Südafrika

Erinnerungen an Nelson Mandela

Moderation: Britta Bürger |
Jürgen Schadeberg hat Nelson Mandela fotografiert, Nico Dekker einen Film über ihn gedreht. Im Interview sprechen sie über Leben und Persönlichkeit des großen Staatsmannes aus Südafrika.
Britta Bürger: Hier erinnerte sich der gestern Abend verstorbene Nelson Mandela an die 27 Jahre in Haft. Alleine im Gefängnis zu sein, sagte er, ist hart, sie haben mich isoliert, sie haben mich nicht bestraft, indem sie mir Post vorenthalten haben, aber sie haben dafür gesorgt, dass ich kein Gesicht von anderen Gefangenen sehe. Ich habe die ganze Zeit nur Wächter gesehen. Auch mein Essen ist von Wächtern gebracht worden. Sie haben mich morgens und nachmittags jeweils für 30 Minuten rausgelassen, wenn die anderen Gefangenen eingeschlossen waren.
Vier Jahre, nachdem Nelson Mandela 1990 aus Robben Island entlassen wurde, hat er das Gefängnis erneut besucht, in Begleitung eines deutschen Fotografen, den er schon als ganz junger Mann kennengelernt hatte, Jürgen Schadeberg. Wir erreichen ihn heute in Spanien. Schönen guten Tag, Herr Schadeberg!
Jürgen Schadeberg: Ja, hallo, guten Tag!
Bürger: Was haben Sie in solchen Momenten wie dieser Konfrontation mit dem Gefängnis von Nelson Mandela zeigen wollen?
Schadeberg: Ich wollte gerne ihn mal in seiner Zelle fotografieren, um zu zeigen, wo er 17 Jahre verbringen musste. Das hat er dann auch gerne gemacht. Ich habe ihn gefragt, ob er am Fenster steht, und dann stand er am Fenster und hat seinen Arm auf den Rand des Fensters gelegt, raus aus dem Fenster geguckt. Und dann habe ich ihn mehrere Male fotografiert. Erst mal von Nahem und dann ein bisschen weiter zurück. Und habe ihn gefragt, ob er sich ein bisschen ändert und so. Und dann habe ich gesagt, danke schön, das war schön. Dann hat er sich umgedreht und hat mich angelächelt. Aber das war dann kein normales Lachen, es war ein bisschen trauriges Lachen. Normalerweise lachte er immer sehr fröhlich, und ich habe dann gemerkt, dass er in diesen Minuten, wo er da stand, sind die 17 Jahre durch seinen Kopf gegangen, und durch die Erinnerung konnte er nicht schnell wieder normal reagieren. Das war für mich ein sehr trauriger Moment.
Bürger: Ist es auch für Sie persönlich das wichtigste Bild geblieben, das Sie von ihm gemacht haben, oder gibt es ein anderes Bild, das Ihnen am meisten am Herzen liegt?
Mandela strahlte Ruhe und Selbstkontrolle aus
Schadeberg: Ja, in einem Sinne ist das wahrscheinlich das wichtigste, denn das ist eben das, wo eine Person, die politisch gegen eine Regierung, wo man unterdrückt ist, kämpft, und irgendwie für mich sehe ich das in dem Bild. Ich habe auch noch ein anderes Bild, das ähnlich ist in einem Sinne, das habe ich in seinem Büro fotografiert 1952, wo er vor seinem Schreibtisch steht und hat ein paar Bücher unter den Armen und seine Brille in der Hand und steht auch ganz still, guckt ruhig runter. Und da ist eine Ähnlichkeit in seinem Blick. Was dabei auch rauskommt, ist eine gewisse Ruhe, die er ausstrahlt, Selbstkontrolle, ja.
Der Fotograf Jürgen Schadeberg mit einem seiner Mandela-Bilder
Der Fotograf Jürgen Schadeberg mit einem seiner Mandela-Bilder© dpa / pa / Lee
Bürger: Welche Details haben Sie an ihm beobachtet? Waren das Ausschnitte seines Gesichts, waren es die Augen zum Beispiel oder war es eine Haltung?
Schadeberg: Ich glaube, das ist die Haltung. Natürlich auch das Gesicht, aber auch die Haltung. Die Haltung passt in den Moment rein. Das ist schwer zu erklären, fotografisch. Normalerweise, wenn ich Menschen fotografiere, dann muss ich mehrere Aufnahmen machen, drei, vier, fünf Aufnahmen, bis ich ein Bild kriege, wo die Persönlichkeit in die hervorkommt, also die Seele kann man sehen. Mit Mandela brauchte ich das nicht. Im Büro, da habe ich nur zwei Aufnahmen gemacht, zwei Negative.
Bürger: Der Fotograf Jürgen Schadeberg hat viele Jahre seines Lebens in Südafrika gelebt und den dortigen Fotojournalismus maßgeblich geprägt. Seine Bilder halten Nelson Mandela lebendig. Herr Schadeberg, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Und gleich anschließend erreichen wir in Kapstadt Nico Dekker, den Geschäftsführer der Cape Town Film Studios. Dort wurde der neuste Kinofilm über Nelson Mandela gedreht, betitelt wie seine Autobiografie: „Der lange Weg zur Freiheit“. Gestern Abend, kurz bevor Mandela starb, hatte er Premiere in London, in Deutschland ist der Filmstart für den 30. Januar angekündigt. Herr Dekker, schönen guten Tag!
Nico Dekker: Guten Tag!
Bürger: Seit Monaten musste man mit dem Tod von Nelson Mandela rechnen, und doch kann man sich auf so was ja irgendwie gar nicht vorbereiten. Was geht Ihnen durch den Kopf und durchs Herz, seit Sie die Nachricht gehört haben?
