Die Wurzeln der Fremdenfeindlichkeit
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In Südafrika kommt es immer wieder zu Gewalt gegen Einwanderer aus anderen afrikanischen Staaten. Die brutalen Attacken geschehen teilweise vor den Augen der Polizei. Doch die Regierung leugnet die Fremdenfeindlichkeit, sie passt nicht zum Image der Regenbogennation.
Mapaseka Mahlaba ist wütend und frustriert. Südafrikaner würden in ihrer eigenen Heimat diskriminiert, klagt sie. Und das über ein Vierteljahrhundert nach Ende der Apartheid. Die anderen nicken. Bürger, die sich in einem Park eines Johannesburger Vororts versammelt haben, um über ihre Sorgen zu reden und die vermeintlichen Ursachen für ihre Misere. Die meisten von ihnen sind arbeitslos, so wie Mahlaba selbst.
"Die Ausländer nehmen uns die Jobs weg. Wenn ich mich bewerbe, dann bekommt ein Ausländer den Job, weil er weniger Lohn verlangt - und weil der Arbeitgeber für ihn keine Sozialabgaben zahlen muss. Schließlich sind viele Ausländer illegal hier. Und deshalb finden viele von uns keine Arbeit. Wir sind nicht fremdenfeindlich, aber wir Südafrikaner haben Probleme wegen der Ausländer."
Höchste Arbeitslosenquote seit zehn Jahren
Erneut zustimmendes Nicken. Die Arbeitslosigkeit ist in Südafrika gerade über 29 Prozent gestiegen, auf den höchsten Stand seit über einem Jahrzehnt. Das Land steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. Dazu kommen soziale Probleme, Armut, Wohnungsnotstand in den Städten, Kriminalität, Drogen.
"Es gibt viele Drogendealer hier in Südafrika, die Rauschgift wie Süßigkeiten verkaufen. Unsere Kinder haben deswegen keine Zukunft, aber das scheint keinen zu interessieren. Wenn wir bei der Polizei einen Dealer anzeigen, ist er morgen wieder auf freiem Fuß. Diese Ausländer sagen uns dann noch frech ins Gesicht, dass wir nichts ausrichten können, weil die Polizisten ihre Freunde sind. Unsere ganze Regierung scheint nicht auf unserer, sondern auf der Seite der Ausländer zu sein. Wir beschweren uns schon lange darüber, aber nichts ist passiert."
Alle in dieser Runde haben Ähnliches zu berichten. Alle ziehen die gleichen Schlussfolgerungen. Und alle haben sich aus diesem Grund einer nationalistischen Bürgerbewegung angeschlossen, die sich "Sisonke People’s Forum" nennt. Sisonke bedeutet übersetzt: "Wir alle". Wie andere gleichgesinnte Organisationen hatte sie Anfang September zu einem nationalen Streik aufgerufen: "Es reicht", heißt es auf einem der Flyer, in dem alle sozialen Übel mit Bezug auf Ausländer aufgezählt wurden und der mit der Losung endete: "Südafrika für Südafrikaner. Das ist keine Fremdenfeindlichkeit, sondern die Wahrheit."
Brutale Attacken gegen afrikanische Ausländer
Dieser sogenannte Streik endete in Chaos und Gewalt. Zahllose Handyvideos zeigen, wie in und um Johannesburg Läden geplündert und Ausländer auf offener Straße brutal attackiert wurden. Nicht alle Ausländer, sondern jene aus anderen afrikanischen Staaten. Deshalb wird in Südafrika auch von "Afrophobie" gesprochen. Sie leben häufig in Vierteln, in denen auch ärmere Südafrikaner wohnen, stehen in direkter Konkurrenz um Wohnraum und Arbeit. Degfa, ein politischer Flüchtling aus Äthiopien, dessen Nachname zu seinem Schutz nicht genannt wird, hatte einen kleinen Laden in einem Township - wie viele afrikanische Migranten.
"Ich habe diesen Job für mich selbst geschaffen. Ich habe ihn niemandem weggenommen. Aber jetzt habe ich nichts: Sie haben die Tür aufgebrochen und meinen Laden geplündert. Nichts ist übrig. Seit dem Angriff wohne ich mit meiner Frau und meinen beiden Kindern bei Freunden. Dort, wo wir vorher waren, ist es zu gefährlich. Wir sind schon zu oft angegriffen worden. Vielleicht bringen sie mich beim nächsten Mal um."
Degfa sitzt auf einer Terrasse in der Innenstadt von Johannesburg. Die meisten Läden haben geöffnet, Autos und Minibustaxis parken in zweiter Reihe. Passanten drängen sich zwischen den Schaufenstern der Ladenlokale und kleinen Marktständen vorbei, die die Bürgersteige säumen. Doch die Angst ist noch da. Einige Ladenbesitzer haben private Sicherheitskräfte angeheuert. Denn auf den Schutz der Polizei hoffe hier niemand, sagt Vusumuzi Sibanda, der Vorsitzende des "African Diaspora Forum".
