikt könnte in ein zweites Ruanda münden. So sieht es die UN-Menschenrechtskommissarin Pillay, die afrikanischen Nachbarstaaten sehen es so und so sehen es insgesamt 26 Hilfsorganisationen, die einen gemeinsamen Appell verfasst haben. Warum sich in Afrika Konflikte so oft an ethnischer Zugehörigkeit entzünden und wie sie die Situation im Südsudan sieht, das kann ich jetzt Sarah Tangen fragen. Sie leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung im Nachbarland, in Ugandas Hauptstadt Kampala, denn in den Südsudan kommt derzeit kaum jemand herein. Frau Tangen, ich grüße Sie!
Sarah Tangen: Guten Tag.
Timm: Dinka gegen Nuer – wer kämpft da eigentlich gegen wen?
Tangen: Das bezieht sich momentan hauptsächlich auf die beiden großen Volksgruppen der Dinka und der zweitgrößten, der Nuer. Ich glaube, es ist aber wichtig, dass wir erst noch mal darüber reflektieren, was der Hintergrund des Konflikts ist, bevor wir darüber sprechen, was die Folgen dessen waren oder auch sind. Der aktuelle Konflikt ist im Kern ein politischer Konflikt, der leider sehr schnell diese ethnischen Dimensionen annahm und auch diese Besorgnis erregende humanitäre Krise ausgelöst hat, die Sie in der Anmoderation erwähnt haben. Ausgangspunkt waren Machtkämpfe innerhalb der Regierungspartei SPLM und die Rivalität zwischen Präsident Salva Kiir und seinem ehemaligen Vizepräsidenten Riek Maschar, einem Nuer. Im Grunde geht es beiden Personen in erster Linie um die Durchsetzung der eigenen machtpolitischen Interessen. Da geht es vorrangig erst mal nicht nur um ethnische Zugehörigkeit.
Timm: Aus westlicher Sicht ist es ja erstaunlich: ein Machtkampf zwischen zwei Politikern eskaliert in Stammesfehden, die zu Massakern führen zwischen Dinka und Nuer. Deswegen noch mal die Frage: Wer kämpft da gegen wen?
"Kriegsherren, die ihre eigenen Interessen verfolgen"
Tangen: Das ist sehr schwer zu sagen. Auf der einen Seite hat man natürlich die Regierung und die Armee des Landes. Auf der anderen Seite hat man Gruppen, die sich um den Rebellenführer Riek Maschar geschart haben. Er hat ja zuerst gesagt, er hätte gar keine Rebellion vor gehabt, und hat dann aber doch sehr schnell Menschen mobilisiert. Das sind zum Teil junge Menschen, die White Army wird immer wieder erwähnt. Es sind sicherlich auch Kriegsherren, die ihre eigenen Interessen verfolgen. So ganz klar ist es nicht, wer tatsächlich auf der Rebellenseite kämpft. Das hat sich dann natürlich nach dem politischen Konflikt schon sehr schnell in diese ethnischen Kategorien begeben, der Konflikt, weil politische Loyalitäten im Südsudan sehr oft auch an diese ethnischen Komponenten geknüpft sind und ethnische Zugehörigkeiten sehr leicht für politische Interessen mobilisierbar werden, und das wird dann auch getan, ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung.
Timm: Inwiefern unterscheiden sich denn die Dinka und die Nuer? Sind das wirklich zwei Ethnien, die gegeneinander stehen?
Tangen: Es gibt im Südsudan 60 verschiedene Ethnien. Wir dürfen das nicht zu sehr reduzieren auf die zwei größten Ethnien. Es gibt Ethnien, es gibt Untergruppen, das ist sehr viel diverser, als man eigentlich annehmen möchte. All diese Gruppen haben sehr wenig miteinander gemeinsam, außer vielleicht die Abneigung gegen den Norden, und das war auch eine große Schwäche des Landes, dadurch, dass die Regierung es nicht geschafft hat, eine gemeinsame Identität und Basis aufzubauen. Über den Hass auf den Norden hinaus und über die Erinnerung an den Bürgerkrieg hinaus gibt es sehr, sehr viele Möglichkeiten, wie man ethnische Differenzen mobilisieren kann. Es gab auch vor dem Konflikt immer schon wieder Übergriffe, die nicht nur zwischen Nuer und Dinka stattfanden, sondern auch andere. Da ging es oft um Weideland und Viehdiebstahl. Aufgrund der großen Anzahl von Kleinwaffen, die im Land im Umlauf sind, und auch aufgrund der mangelnden Zukunftsperspektiven für junge Menschen eskalieren diese Konflikte sehr schnell. Wir dürfen jetzt nicht zu sehr reduzieren.
