Sudan und Äthiopien

Rückschläge für Frieden und Demokratie

26:11 Minuten
Äthiopier versammeln sich zu einer Demonstration zur Unterstützung der Regierung auf dem Meskel-Platz nach dem Vormarsch der Rebellen in der Provinz Oromiya und Amhara in Addis Abeba, Äthiopien am 07. November 2021
Der Konflikt zwischen dem äthiopischen Zentralstaat und der Volksbefreiungsfront von Tigray ist weiter eskaliert. In der Hauptstadt Addis Abbeba demonstrieren Menschen für die Regierung. © picture alliance / AA / Minasse Wondimu Hailu
Von Bettina Rühl und Udo Schmidt |
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2019 feierte Äthiopien den neuen Regierungschef Abiy Ahmed und im Sudan demonstrierten Hunderttausende Langzeitdiktator Bashir aus dem Amt. Aufbruch war zu spüren. Nun putschte das Militär im Sudan und in Äthiopien herrscht Krieg.
Tausende sind in die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba gekommen, sie tanzen, schwenken äthiopische Fahnen, kleine Wimpel in den Farben grün-gelb-rot. Das wirkt fast festlich, jedenfalls friedlich – ist aber eine Kampfansage: an die so genannte Volksbefreiungsfront von Tigray, kurz TPLF, die nur noch ein paar hundert Kilometer vor der Hauptstadt steht und seit rund einem Jahr mit der Regierung im Krieg ist.
Eine Kampfansage aber auch an die internationale Gemeinschaft, die seit Wochen an Regierung und Rebellen appelliert, die Kämpfe sofort zu beenden. Und die beide Seiten an den Verhandlungstisch kriegen will. Besonders engagiert: die USA. Tigist Lemma, eine der Demonstrierenden, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, was sie von solchen Appellen hält:
"Wir wollen keine Verhandlungen mehr! Warum verhandelt die US-Regierung nicht lieber mit Terrorgruppen wie der somalischen Shabaab-Miliz? Die USA wollen unser Land genauso zerstören, wie vorher Afghanistan. Sie werden damit keinen Erfolg haben, wir sind Äthiopier, an uns hat sich schon die italienische Kolonialarmee die Zähne ausgebissen. Mit der TPLF verhandeln? Mit denjenigen, die töten und uns vergewaltigen, die unsere Mütter und Väter erstochen haben? Niemals werden wir mit ihnen verhandeln!"

TPLF fühlt sich in einer Position der Stärke

In den vergangenen Monaten gingen in Addis Abeba die Sondergesandten ein und aus, sie versuchen, die Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bekommen – bislang ohne Erfolg. Billene Seyoum, Sprecherin des Büros von Ministerpräsident Abiy Ahmed, hat mit diesen Initiativen ein ganz grundsätzliches Problem, wie sie im Rahmen einer digitalen Pressekonferenz erklärte:
"Dieser Konflikt sollte nicht als ein Kampf unter Gleichen behandelt werden, da die Regierung in Addis Abeba laut Verfassung den Auftrag hat, den Frieden und die Sicherheit innerhalb des Landes zu wahren. Bei der TPLF handelt es sich um eine bewaffnete aufständische Gruppe, die in Einklang mit unserer Verfassung und den Gesetzen des Landes als terroristische Organisation eingestuft wurde."
Die TPLF beherrschte jahrzehntelang die äthiopische Politik und regierte das Land derart autoritär, dass sie vielen Menschen zutiefst verhasst ist. 2018 gab sie sich nach Demonstrationen vorerst geschlagen, machte den Weg frei für Abiy Ahmed. Doch der Machtkampf zwischen der TPLF und Abiys Regierung hielt an, eskalierte schließlich zum Krieg. Über die Bereitschaft der TPLF, die Kämpfe einzustellen und mit Verhandlungen zu beginnen, sagte TPLF-Sprecher Getachew Reda jetzt der Agentur AFP:
"Ja, dazu sind wir bereit. Aber wir können nicht mit jemandem verhandeln, der unser Volk immer noch im Würgegriff halten will, der Hunger und das Aushungern von Kindern als Kriegswaffe einsetzt."
Der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed Ali und seine Frau Zinash Tayachew nehmen am 3. November 2021 in Addis Abeba, Äthiopien, an einer von der Stadtverwaltung organisierten Gedenkfeier für die Opfer des Tigray-Konflikts teil.
Gedenken an die Opfer des Tigray-Konflikts: Der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed Ali und seine Frau Zinash Tayachew bei einer Gedenkfeier in Addis Abeba am 3. November 2021. © picture alliance / AA / Ethiopian Prime Ministry Office
Die Konfliktparteien werfen sich gegenseitig vor, Lebensmittellieferungen zu blockieren.
Allen Kriegsparteien werden außerdem Gräueltaten wie gezielte Tötungen, Folter und Massenvergewaltigungen zugeschrieben. Die TPLF fühlt sich derzeit in einer Position der Stärke und erklärt, sie sei zu Kompromissen nicht bereit.
Der UN-Sicherheitsrat forderte bereits Ende vergangener Woche einen sofortigen Waffenstillstand in dem ostafrikanischen Land. Auch, weil es ein Stabilitätsanker in der Region ist. Derzeit flüchten Tausende in das Nachbarland Sudan, in dem vor zwei Wochen das Militär geputscht hat.

