Südhoff: Ausländische Investitionen können auch Segen sein
Der Leiter des Berliner Büros des UN World Food Programme (WFP), Ralf Südhoff, hält das umstrittene sogenannte "Land Grabbing", also die Verpachtung von Agrarflächen an Großinvestoren, in Entwicklungsländern nicht per se für verwerflich, fordert aber klare Richtlinien.
Gabi Wuttke: Die Welt ist reich - trotzdem hungern allein im Osten Afrikas bis zu zwölf Millionen Menschen. Dafür gibt es drei Gründe: die große Dürre, der Abfluss von Milliarden der Internationalen Gemeinschaft in die Taschen der Macht, und die Finanzspekulation auf Nahrungsmittel - Grundlage: das Land Grabbing, die Verpachtung von Anbau- und Weideflächen an Großinvestoren.
50 Millionen Hektar Land haben sich Konzerne in den letzten zehn Jahren, so heißt es, langfristig auf dem Kontinent gesichert. Die Folge: 43 von 53 afrikanischen Ländern müssen inzwischen teuer importieren, sagen Hilfsorganisationen. Vor dem morgigen Welternährungstag ist Ralf Südhoff am Telefon, er leitet das Berliner Büro des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen. Guten Morgen, Herr Südhoff!
Ralf Südhoff: Guten Morgen!
Wuttke: Lange wurde diese Geschäftsstrategie von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Hat sie in den letzten zehn Jahren tatsächlich exorbitant zugenommen?
Südhoff: Sie hat vor allem in den letzten zwei bis drei Jahren massiv zugenommen. Das hat einen ganz klaren wirtschaftlichen Grund: Seit der Welternährungskrise 2008 sind ja die Nahrungsmittelpreise massiv gestiegen und heute auf einem Rekordniveau weltweit. Das heißt, Land und auch Nahrungsmittel und Ernten sind plötzlich nicht mehr im Überfluss vorhanden wie viele Jahrzehnte, sondern ein ganz begehrter Rohstoff, und deswegen extrem attraktiv auch für Auslandsinvestoren, fast vergleichbar mit Erdöl oder Bodenschätzen in diesen Ländern.
Wuttke: Erklären sich denn die Pachtverträge allein mit der Geldgier der jeweiligen Regierungen oder Machthaber?
Südhoff: Nein, so einfach ist es wie meistens nicht, genau wie auch bei Bodenschätzen oder dem Erdöl könnte all dies ja auch ein Segen sein. Man hat ja auch viele Jahre und Jahrzehnte beklagt, dass es viel zu wenig Investitionen in die Landwirtschaft gibt, sowohl von Regierungen vor Ort, sowohl durch unsere Entwicklungshilfe, aber eben auch von privater Seite.
Die große Herausforderung ist, sicherzustellen, dass Investitionen in die Landwirtschaft wirklich den Menschen vor Ort nutzen und nicht zur Ausbeutung der Böden führen, nicht zur Vertreibung von Kleinbauern, sondern dass sie diese so managen können, dass tatsächlich der Hunger selbst besiegt werden kann. Denn die Hungernden weltweit sind zum allergrößten Teil absurderweise ja eben diese Kleinbauern vor Ort, die Landarbeiter vor Ort, die durch diese Investitionen bisher - und deswegen nennt man das auch Landnahme oder gar Neokolonialismus, wie der deutsche Entwicklungsminister -, die durch diese Landnahme bisher eher vertrieben werden und eher zu leiden haben.
Wuttke: Also das heißt, ob wir das jetzt nun Neokolonialismus oder einen neuen Agroimperialismus nennen - das, finden Sie schon, trifft zu, weil eben dieses Land Grabbing in den meisten Fällen zulasten der Leute geht, die von ihrem Land dadurch vertrieben werden?
Südhoff: Es gibt in der Tat mittlerweile zahlreiche Studien, die die konkreten Fälle untersuchen und in Brasilien, in Tansania gibt es auch positive Beispiele. Aber die große Mehrheit - und darauf kommt es natürlich an - der Investitionen, gerade in afrikanischen Staaten, haben nicht die Erfolge, die sich diese davon versprochen haben oder auch die Investoren angekündigt haben, sondern führen in der Tat dazu, dass die Rechte von den Kleinbauern vor Ort - die auf demselben Land durchaus waren, aber ihre Rechte natürlich sehr schwer verteidigen können -, dass diese nicht geachtet wurden, dass der Anbau auf diesen Flächen, ein zweiter Punkt, fast nur dem Export dient. Also die Nahrungsmittel oder auch vielfach die Agrarrohstoffe für Biosprit werden fast komplett exportiert, und deswegen nutzen diese Investitionen dann sehr selten den Bevölkerungen vor Ort, vielfach schaden sie sogar.