Mord vor den Augen der Polizei
"Einem LKW-Fahrer wurde bei früheren fremdenfeindlichen Angriffen vor den Augen der Polizei mit dem Messer in den Bauch gestochen. Es gibt ein Video von einem Mann, der einen anderen am helllichten Tag umbringt. Aber ich habe auf keiner Polizeiwache ein entsprechendes Fahndungsfoto gesehen. Gruppen wie Sisonke haben Migranten angegriffen und aus ihren Häusern vertrieben, aber wieder wurde niemand festgenommen. Ihre Anführer sind weiter auf freiem Fuß und können ihren Hass predigen."
Sibanda meint Südafrikaner wie Zweli Ndaba. Den Vorsitzenden des "Sisonke People’s Forum". Auch in den südafrikanischen Medien wurde er als Drahtzieher der letzten fremdenfeindlichen Gewalt bezeichnet. Darauf angesprochen weist er jedoch jede Verantwortung von sich.
"Was die Gewalt angeht, kann ich nur sagen, dass die Leute sehr unter diesen sozialen Übeln leiden. Sie sind wütend, weil die Regierung sie nicht anhört und das führt zu Gewalt. So etwas können wir nicht kontrollieren und ich habe sie auch nicht dazu angestachelt. Wir haben den Leuten lediglich ein Forum gegeben, um auszudrücken, was hier schiefläuft. Wir haben schließlich Meinungsfreiheit in Südafrika."
Gewaltausbrüche wiederholen sich seit 2008
Ein paar Straßen weiter sitzt Migrationsforscher Jean-Pierre Misago in seinem Büro der Johannesburger Witwatersrand Universität. Die Ursachenforschung sei eindeutig, sagt er.
"Fremdenfeindliche Gewalt ist keine irrationale oder spontane Eruption. Dahinter stehen politische und ökonomische Interessen lokaler Gruppen: traditionelle Anführer, Bürgerinitiativen, Vereine lokaler Geschäftsleute. Sie nutzen die Stimmung aus und schüren die Gewalt. Aber eigentlich geht es ihnen darum, die Konkurrenz zu vertreiben, die eigene Position zu stärken und damit auch wirtschaftlich zu profitieren. Wir nennen das Mikropolitik und die ist zentral, wenn es darum geht, die Gewalt gegen Ausländer zu erklären."
Doch diese Mikropolitik kann nur dann solche Macht entfalten, wenn die Makropolitik versagt. Misago hat ein Frühwarnsystem mitentwickelt, das sich "Xenowatch" nennt. Doch es krankt daran, dass die Behörden nicht auf solche Warnungen reagieren.
Präsident Ramaphosa leugnet Fremdenfeindlichkeit
Das Schema ist seit der ersten massiven fremdenfeindlichen Gewalteskalation 2008 ähnlich. Die Regierung reagiert erst mit einiger Verzögerung. So äußerte sich auch Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa erst ein paar Tage nach den Attacken im September.
"In den letzten Tagen hat unser Land Traumatisches erlebt, Gewalt und Kriminalität, die gegen Ausländer sowie unsere eigenen Bürger gerichtet war. Diese kriminellen und zerstörerischen Taten sind nicht durch Wut oder Frustration zu rechtfertigen. Es gibt keine Entschuldigung dafür, Häuser und Geschäfte von Ausländern anzugreifen, ebenso wenig wie für Fremdenfeindlichkeit, andere Formen der Intoleranz oder die Plünderung und Zerstörung von Geschäften, die Südafrikanern gehören."
Der Präsident lobt die Polizei für ihr, so wörtlich, schnelles Eingreifen und betont, dass die Strafverfolgungsbehörden die Täter zur Verantwortung ziehen werden. Die Erfahrung ist eine andere: Obwohl es diverse Videoaufnahmen gibt, sind Verurteilungen selten. Von einem Aktionsplan ist die Rede, doch der stammt aus dem Jahr 2001 und hat seitdem offensichtlich keine Wirkung entfaltet. Um die diplomatischen Beziehungen nicht zu belasten, hat Ramaphosa Gesandte in die Heimatländer der Opfer geschickt und sich für die Gewalt entschuldigt.
Gleichzeitig betont er wiederholt, etwa gegenüber der BBC: Südafrikaner seien nicht fremdenfeindlich. Das hatten schon seine Vorgänger Mbeki und Zuma nach den Attacken in den Jahren 2008 und 2015 betont. Es komme einer Verleugnung des Problems gleich, meint Migrationsforscher Jean-Pierre Misago.
Politiker verbreiten Lügen über Einwanderer
"Der Grund für diese Verleugnung hängt mit dem Image Südafrikas als Regenbogennation zusammen. Wie erklärt man, dass die Regenbogennation keine Ausländer mag? Außerdem wird dadurch verschleiert, dass die Gewalt in vielen Fällen durch Aussagen oder Handlungen von Politikern geschürt wird."