Opposition im Sudan will keine Verhandlungen mit Militär

"Keine Verhandlungen, keine Partnerschaft, keine Anerkennung des Putsches!"
Mit starken Worten hatte der sudanesische Berufsverband am vergangenen Wochenende Gespräche mit den Putschgenerälen, vor allem mit Abdel Fattah Al-Burhan abgelehnt abgelehnt und zu neuen Protesten aufgerufen.
"Was die Verhandlungen betrifft, so sind wir daran überhaupt nicht interessiert", sagt Muhanna Mustafa Al-Nur, Sprecher des Verbandes. "Die Straße hat kein Interesse an diesem Thema. Die Straße hat ihre Bedingungen festgelegt. Keine Verhandlung: Weil wir versucht haben zu verhandeln, und das Ergebnis war ein mangelhaftes Verfassungsdokument. Keine Partnerschaft: Weil der militärische Partner sich als unzuverlässig erwiesen hat. Die Straße erklärt den Samstagabend zur Nacht der Barrikaden und den Sonntag und Montag zu Tagen des zivilen Ungehorsams."
Barrikaden wurden in Sudans Hauptstadt Khartum errichtet, Straßen versperrt, aber am Ende waren es nur wenige hundert Demonstranten, Lehrkräfte vor allem, die im Stadtteil Bahri vor dem Bildungsministerium eine Rückkehr zur Demokratie forderten und "General Burhan muss weg" riefen.
Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein, mehr als einhundert Menschen wurden festgenommen. An den Tagen zuvor waren deutlich mehr Menschen, Tausende durch die Straßen gezogen und hatten "Revolution, Revolution" gerufen.

Kommt Premier Abdalla Hamdok zurück?

Die Gespräche zwischen Putschisten und Mitgliedern der früheren Übergangsregierung, auch Verhandlungen direkt mit dem gestürzten Premier Abdalla Hamdok hatten Hoffnung auf eine friedliche Verhandlungslösung gemacht. Der saudische TV Sender Al Hadath berichtete über einen Souveränitätsrat, der gebildet werden solle, bestehend aus sechs zivilen Politikern, fünf Militärs und drei nicht näher bezeichneten Milizenführern.
Mohamed al-Sadek, einer der Führer der Bewegung der Kräfte der Freiheit und des Wandels zeigte sich optimistisch:
"Wir glauben, dass Abdalla Hamdok weiterhin eine wichtige Rolle spielen sollte, er ist zu einem Symbol der zivilen Struktur geworden. Wir befinden uns jetzt in einer kritischen Phase. Wir benötigen nationale Einsicht, um diese Krise zu überwinden und den Sudan vor dem Abgrund zu bewahren."
El-Wathig El-Berier, Generalsekretär der mächtigen Umma-Partei, gemäßigt islamisch und mit viel Rückhalt in der Bevölkerung, ist dagegen von Anfang an skeptisch:
"Für Hamdok ist eine Berufung durch den Militärrat nahezu unannehmbar. Wenn das Militär Hamdok zurück ins Amt des Premierministers holt, dann können sie ihn auch jederzeit wieder feuern, wenn er sich nicht an ihre Vorgaben hält. Genau das befürchten wir."
Die Hoffnung auf eine Lösung schwindet inzwischen, von Problemen bei den Gesprächen wird berichtet, die Militärs würden sich weigern, zu demokratischen Strukturen zurückzukehren. Immer mehr gilt, was der Umma-Generalsekretär bereits vor Tagen zu bedenken gab:
"Das Problem ist doch auch, dass der Protest auf der Straße weitergehen wird, weil die Menschen von der Rolle des Militärs nicht überzeugt sind. Für das Militär wird es schwer, diese Situation ohne Blutvergießen zu beenden, wenn es nicht wirklich für Vertrauen sorgt."

