Sue Klebold: "Liebe ist nicht genug"

Die Mutter des Amokläufers

Polizisten am Tatort der Columbine-High-School
Der Sohn von Sue Klebold war als einer von zwei Tätern am Amoklauf an der Columbine-Highschool am 20. April 1999 beteiligt. © dpa/picture alliance/Mark Leffingwell
Von Susanne Billig |
Beklemmend offen erzählt Sue Klebold in dem Buch "Liebe ist nicht genug" von ihrem Sohn, der an der Columbine-Highschool seine Klassenkameraden, Lehrer und anschließend sich selbst tötete. Sie vermisst ihn.
Ist es überhaupt möglich, ein seriöses Buch über einen Massenmörder zu schreiben, über einen jungen Mann, der mit einem halbautomatischen Gewehr an seine Schule ging, Klassenkameraden und Lehrer tötete – aus der Perspektive der Mutter, die diesen Sohn liebt und vermisst?
Am 24. April 1999 wohnte Sue Klebold der Einäscherung ihres Sohnes bei, der sich nach seinem Amoklauf an der Columbine Highschool in den USA selbst erschossen hatte. Nach jahrelangem Schweigen legt sie nun ein Buch vor, das ein tiefer Schmerz durchzieht. Sue Klebold weiß, was sie der Welt schuldig ist und dass sie es niemals erfüllen kann. Ihr Buch ist ein ständiger Eiertanz zwischen Erklärungen, Entschuldigungen, Reue, Trauer, der Frage nach den Ursachen und immer wieder dem Eingeständnis, dass nichts von dem, worum sie sich bemühen könnte, den überlebenden Opfern und den Hinterbliebenen helfen könnte. Ihr Buch ist das Zeugnis einer sehr speziellen Situation, die es so nur wenige Male auf der Welt gibt. Aber wie alles, das einer besonderen Perspektive entspringt, zieht es einen genau darum in seinen Bann.

Wäschekorbe voller Drohbriefe

Beklemmend offen erzählt Sue Klebold von der Zeit nach dem Attentat. Den schlaflosen Nächten, der Furcht vor den Drohbriefen, die wäschekorbweise eintrafen, der völligen Isolation und Einsamkeit, weil alle Nachbarn, Freunde, Selbsthilfegruppen, denen sie sich hätte anvertrauen können, später hätten gezwungen werden können, in Gerichtsprozessen auszusagen, denn die Klebolds sahen sich mit mehreren Dutzend Anklagen Hinterbliebener konfrontiert. Jahrelang stellten ihr Mann und sie sich dieselben bohrenden Fragen wie die Öffentlichkeit: Wie konnten sie als Eltern übersehen, was sich in ihrem Kind zusammenbraute? Welche fatalen Fehler hatten sie gemacht?
Niemand weiß, wie es wirklich zu Hause bei den Klebolds aussah. Sue Klebold schildert eine Mittelstandsfamilie, in der es ausgesprochen liebevoll zuging. Die Eltern nahmen sich Zeit für ihre zwei Söhne, begleiteten sorgfältig jeden Lebensschritt und suchten stets das Gespräch, als die Kinder zu sperrigen Teenagern wurden. Dylan tauchte manchmal vor dem Computer ab, manchmal schlief er schlecht, manchmal schien er abwesend. Aber noch wenige Tage vor dem Attentat ging er im schicken Smoking glücklich lächelnd zu seinem College-Abschlussball. Er saß, während er den Massenmord mit seinem Freund Eric Harris bereits minutiös vorbereitet hatte, Späße machend mit seinen Eltern am Abendbrottisch. Da erstickte sein Innenleben längst in Suizidsehnsucht und Depressionen.

Zeichen für Depressionen nicht erkannt

Differenziert untersucht Sue Klebold ihre Lage und die ihres Sohnes. Sie könnte über falsche Waffengesetze sprechen, sagt sie, über das Schulsystem oder über Mobbing. All das mag Teil des Ursachengeflechtes sein, ebenso wie die Fehler, die Eltern eben machen: mal selbst nicht gut drauf zu sein, mal zu streng und mal zu locker. Als folgenreichstes Versagen sieht Sue Klebold heute an, dass sie die Zeichen für Dylans Depressionen nicht erkannt hat. Heute engagiert sie sich in der Suizidprävention und spendet dorthin auch die Erlöse ihres Buches.

Sue Klebold: Liebe ist nicht genug – Ich bin die Mutter eines Amokläufers
Fischer Verlag
432 Seiten, 16,99 Euro

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