Europa verschläft den Aufstieg Afrikas
Afrika blüht auf: Die Bevölkerung wächst und für die Wirtschaft werden Traumraten prognostiziert. China hat das erkannt, investiert und treibt Handel mit Afrika. Nur die Europäer halten sich zurück. Und das könnte ein Fehler sein.
Die Wirtschaft Afrikas wächst. Lange Zeit galt der zweitgrößte Kontinent der Welt, direkt vor der Haustür im Süden Europas, als globales Sorgenkind. Die Berichterstattung war geprägt von Hunger und Katastrophen, Krisen und Konflikten.
Überhaupt scheinen Europäer nur dann Afrikaner wahrzunehmen, wenn Flüchtlinge an Küsten und Grenzen eintreffen oder Seuchen grassieren. Es gibt in Afrika unzählige Probleme und soziale Konflikte. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille.
Gerade in Staaten südlich der Sahara boomt die Wirtschaft. Dort werden Wachstumsraten von bis zu sieben Prozent prognostiziert. Eine konsumfreudige Mittelschicht entsteht, welche die Nachfrage antreibt. Und es befinden sich dort 60 Prozent des weltweit nichtbewirtschafteten Ackerbodens.
Öffentliche und private Geldgeber investieren kaum
Anders als Europa hat China den afrikanischen Boom schon lange im Blick. 2013 summierte sich der Handel auf 200 Milliarden Dollar. Bis 2020 soll er sich sogar verdoppeln. Das geschieht auf drei Wegen: Die staatlichen Konzerne beschaffen Rohstoffe. Privates Kapital beteiligt sich an zahllosen Projekten. Und seit Jahren wandern chinesische Handwerker, Kaufleute und Kleinunternehmer nach Afrika aus.
Auch europäische Firmen sind dort unterwegs, ebenso viele Entwicklungsorganisationen. Nur öffentliche und private Geldgeber investieren nicht so viel wie ihre chinesischen Kollegen, schon gar nicht in aufwendige Infrastrukturprojekte.
Nehmen wir das Beispiel Äthiopien. In Dire Dawa, der zweitgrößten Metropole des Landes, wird ein neuer Verkehrsknotenpunkt errichtet, der das Horn von Afrika zusammenwachsen lässt, der die relative Nähe zu den internationalen Häfen in den benachbarten Küstenländern Dschibuti und Somaliland nutzt.
Es kursieren atemberaubende Visionen
Äthiopien ist ein Binnenland, seit es durch die Unabhängigkeit Eritreas den direkten Zugang zum Roten Meer verlor. Deshalb plant die Regierung in Addis Abeba Eisenbahnverbindungen zu erneuern und auszubauen. Bis Ende des Jahres soll eine Hochgeschwindigkeitsstrecke an den Start gehen. Und China unterstützt diese und andere Pläne. Es kursieren bereits atemberaubende Visionen, die das Schienennetz Ostafrikas mit dem der arabischen Halbinsel koppeln würden.
Dire Dawa wurde 1902 als Verwaltungssitz der Franco-Äthiopischen Eisenbahn gegründet. Noch heute parlieren alle Mitarbeiter der Bahn, vom Weichenputzer bis zum Direktor, auf Französisch miteinander. Doch weder historische noch zeitgenössische Bande haben westliche oder gar europäische Investitionen anlocken können.
Weshalb sich Europa fernhält, ist eigentlich nicht zu verstehen. Desinteresse mag sich mit Klischees und Ressentiments paaren. In den Köpfen weniger alterfahrener Pioniere ist die Botschaft angekommen, dass sich bis 2050 sich die Bevölkerung des Nachbarkontinents auf zwei Milliarden Menschen verdoppeln wird, davon werden die Hälfte unter 18 Jahren sein, während sich Europa bis dahin zum Altenheim der Welt entwickeln dürfte.
Für viele scheint diese Prognose nach Hunger, Elend und nur noch höheren Flüchtlingswellen zu klingen, nicht aber nach Chancen. Es ist höchste Zeit, Afrikas Aufstieg offensiv zu unterstützen – auch, wenn man dessen Zukunft noch eher schwarz, denn rosarot sieht.
Ramon Schack, Jahrgang 1971, ist Diplom-Politologe, Journalist und Publizist. Er schreibt für Neue Zürcher Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Die Welt, Berliner Zeitung, Wiener Zeitung, Handelsblatt. Sein Buch "Neukölln ist Nirgendwo. Nachrichten aus Buschkowskys Bezirk" erschien Ende Juni 2013 im Verlag 3.0 Zsolt.