Übergangsregierung brachte neue Freiheiten

Und der ökonomische Druck auf den Sudan wächst. Die Übergangsregierung unter Hamdok hatte viel erreicht, Meinungsfreiheit, neue Freiheiten für Frauen, wirtschaftlich allerdings war der Erfolg bisher ausgeblieben. Vielleicht auch, weil die meisten großen Unternehmen des Sudan in der Hand des Militärs sind. Sie kontrollieren Unternehmen im Rüstungsbereich, im Goldhandel, in der Fleischverarbeitung. Geldquellen, die die Generäle auf keinen Fall aufgeben wollen. Gleichzeitig hat Frankreich inzwischen damit gedroht, den in diesem Jahr vereinbarten Schuldenerlass zurückzunehmen, es geht um immerhin mehr als vier Milliarden Euro.
Männer in Uniformen stehen vor einem Tisch mit Waffen
Die neue starken Männer im Sudan: der Vorsitzende des Souveränitätsrates , General Abdel Fattah Abdelrahman al-Burhan und der stellvertretende Vorsitzende Mohamed Hamdan Dagalo. © picture alliance / AA / Mahmoud Hjaj
Rückblende: Es ist der Sommer 2019. Die junge sudanesische Demokratiebewegung erkämpft und ertrommelt sich den Fortschritt. Am Ende mit Erfolg. Der Langzeitdiktator Omar Al-Bashir wird gestürzt, Abdalla Hamdok von den Kräften der Freiheit und des Wandels nominiert. Unterhändler Mohamed Nagy A-Asamm sagte damals:
"Wir kündigen heute an, dass wir, Kräfte des Wandels und Freiheit, Dr. Abdalla Hamdok vom zentralen Rat der Kräfte des Wandels als Premierminister nominiert haben. Wir haben ihn über diese Nominierung informiert."
Am 21. August 2019 wird General Abdel Fattah Al-Burhan als Präsident des Souveränen Rates vereidigt.
Die Übergangsregierung aus Zivilisten und Militärs ist gebildet, die sudanesische Arabellion war erfolgreich. Zumindest erst einmal. Die Konstruktion auf dem Weg zur Demokratie hält zwei Jahre, dann folgt der Putsch.

Kommen 2023 faire Wahlen im Sudan?

Inzwischen, im November 2021 hat sich auch der berüchtigte Kommandeur der schnellen Einsatzkräfte des Sudan, der Rapid Support Forces zu Wort gemeldet, General Mohamed Hamdan Dagalo, seinen Opfern auch bekannt als Hemedti oder als Schlächter von Darfur. Die RSF wird für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht.
"Ich unterstütze die jüngsten Entscheidungen der Militärführung, die notwendig waren, um die Richtung der Volksrevolution zu korrigieren und damit die Sicherheit und Einheit des Landes zu bewahren."
Hemedti zeigt sich vor laufenden Kameras allerdings grundsätzlich demokratiebeflissen, bekräftigt das Recht auf friedlichen Protest und spricht sich für Wahlen im nächsten Jahr aus.
Wahlen 2023, ernsthaft freie und demokratische Wahlen, daran mag derzeit im Sudan niemand glauben. Die Alltagsprobleme sind riesig, an der Grenze zu Äthiopien, zur umkämpften Provinz Tigray sind zudem mehr als 50.000 äthiopische Flüchtlinge untergebracht, geduldet, manchmal auch in Dörfern aufgenommen, in denen Äthiopier seit Generationen leben, aber immer in prekärer Lage.
Alles im Sudan wird jetzt davon abhängen, dass es Opposition und Militärs gelingt, eine neue, glaubwürdige und funktionerende Übergangsregierung zu bilden.
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