Wuttke: Die ganze Geschichte lässt sich ja jetzt nicht bilateral auf ein afrikanisches Land und einen ausländischen Investor schieben, wenn man sich vor Augen führt, dass die Weltbank ja diese moderne Form der Landnahme durchaus durch Kredite mitfinanziert. Es fehlt also die Kontrolle, und auch in Ihrer Organisation, den Vereinten Nationen, gibt es ja Vertreter, die an dieser Win-win-Situation festhalten, die es aber in weiten Teilen nun nicht gibt. Die Frage: Was kann passieren?
Südhoff: Nun, die Vereinten Nationen, insbesondere unsere Schwesterorganisation, die FAO, hat in Zusammenarbeit mit uns genau zu dieser Frage deswegen Leitlinien entwickelt, und diesen Montag stehen diese in Rom zur Abstimmung von allen Mitgliedsstaaten. Das Ziel von diesen Leitlinien ist, dass es klare Kriterien dafür gibt: Wann ist eine Investition sinnvoll, was muss sie leisten und wonach kann man sie überprüfen und entsprechend eben auch infrage stellen?
Die entscheidenden Kriterien sind dabei in der Tat: Verbessern sie die Ernährungssicherheit der Menschen vor Ort? Werden die Rechte der Menschen vor Ort, insbesondere der Kleinbauern, dabei geachtet? Werden sie integriert bei der Entscheidung, ob diese Investition stattfinden soll oder nicht? Denn wir haben ja das Phänomen, dass ganz viele dieser Investitionen nicht aus Zufall in Ländern stattfinden, die eher ein Demokratiedefizit haben und eben diese Bevölkerung nicht einbinden.
Wuttke: Aber genau deshalb muss man sich doch fragen, warum die Vereinten Nationen entweder so blind oder so naiv waren, nicht von vornherein mit einzubeziehen, dass eine Win-win-Situation wohl nur unter Druck in den meisten Fällen erzeugt werden kann.
Südhoff: Nun, die Frage ist, an wen Sie sich richten, wenn Sie von den Vereinten Nationen sprechen. Wir von WFP und der FAO haben diese Richtlinien ja aus gutem Grund in den letzten Jahren - das war ein langer Prozess, um eben alle Beteiligten tatsächlich angemessen zu integrieren - entwickelt und hoffen jetzt sehr, dass sie auch verabschiedet und dann verfolgt werden.
Das ändert natürlich nichts daran, dass diese Investitionen im Zweifelsfalle, wenn sie richtig gemacht werden, tatsächlich für den Investoren wie auch die Menschen vor Ort ein Win-win sein können. Dafür müssen sie aber wie beschrieben in der richtigen Form stattfinden.
Wuttke: Auch die G-20-Regierungschefs und Staatschefs werden sich im November mit der Finanzspekulation auf Nahrungsmittel beschäftigen. Kann also das, was die FAO am Montag vorlegen wird, da mitwirken im positiven Sinne, oder sind die G-20 schon wieder auf einer ganz anderen Schleife?
Südhoff: Das sind im Kern zwei verschiedene Themen, muss man sehen. Auf der einen Seite geht es ja um die Spekulation mit den geernteten Agrarrohstoffen, also mit Mais, mit Weizen, mit Reis, und die Spekulation, dass der Weizenpreis beispielsweise erneut um 50 Prozent steigen wird. Also springen sehr viele Kapitalanleger in diesen Markt, die den Mais im Zweifelsfall gar nicht haben wollen, aber plötzlich zu Zwischenhändlern werden, die den Preis weiter antreiben.
Die andere Frage ist eine Investition in Land und in den Anbau, und nach welchen Richtlinien muss der erfolgen, damit die Menschen wirklich profitieren? Das sind beides ganz wichtige Herausforderungen und wir hoffen sehr, dass die G 20 die richtigen Schritte da unternimmt, um diese Spekulationen besser eindämmen zu können. Die andere Frage ist aber, dass die Investition an sich für den Anbau auch besser reguliert wird.
