Sudetendeutsche Spaßguerilla
Mit Arroganz, fast mit psychophysischer allergischer Reaktion reagierte die geschichtsbewusste Linke in der alten Bundesrepublik auf die alljährlichen Vertriebenentreffen von Sudetendeutschen und Schlesiern.
Galt schon die Folklorepflege der alteingesessenen Germanenstämme als symbolischer Rückfall in die Barbarei von Blut und Boden, so waren die jährlichen Vertriebenentreffen – meist geadelt durch eine Ansprache des Bundeskanzlers – für die Linke blanker Revisionismus. Dass es sich in dieser Bewertung um starke Übertreibung handelte – genauso wie der immer wieder insinuierte Kurzschluss zwischen NPD und Vertriebenenverbänden -, müsste heute allen Beteiligten klar sein.
Nun hat sich eine 1971 geborene Schriftstellerin mit sudeten- und schlesierdeutschen Hintergrund, Emma Braslavsky, mit ihrem Romandebüt ans Werk gemacht, all die bösen Geister zu bannen und in Kunst zu sublimieren. Unzählige Fettnäpfchen stehen bereit – und Braslavskys souveräne Leistung ist es, all diese Fettnäpfchen literarisch virtuos auszuweichen – wie einst Mignon bei ihrem Eiertanz.
Braslavsky ist ebenso ein Sprach- wie ein Reflexionstalent. Ihre Protagonisten gehören der 68er-Generation an – sudetendeutsche "Umsiedler", wie man in der DDR sagte, in einer neuen, Erfurter Heimat. Ihr Engagement unterscheidet sich fundamental von der Nostalgie ihrer Eltern. Sie bilden eine Art sudetendeutsche Spaßguerilla. Sie bereiten sich auf eine Demonstration in Prag vor – und begreifen allmählich, dass "Heimat eine vergängliche Strecke im kosmischen Kreis ist".
Der Roman setzt ein mit der "Explosion" einer Erfurter Kirchturmuhr, bei der ausgerechnet die eschatologische Ziffer Sieben verloren geht. Überhaupt ist dem ganzen Text ein Gewebe von Reflexionen auf die Zeit und Zeitlichkeit eingelegt. Ein bei dem Uhrenunfall wie aus dem Nichts aufgetauchter Mann mit Amnesie entpuppt sich als hospitalisierter Mathematiker. Mit der Zeit sehen die Protagonisten (auf explizite Hauptfiguren verzichtet die Autorin) ein: "Sudetenland ist Nimmerland". In Rückblenden wird die Zeit der Judenverfolgung erinnert und die Zeit der grausamen Vertreibungen nach 1945.
Die geheimbündlerische ANS ("Auf in ein neues Sudetenland") hat mehr von der Kommune 1 als von Landsmannschaften. Und die Einsicht in die nivellierende Macht der Zeit lässt die ANS schließlich ein neues Betätigungsfeld finden: "Wir sind Künstler."
Emma Braslavsky ist eine ungemein begabte Debütantin, die gleich mit dem ersten Buch schwerste Gewichte stemmt – und doch federleichte, urkomische Prosa komponiert. Nichts spricht dagegen, das Debüt für Mut und Ausführung zu loben und sich auf Emma Braslavskys nächstes Buch zu freuen.
Rezensiert von Marius Meller
Emma Braslavsky: Aus dem Sinn
Claasen Verlag, Berlin 2007
362 Seiten, 19,95 Euro
Nun hat sich eine 1971 geborene Schriftstellerin mit sudeten- und schlesierdeutschen Hintergrund, Emma Braslavsky, mit ihrem Romandebüt ans Werk gemacht, all die bösen Geister zu bannen und in Kunst zu sublimieren. Unzählige Fettnäpfchen stehen bereit – und Braslavskys souveräne Leistung ist es, all diese Fettnäpfchen literarisch virtuos auszuweichen – wie einst Mignon bei ihrem Eiertanz.
Braslavsky ist ebenso ein Sprach- wie ein Reflexionstalent. Ihre Protagonisten gehören der 68er-Generation an – sudetendeutsche "Umsiedler", wie man in der DDR sagte, in einer neuen, Erfurter Heimat. Ihr Engagement unterscheidet sich fundamental von der Nostalgie ihrer Eltern. Sie bilden eine Art sudetendeutsche Spaßguerilla. Sie bereiten sich auf eine Demonstration in Prag vor – und begreifen allmählich, dass "Heimat eine vergängliche Strecke im kosmischen Kreis ist".
Der Roman setzt ein mit der "Explosion" einer Erfurter Kirchturmuhr, bei der ausgerechnet die eschatologische Ziffer Sieben verloren geht. Überhaupt ist dem ganzen Text ein Gewebe von Reflexionen auf die Zeit und Zeitlichkeit eingelegt. Ein bei dem Uhrenunfall wie aus dem Nichts aufgetauchter Mann mit Amnesie entpuppt sich als hospitalisierter Mathematiker. Mit der Zeit sehen die Protagonisten (auf explizite Hauptfiguren verzichtet die Autorin) ein: "Sudetenland ist Nimmerland". In Rückblenden wird die Zeit der Judenverfolgung erinnert und die Zeit der grausamen Vertreibungen nach 1945.
Die geheimbündlerische ANS ("Auf in ein neues Sudetenland") hat mehr von der Kommune 1 als von Landsmannschaften. Und die Einsicht in die nivellierende Macht der Zeit lässt die ANS schließlich ein neues Betätigungsfeld finden: "Wir sind Künstler."
Emma Braslavsky ist eine ungemein begabte Debütantin, die gleich mit dem ersten Buch schwerste Gewichte stemmt – und doch federleichte, urkomische Prosa komponiert. Nichts spricht dagegen, das Debüt für Mut und Ausführung zu loben und sich auf Emma Braslavskys nächstes Buch zu freuen.
Rezensiert von Marius Meller
Emma Braslavsky: Aus dem Sinn
Claasen Verlag, Berlin 2007
362 Seiten, 19,95 Euro