Nico Dekker: Es stimmt ja, wir haben das natürlich erwartet, aber es ist trotzdem ein Schock und schwierig, da er eine so einmalige Figur war und das Land so gewaltig geprägt hat. Und ich denke, dass wir uns alle eigentlich sehnen nach dieser Art Bilder von ihm und seinem Vorbild, wenn man es so ausdrücken kann. Denn heute liegt eine Art Schwere im Land und auf den Leuten auch hier im Studio, hier wird eine Riesenserie gedreht über Piraten, aber man merkt, dass alle Leute an ihn denken, und sie haben kleine Bilder gemalt, wo sie sagen, leb wohl, Nelson Mandela, und so weiter.
Mandela glaubte an Frieden und Versöhnung
Bürger: Er wird heute in allen Nachrufen als Ikone dargestellt, als Idealbild eines Menschen, dessen moralische Werte zum Vorbild im Grunde der gesamten Menschheit taugen. Das war bestimmt nicht leicht, das in einem Film umzusetzen, ohne dass man da im Weihrauch erstickt. Was ist für Sie das Besondere an diesem neuen Mandela-Film?
Nico Dekker: Das stellt Nelson Mandela ganz anders da, denke ich, oder at least nicht als Saint oder als Art Märtyrer. Aber eher als normaler Mensch, der auch seine Fehler hatte. Mandela war immer sehr schnell, darauf hinzuweisen, dass er kein Heiliger ist, dass er überhaupt dieses Bild von ihm nicht gerne hat als jemand ohne Fehler. Er hat selber Schwierigkeiten gehabt in seinen Beziehungen. Aber was in dem Film sehr stark nach vorne gekommen ist, sein Glauben an Frieden und an Versöhnung mit allen Leuten im Land.
Es gibt eine fantastische Szene, die aus der Realität stammt, wo das Land fast wieder in Flammen aufging mit (...), das war so eine Attacke von gegnerischen Leuten, die teilweise von dem alten Apartheidregime unterstützt wurde, und alle dachten, dass Mandela aufrufen würde … Alle wollten, dass die Leute wieder zum Kampf zurückkehren. Und er hat gesagt, nein, ich sage euch, dass ich euer Führer bin, ich sage euch, wir sollen Frieden wählen, das ist der einzige Weg. Und das, denke ich, hat ihn ein bisschen abgesetzt von den üblichen Politikern, die mehr nach den Leuten reden, was sie wollen. Mandela hat das nicht gemacht. Wenn er an etwas glaubte, hat er das deutlich ausgesprochen.
Bürger: Dass es die Cape Town Studios gibt, das ist ja keine Selbstverständlichkeit. Als Sie vor drei Jahren gegründet wurden, da fragten viele, wer sollte je nach Kapstadt kommen, um da Filme zu drehen! Heute aber laufen die Studios viel besser als gedacht und das Besondere ist ja auch, dass von den 1200 Mitarbeitern bei Ihnen die große Mehrheit schwarz ist, nicht, wie Sie selbst, weiß. Die Cape Town Studios könnten ein Vorbild sein für viele andere Betriebe in Südafrika. Warum ist es auch fast 20 Jahre nach dem Ende der Apartheid aber so schwer, wirkliche Gleichberechtigung durchzusetzen?
Nico Dekker: Ich denke, das ist auch oft zurückgehend auf Ausbildung. Und vor allem haben wir nicht ausreichend investiert, denke ich, bis jetzt in Facharbeiter und Fachausbildung. Wir haben vielleicht zu sehr auf akademische Ausbildung gesetzt. Und ich denke, da ist ein großer Begriff, Leute verstehen jetzt, wir brauchen eigentlich Leute, die auch was machen können, womit sie auch Jobs haben können und Arbeit haben können. Und vor allem haben wir das vernachlässigt. Das heißt, das alte Apartheidregime hat es begrenzt gemacht für seine Zwecke, und in dem neuen Südafrika wird das leider nicht richtig voll aufgenommen von Anfang an. Und ich denke, dass es daran auch teilweise liegt. Aber darin liegt vielleicht auch eine Lehre für Südafrika.
Bürger: Kommen wir noch mal auf Nelson Mandela zurück. Was wird von seinem Werk, von seinem Lebenswerk nachhaltig weiterwirken, um die Gesellschaft voranzubringen?
Nico Dekker: Es gibt natürlich seine Kritiker, es gibt viele Leute, die meinen, dass dieser Spagat immer noch gewaltig ist, ich denke auch, dass es wirtschaftlich noch eine gewaltige Öffnung gibt zwischen Weiß und Schwarz, vor allem auf wirtschaftlicher Ebene. Aber was Mandela vor allem gezeigt hat, dass man viel weiter kommen kann, indem man einander begegnet, einander annimmt, dass man aufeinander zugeht. Er hat eine völlig andere Sicht gehabt, ob Dinge nicht so wichtig waren, die, sagen wir mal, das, was wir alle hier machen, Ruhm, aber einfache Leute, normale Leute, und aufeinander zugehen. Und das bleibt bis heute.
Bürger: Nico Dekker, der Geschäftsführer der Filmstudios in Kapstadt. Dort wurde der neue Film über Nelson Mandela gedreht, „A Long Walk to Freedom“, „Der lange Weg zur Freiheit“. Kurz nach der gestrigen Premiere in London ist Nelson Mandela gestorben. Am 30. Januar startet der Film dann auch in den deutschen Kinos. Herr Dekker, danke fürs Gespräch!
Nico Dekker: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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