Wuttke: Land Grabbing - warum Nahrungsmittel importiert werden müssen und die Preise für Getreide steigen, dazu Ralf Südhoff vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. Das Interview haben wir aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Links bei dradio.de
Das Geschäft mit dem Acker
Eine neue Form des Kolonialismus
50 Millionen Hektar Land haben sich Konzerne in den letzten zehn Jahren, so heißt es, langfristig auf dem Kontinent gesichert. Die Folge: 43 von 53 afrikanischen Ländern müssen inzwischen teuer importieren, sagen Hilfsorganisationen. Vor dem morgigen Welternährungstag ist Ralf Südhoff am Telefon, er leitet das Berliner Büro des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen. Guten Morgen, Herr Südhoff!
Ralf Südhoff: Guten Morgen!
Wuttke: Lange wurde diese Geschäftsstrategie von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Hat sie in den letzten zehn Jahren tatsächlich exorbitant zugenommen?
Südhoff: Sie hat vor allem in den letzten zwei bis drei Jahren massiv zugenommen. Das hat einen ganz klaren wirtschaftlichen Grund: Seit der Welternährungskrise 2008 sind ja die Nahrungsmittelpreise massiv gestiegen und heute auf einem Rekordniveau weltweit. Das heißt, Land und auch Nahrungsmittel und Ernten sind plötzlich nicht mehr im Überfluss vorhanden wie viele Jahrzehnte, sondern ein ganz begehrter Rohstoff, und deswegen extrem attraktiv auch für Auslandsinvestoren, fast vergleichbar mit Erdöl oder Bodenschätzen in diesen Ländern.
Wuttke: Erklären sich denn die Pachtverträge allein mit der Geldgier der jeweiligen Regierungen oder Machthaber?
Südhoff: Nein, so einfach ist es wie meistens nicht, genau wie auch bei Bodenschätzen oder dem Erdöl könnte all dies ja auch ein Segen sein. Man hat ja auch viele Jahre und Jahrzehnte beklagt, dass es viel zu wenig Investitionen in die Landwirtschaft gibt, sowohl von Regierungen vor Ort, sowohl durch unsere Entwicklungshilfe, aber eben auch von privater Seite.
Die große Herausforderung ist, sicherzustellen, dass Investitionen in die Landwirtschaft wirklich den Menschen vor Ort nutzen und nicht zur Ausbeutung der Böden führen, nicht zur Vertreibung von Kleinbauern, sondern dass sie diese so managen können, dass tatsächlich der Hunger selbst besiegt werden kann. Denn die Hungernden weltweit sind zum allergrößten Teil absurderweise ja eben diese Kleinbauern vor Ort, die Landarbeiter vor Ort, die durch diese Investitionen bisher - und deswegen nennt man das auch Landnahme oder gar Neokolonialismus, wie der deutsche Entwicklungsminister -, die durch diese Landnahme bisher eher vertrieben werden und eher zu leiden haben.
Wuttke: Also das heißt, ob wir das jetzt nun Neokolonialismus oder einen neuen Agroimperialismus nennen - das, finden Sie schon, trifft zu, weil eben dieses Land Grabbing in den meisten Fällen zulasten der Leute geht, die von ihrem Land dadurch vertrieben werden?
Südhoff: Es gibt in der Tat mittlerweile zahlreiche Studien, die die konkreten Fälle untersuchen und in Brasilien, in Tansania gibt es auch positive Beispiele. Aber die große Mehrheit - und darauf kommt es natürlich an - der Investitionen, gerade in afrikanischen Staaten, haben nicht die Erfolge, die sich diese davon versprochen haben oder auch die Investoren angekündigt haben, sondern führen in der Tat dazu, dass die Rechte von den Kleinbauern vor Ort - die auf demselben Land durchaus waren, aber ihre Rechte natürlich sehr schwer verteidigen können -, dass diese nicht geachtet wurden, dass der Anbau auf diesen Flächen, ein zweiter Punkt, fast nur dem Export dient. Also die Nahrungsmittel oder auch vielfach die Agrarrohstoffe für Biosprit werden fast komplett exportiert, und deswegen nutzen diese Investitionen dann sehr selten den Bevölkerungen vor Ort, vielfach schaden sie sogar.
