Sudhir Hazareesingh: „Black Spartacus"
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Freiheit und Gleichheit für Alle
06:16 Minuten
Sudhir Hazareesingh
Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Nohl unter Mitwirkung von Nastasja S. Dresler
Black Spartacus. Das große Leben des Touissant LouvertureC.H. Beck, München 2022551 Seiten
34,95 Euro
Toussaint Louverture kämpfte gegen die Sklaverei auf Haiti, indem er die Ideen der Französischen Revolution beim Wort nahm. Die Biografie „Black Spartacus" würdigt ihn als Pionier der Dekolonialisierung – und als Symbol für die Kraft kultureller Hybridität.
Man hat ihn den schwarzen Spartacus genannt oder auch den schwarzen Jakobiner: Der haitianische Politiker und Freiheitskämpfer Touissant Louverture (1743 – 1803) ist eine Symbolfigur der Dekolonialisierung, einer der großen Helden des antirassistischen Kampfs. Am Ende des 18. Jahrhunderts war er am ersten erfolgreichen Aufstand versklavter Menschen gegen ihre weißen Kolonialherren beteiligt – in der französischen Kolonie Saint-Domingue, in der daraufhin 1793 die Sklaverei abgeschafft wurde.
1801 ernannte er sich zum Gouverneur der Insel, ein wesentlicher Schritt auf dem Weg Haitis zur Unabhängigkeit im Jahr 1804; es war das erste lateinamerikanische Land, dessen Bevölkerung sich aus der kolonialen Unterdrückung befreite. Darum wird Touissant bis heute von antikolonialen und antirassistischen Emanzipationsbewegungen gefeiert – in der Karibik ebenso wie im Pazifik, in Afrika oder in den USA, bis hin zur Black-Lives-Matter-Bewegung.
Inspiriert von der Aufklärungsphilosophie
Der aus Mauritius stammende Historiker Sudhir Hazareesingh hat Touissant Louverture jetzt eine umfangreiche Biografie gewidmet. Er hat eine Vielzahl bislang unerschlossener Quellen gesichtet, um das Leben und politische Wirken des Revolutionärs in seiner Widersprüchlichkeit zu erfassen.
Dabei interessiert ihn besonders die Frage, welches Verhältnis Touissant zu den Ideen der Französischen Revolution besessen hat. Seine politische Karriere beginnt er 1791 als Kämpfer gegen die französischen Kolonialherren – dabei hat er, wie Hazareesingh zeigt, seine wesentlichen Inspirationen von französischen Aufklärungsphilosophen wie Diderot und Rousseau erhalten.
Die Proklamation von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ wird zur Leitidee seines politischen Programms. Er beansprucht die universellen Menschenrechte, die 1789 in Paris erklärt worden sind, tatsächlich für alle Menschen, gleich welcher Hautfarbe und Herkunft. Damit stößt er bei den französischen Revolutionären keineswegs durchweg auf Gegenliebe.
Doch gelingt es ihm durch kluges Paktieren eine Zeit lang, den Menschen in Saint-Domingue immer mehr Autonomie zu verschaffen – bis Napoleon Bonaparte nach seiner Machtübernahme die Sklaverei wieder einführt und Touissant nach Frankreich deportieren lässt. Dort stirbt er 1803 im Kerker, die Unabhängigkeit seiner Heimat hat er nicht mehr erlebt.
Der Stil ist nicht immer einfach
„Black Spartacus“ ist eine unerhört interessante und aufschlussreiche, allerdings nicht immer einfache Lektüre. Sudhir Hazareesingh wendet sich eher an ein akademisches Publikum. So beginnt er seine Erörterungen mit einer ausführlichen Quellen- und Literaturdiskussion und entwickelt die Biografie seines Helden aus dessen widersprüchlichen Rezeptionsweisen in den vergangenen 200 Jahren heraus.
Wer stattdessen erst einmal eine Einführung braucht über die Geschichte der Sklaverei in der Karibik und die Auseinandersetzungen der konkurrierenden Kolonialmächte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – die Touissant später als Freiheitskämpfer geschickt gegeneinander ausspielt –, sollte beim Lesen immer auch ein historisches Standardwerk parat liegen haben.
Gegen Identitätspolitik
Wer die Anstrengung auf sich nimmt, wird aber belohnt – so detailreich und bunt ist am Ende das Bild, das vom Leben und von den Ideen Touissants entsteht. Nicht nur in seinen politischen Überzeugungen verbinden sich europäische, afrikanische und karibische Einflüsse. Ebenso ist es in seinen kulturellen, vor allem musikalischen Vorlieben – und schließlich sogar in seinen Kampfkünsten und militärischen Strategien.
Hazareesingh zeichnet ihn als Symbol für die Kraft und die Utopie der Hybridität. Jeder Glaube an eine „schwarze“ Identität geht ihm schon deswegen ab, weil die Bevölkerung in Saint-Domingue aus so vielen verschiedenen Gruppen, Herkünften, Traditionen zusammengesetzt ist. Sein Ideal ist eine multiethnische Gemeinschaft, organisiert mit einer republikanischen Verfassung.
Das ist, wie Sudhir Hazareesingh selbst schreibt, vom postkolonialen Mainstream-Denken der Gegenwart mit seinen „falschen Idolen von Ethno-Nationalismus und Identitätspolitik“ weit entfernt. Umso dringender ist das Studium dieser außergewöhnlichen Biografie zu empfehlen.