Es gibt viele Beispiele für derartige Aussagen von Parteifunktionären, Ministern und Ministerpräsidenten: Etwa, dass 80 Prozent der Innenstadt Johannesburgs von illegalen Einwanderern regelrecht besetzt seien - oder dass staatliche Kliniken überlastet seien, weil zu viele Ausländer die Gesundheitsversorgung in Anspruch nähmen. Aussagen, die durch keinerlei Fakten gestützt, sondern im Gegenteil widerlegt werden können. Der Ausländeranteil ist in Südafrika nicht höher als im weltweiten Durchschnitt.
"Es liegt eine strukturelle Fremdenfeindlichkeit zugrunde, die sich etwa darin ausdrückt, dass Migranten Ansprüche verwehrt werden, die ihnen zustehen, wie der Zugang zu Kliniken. Südafrika bricht seine eigenen Gesetze und wendet andere selektiv an."
Asyl nur gegen Bestechung
Die Auswüchse dieser Politik sind in Vierteln wie der Innenstadt Johannesburgs unübersehbar. Jeder ausländische Händler hier kann davon erzählen. Zum Beispiel Tadesse - wieder nennen wir zu seinem Schutz nur den Vornamen. Vor 16 Jahren ist er als politischer Flüchtling nach Südafrika gekommen, angezogen vom Image der Regenbogennation. Aber auf einen Aufenthaltstitel wartet er bis heute.
"Ich habe keinen gültigen Pass mehr, sondern nur noch dieses Papier. Darauf steht, dass bald über meinen Fall entschieden werde. Bald. Seit 16 Jahren. Seitdem muss ich es alle zwei bis drei Monate erneuern. Mal heißt es, es stimme etwas nicht, ein anderes Mal, die Akte sei verschwunden, das Registrierungssystem offline, die Bearbeitung nicht komplett und so weiter. Nur, weil ich die Beamten nicht bezahle."
Er ist nicht allein mit seiner Klage. Die weitverbreitete Korruption bei der Einwanderungsbehörde ist ein offenes Geheimnis. Ebenso korrupt seien viele Polizisten, erzählt er weiter.
"Ich halte mich hier mit den Einnahmen aus diesem kleinen Geschäft über Wasser, verkaufe Klamotten, werde nicht kriminell. Aber selbst diese bescheidene Existenz wird einem schwer gemacht. Polizisten und andere Beamte kommen regelmäßig vorbei und verlangen mehr oder weniger offen Schmiergelder. Wer nicht zahlt, wird Provokateur genannt. Und keiner hier will als jemand gelten, der staatliche Autoritäten provoziert."
"Die Regierung in Südafrika vernachlässigt die Bevölkerung"
Etliche Fälle sind bekannt, aber nichts ändert sich. Die Regierung ist offenbar taub auf beiden Ohren. Denn sowohl Migranten als auch Einheimische beklagen, dass ihre Beschwerden nicht gehört werden.
Beim Treffen des "Sisonke People’s Forum" ist auch das ein Thema. Vor seinen Anhängern zählt der Vorsitzende Zweli Ndaba auf, wie viele staatliche Stellen er schon angeschrieben und um Unterstützung gebeten hat. Auch Treffen habe es gegeben. Aber nichts sei daraufhin passiert.
"Die Regierung in Südafrika vernachlässigt die Bevölkerung. Sie hört nicht einmal zu. Deshalb erheben wir die Stimme für die Ärmsten der Armen. Sie sollen endlich die Früchte der Freiheit genießen können. Der ANC regiert nun bereits 25 Jahre, aber wir haben nur Narben vorzuweisen. Das Einzige, was unsere Regierung gut kann, ist ihre eigenen Taschen zu füllen."
Flüchtlinge fordern Schutz von UN
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Gewalt wieder eskaliert, darüber sind sich alle einig. Viele Einwanderer, deren Heimat zwar arm aber sicher ist, sind deshalb dorthin zurückgekehrt oder denken darüber nach. Flüchtlinge haben diese Option nicht. Hunderte hatten deshalb in den letzten Wochen vor den Büros des UN-Flüchtlingshilfswerks campiert und gefordert, in andere Länder umgesiedelt zu werden. Doch das UNHCR sieht dafür weder einen Anlass noch eine Möglichkeit. Für den Vorsitzenden des "African Diaspora Forums", Vusumuzi Sibanda, bedeutet das:
"Wir haben begriffen, dass wir uns nicht auf die Hilfe dieser internationalen Organisationen und Regierungen verlassen können. Wir werden uns also an die höchsten Gerichte im Land wenden. Denn in Südafrika gibt es gute Gesetze, das Problem ist die Umsetzung. Wir werden jeden anprangern, der die in der Verfassung garantierten Rechte ad absurdum führt. Und wir werden diese Klagen, wenn nötig, auch vor internationale Gerichte bringen."
Der Druck auf die südafrikanische Regierung nimmt also von allen Seiten zu. Aber ob er Wirkung zeigen wird, ist offen. Zweifel sind angesichts vieler anderer drängender politischer, wirtschaftlicher und sozialer Probleme im Land leider angebracht.