Sie müssten vor Scham im Boden versinken
Eine Ikone auf der einen Seite, auf der anderen Seite eine teilweise halbseidene Trauergemeinde: Der Kontrast beim Abschied von Nelson Mandela könnte nicht größer und damit sichtbarer sein.
In den Trauerreden natürlich viele lobende aber auch mahnende Worte. Was muss da in den Köpfen so manch eines Führers vorgegangen sein? Wenn zum Beispiel US-Präsident Obama – dem seine Leidenschaft, in Johannesburg zu reden, deutlich anzumerken war – davon spricht, Mandela hat Fehler eingestanden, hat seinen Zorn diszipliniert oder hat auch gegen schwarze Vorherrschaft gekämpft. Und die Kamera schwenkt gleichzeitig über die Köpfe der Staatenlenker dieser Welt.
Nehmen wir Mandela als Symbol, als einen nahezu idealen Landesvater, lassen Sie ihn uns ruhig verklären. Wie bitter sieht die Realität, die andere Seite aus? Wie viele der Machthaber haben so gar nichts gemein mit Mandela? Wie viele Präsidenten haben die Verfassung ändern lassen, um sich eine Herrschaft auf Lebzeit zu verschaffen? Auch die waren heute in Johannesburg. Haben zugehört und müssten sich – Hand aufs Herz – vorgekommen sein wie in einer Parallelwelt. Sie betrauern einen Menschen, mit dessen Wirken sie eigentlich nichts gemein haben, steht doch ihr politisches Handeln in deutlichem Widerspruch zu Mandelas Erbe.
Wahrscheinlich beschleicht den einen oder anderen Herrscher nicht einmal der Hauch von Selbstzweifel. Wenn man Tag für Tag unterdrückt, Todesurteile unterzeichnet, Schicksale zerstört, hat man keinen Platz für Selbstkritik. Insofern wäre es heute spannend gewesen, in den ein oder anderen Kopf hineinzuschauen: Zum Beispiel Yoweri Museveni, der Präsident Ugandas. Einst Hoffnungsträger, heute demokratisch legitimierter Diktator mit Schwerpunkt Hass gegen Homosexuelle. Was denkt er, wenn ein Obama von der Toleranz Mandelas spricht?
Ein Raul Castro, der politische Führung als Familien-Business versteht. Was denkt er, wenn vom demokratischen Geist Madibas die Rede ist? Oder ein Jacob Zuma, Nach-Nachfolger von Mandela im Amt des südafrikanischen Staatspräsidenten. Korrupt und verstrickt in Vetternwirtschaft. Muss er nicht vor lauter Scham im Boden versinken?
Pfiffe von den Rängen
Zuma spricht als Gastgeber bei der Trauerveranstaltung. Natürlich die obligatorisch-huldvollen Wörter für Mandela. Aber dass selbst bei einer Abschiedsveranstaltung, in der man trauert, auch gelebt wird und Realität Einzug hält, erleben wir hier. Pfiffe gegen Zuma von den Rängen.
Das Bewusstsein gegen Diktaturen und Korruption wächst, weltweit. Das ist zum Teil auch Mandela zu verdanken, der uns ein anderes, besseres Extrem vorgelebt hat. Heute war deshalb ein guter Tag: Eine Ikone auf der einen Seite, auf der anderen Seite eine teilweise halbseidene Trauergemeinde. Der Kontrast könnte nicht größer und damit sichtbarer sein. Danke Madiba.