Wuttke: Die ganze Geschichte lässt sich ja jetzt nicht bilateral auf ein afrikanisches Land und einen ausländischen Investor schieben, wenn man sich vor Augen führt, dass die Weltbank ja diese moderne Form der Landnahme durchaus durch Kredite mitfinanziert. Es fehlt also die Kontrolle, und auch in Ihrer Organisation, den Vereinten Nationen, gibt es ja Vertreter, die an dieser Win-win-Situation festhalten, die es aber in weiten Teilen nun nicht gibt. Die Frage: Was kann passieren?
Südhoff: Nun, die Vereinten Nationen, insbesondere unsere Schwesterorganisation, die FAO, hat in Zusammenarbeit mit uns genau zu dieser Frage deswegen Leitlinien entwickelt, und diesen Montag stehen diese in Rom zur Abstimmung von allen Mitgliedsstaaten. Das Ziel von diesen Leitlinien ist, dass es klare Kriterien dafür gibt: Wann ist eine Investition sinnvoll, was muss sie leisten und wonach kann man sie überprüfen und entsprechend eben auch infrage stellen?
Die entscheidenden Kriterien sind dabei in der Tat: Verbessern sie die Ernährungssicherheit der Menschen vor Ort? Werden die Rechte der Menschen vor Ort, insbesondere der Kleinbauern, dabei geachtet? Werden sie integriert bei der Entscheidung, ob diese Investition stattfinden soll oder nicht? Denn wir haben ja das Phänomen, dass ganz viele dieser Investitionen nicht aus Zufall in Ländern stattfinden, die eher ein Demokratiedefizit haben und eben diese Bevölkerung nicht einbinden.
Wuttke: Aber genau deshalb muss man sich doch fragen, warum die Vereinten Nationen entweder so blind oder so naiv waren, nicht von vornherein mit einzubeziehen, dass eine Win-win-Situation wohl nur unter Druck in den meisten Fällen erzeugt werden kann.
Südhoff: Nun, die Frage ist, an wen Sie sich richten, wenn Sie von den Vereinten Nationen sprechen. Wir von WFP und der FAO haben diese Richtlinien ja aus gutem Grund in den letzten Jahren - das war ein langer Prozess, um eben alle Beteiligten tatsächlich angemessen zu integrieren - entwickelt und hoffen jetzt sehr, dass sie auch verabschiedet und dann verfolgt werden.
Das ändert natürlich nichts daran, dass diese Investitionen im Zweifelsfalle, wenn sie richtig gemacht werden, tatsächlich für den Investoren wie auch die Menschen vor Ort ein Win-win sein können. Dafür müssen sie aber wie beschrieben in der richtigen Form stattfinden.
Wuttke: Auch die G-20-Regierungschefs und Staatschefs werden sich im November mit der Finanzspekulation auf Nahrungsmittel beschäftigen. Kann also das, was die FAO am Montag vorlegen wird, da mitwirken im positiven Sinne, oder sind die G-20 schon wieder auf einer ganz anderen Schleife?
Südhoff: Das sind im Kern zwei verschiedene Themen, muss man sehen. Auf der einen Seite geht es ja um die Spekulation mit den geernteten Agrarrohstoffen, also mit Mais, mit Weizen, mit Reis, und die Spekulation, dass der Weizenpreis beispielsweise erneut um 50 Prozent steigen wird. Also springen sehr viele Kapitalanleger in diesen Markt, die den Mais im Zweifelsfall gar nicht haben wollen, aber plötzlich zu Zwischenhändlern werden, die den Preis weiter antreiben.
Die andere Frage ist eine Investition in Land und in den Anbau, und nach welchen Richtlinien muss der erfolgen, damit die Menschen wirklich profitieren? Das sind beides ganz wichtige Herausforderungen und wir hoffen sehr, dass die G 20 die richtigen Schritte da unternimmt, um diese Spekulationen besser eindämmen zu können. Die andere Frage ist aber, dass die Investition an sich für den Anbau auch besser reguliert wird.
Wuttke: Land Grabbing - warum Nahrungsmittel importiert werden müssen und die Preise für Getreide steigen, dazu Ralf Südhoff vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. Das Interview haben wir aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Das Geschäft mit dem Acker
Eine neue Form des Kolonialismus