Timm: Südsudan ist ja überhaupt erst seit zweieinhalb Jahren unabhängig vom Sudan und der Sudan war lange britische Kolonie. In Ruanda war der Genozid ja auch eine Spätfolge der Kolonialzeit, als die Briten die Menschen dort zu Hutu und zu Tutsi überhaupt erst erklärten. Gibt es auch in dieser Hinsicht Parallelen im Südsudan, oder ist es tatsächlich ein rein ethnischer Konflikt?
"Die Briten haben viele verschiedene Länder zusammengepackt"
Tangen: Der jetzige Konflikt ist sicherlich eine Spätfolge von ganz vielen verschiedenen Komponenten. Der Sudan, bevor er sich dann in Südsudan und Sudan aufspaltete, war ja auch schon damals ein riesiges Land mit einer großen Anzahl verschiedener ethnischer Gruppierungen und die Briten haben, als sie dieses Land sozusagen geschaffen haben, einfach sehr, sehr viele verschiedene Länder im Grunde zusammengepackt. Das hat schon seit der Unabhängigkeit immer wieder für Probleme gesorgt. Die Briten haben das Land im Grunde im Norden entwickelt, im Süden haben sie es als großen Tierpark im Prinzip angesehen und haben wenig getan. Da gab es schon sehr viele strukturelle Ungleichheiten, die nach wie vor immer noch bestehen.
Jetzt im Prinzip selber muss man sagen, dass in Ruanda natürlich sehr viele Menschen in sehr kurzer Zeit ermordet worden sind. Diese Eskalationsstufe hat es im Südsudan natürlich zum Glück bislang noch nicht erreicht. Es ist noch nicht abzusehen, wie die Situation weitergeht, und es gibt noch sehr viele Stimmen, die befürchten, dass es weiter eskaliert. Man muss verstehen, dass viele Südsudanesen 2011 sehr euphorisch waren, als die Unabhängigkeit kam. Man hat sehr viel erwartet von der Unabhängigkeit. Man hat sich eine Art Friedensdividende versprochen. Die hat sich aber leider nie materialisiert. Es gab massive Korruption. Da hat man schon direkt nach der Unabhängigkeit sehr viele Fehler gemacht. Es gibt kaum Infrastruktur im Land, es gibt im Grunde kein tragfähiges Bildungs- oder Gesundheitssystem, die Frustration der Menschen ist einfach sehr hoch. All das kann wie gesagt instrumentalisiert werden und hat ein großes Pulverfass geschaffen, was jetzt explodiert ist.
Timm: Wir sprechen im "Radiofeuilleton" mit Sarah Tangen über die Stammeskonflikte im Südsudan, die in ein zweites Ruanda münden könnten. – Worum geht es denn in diesem Konflikt? Hat das auch mit dem Öl zu tun, mit Rohstoffen, oder sind es einfach Menschen gegen Menschen und von außen auch vielleicht schwer erklärbar?
Tangen: Ich sagte ja gerade, dass die staatlichen Strukturen sehr, sehr schwach sind im Land, nach wie vor, auch bis vor dem Konflikt, und es ist fast vollständig von den Erträgen seiner Öl-Ressourcen abhängig. Es ist im Grunde daher wenig verwunderlich, dass dieser Konflikt auch momentan sich hauptsächlich im ölreichen Norden austrägt und dass die zentralen Städte in diesen Gebieten, Malakal, Bentiu, im Grunde des Konflikts immer wieder erobert wurden, mindestens sechs oder siebenmal. Es gibt viele unterliegende Gründe, die diesen Konflikt möglich gemacht haben, und es gibt viele Interessen, und die beiden Hauptspieler, Kiir und Maschar, leben diese Interessen in vollsten Zügen aus und scheren sich im Grunde wenig darum, was für ein Leid die Zivilgesellschaft dadurch widerfährt.
Timm: Wer wiegelt die Menschen denn auf? Wer verbreitet denn Hasspropaganda, die die Dinka und Nuer so gegeneinander aufbringen? Spielen da die Medien eine Rolle?
Tangen: Die jeweiligen Personen, die für den Konflikt verantwortlich sind, haben natürlich auch ein Interesse daran, die Menschen zu mobilisieren für ihre Interessen, und die Medien wurden, wie man im letzten Fall auch in der Osterwoche in Bentiu gesehen hat, auch dafür benutzt. Es gab ja Aufrufe, beispielsweise Frauen zu vergewaltigen oder die Stadt zu säubern, und das hat viele auch an die Ereignisse in Ruanda erinnert, weswegen das sehr stark aufrüttelte. Wenn man teilweise auch in Internet-Foren liest, oder auch Kommentare zu Zeitungsartikeln, dann merkt man schon, wie sehr auch diese Hasspropaganda im Grunde weitergetragen wird in derartigen Formen hier.
Timm: Es heißt, eine Million Menschen seien auf der Flucht. Wohin gehen sie? Merken Sie das im Nachbarstaat Uganda?
Tangen: Ja. Diese Menschen sind zum einen im Inland auf der Flucht, aber auch in den Südsudan, nach Äthiopien oder auch nach Uganda. Uganda hat sehr viele Flüchtlinge aufgenommen, die sich hauptsächlich im Norden des Landes angesiedelt haben. Hier im Süden des Landes ist davon wenig zu merken.
Timm: Nun wollte die UN ja ihre Blauhelme im Südsudan verdoppeln. Bislang sind aber erst tausend zusätzliche Blauhelm-Soldaten eingetroffen. Woran hakt denn das?
"Deutschland hat gerade mal 15 Soldaten vor Ort"
Tangen: Ich glaube, die UN hat seit Ruanda schrittweise dazugelernt und hat auch die Mission mit ihrem robusten Mandat ausgestattet, was sicherlich in Bentiu Schlimmeres verhindert haben könnte. Wer nicht dazugelernt hat, leider, scheinen die Mitgliedsstaaten zu sein, die natürlich Gruppen für die UN-Mission zur Verfügung stellen müssen. Deutschland hat beispielsweise gerade mal 15 Soldaten vor Ort, während das deutsche Mandat 50 Soldaten erlaubt. Ich glaube, da muss man schon sehr auch noch mal die nationalen Entsendeländer auffordern, da einfach mehr Verantwortung zu übernehmen.
Timm: Nun haben 26 Hilfsorganisationen einen Appell veröffentlicht. Warum, meinen Sie, übersieht die Welt einmal mehr einen afrikanischen Konflikt?
Tangen: Dieser Konflikt hat sich ja schon seit Monaten angekündigt und Experten warnen ja schon seit längerem auch vor der Hungersnot und die Regenzeit setzt jetzt ein, die diesen Konflikt einfach noch weiter verschlimmern wird, dadurch, dass Krankheiten entstehen und auch das Pflanzen der Lebensmittel für den Herbst überhaupt nicht mehr weitergehen kann. Es ist ja eine Reaktion, die in sehr vielen Krisen auftaucht, dass gewarnt wird, aber dass die Ernsthaftigkeit einfach nicht ernst genommen wird, und wenn dann die großen Spendenaufrufe losgehen, es in der Regel schon zu spät ist.
Timm: Aber was kann man denn im Ausland oder vom Ausland aus jetzt derzeit tun?
Tangen: Jetzt geht es darum, dass man zum einen natürlich die versprochenen Gelder für die humanitäre Hilfe bereitstellt. Es ist wichtig, dass die Kämpfe aufhören. Das ist sehr wichtig. Dafür braucht man eine stärkere militärische Präsenz der UN. Die Entsendeländer müssen mehr Truppen bereitstellen, müssen gegebenenfalls auch das Mandat weiter erhöhen. Längerfristig wird eine Lösung der Krise aus dem Land selbst kommen müssen. Man muss sich anschauen, was die Krise verursacht hat. Im Grunde müssen beide Parteien Verantwortung für die Krise und für die Gewalt anerkennen und politische Konsequenzen daraus ziehen. Die Gräueltaten müssen aufgearbeitet werden und auch die Machtkonflikte innerhalb des SPLM müssen gelöst werden und dieser Reformbedarf, der gefordert wurde, ist notwendig und muss auch angegangen werden. Es ist wichtig, dass die Kämpfe selbst aufhören und dass dann danach politische Konsequenzen einfach gezogen werden.
Timm: Sarah Tangen leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung im Nachbarland des Südsudan, in Uganda, in Kampala. Vielen herzlichen Dank fürs Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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