Südsudan

Die Angst vor der nahenden Regenzeit

UN-Soldaten helfen in einem Flüchtlingscamp im Südsudan
UN-Soldaten helfen in einem Flüchtlingscamp im Südsudan: Ihre Mission ist klar begrenzt., © picture alliance / dpa
Von Jesko Johannsen |
Dem jungen Staat Südsudan droht ein zäher Bürgerkrieg zwischen Regierung und Rebellen. Trotzdem versuchen die Bewohner der Hauptstadt, die Hoffnung nicht aufzugeben. Die nahende Regenzeit könnte die Krise anheizen.
Vor dem Hauptquartier der südsudanesischen Regierungsarmee SPLA in Juba steht ein Panzer. Demonstrativ. Er strahlt Macht und Schlagkraft aus. Doch dieser Eindruck von Disziplin hört wenige Meter daneben wieder auf. Da hängen die Soldaten in der Mittagssonne in ihren Stühlen. Halb schlafend, halb wach.
Das erstaunliche ist aber, dass diese Soldaten trotz mangelnder Disziplin und Haltung Macht ausstrahlen können – durch ihre Unberechenbarkeit. Und so droht Armeesprecher Philip Agwer auch mit der ungebrochenen Kampfbereitschaft der Truppe:
"Wir werden niemandem erlauben, uns anzugreifen und wir falten die Hände. Die Armee wird sich weiterhin selber verteidigen. Und zwar solange, bis entweder der Waffenstillstand für beendet erklärt wird oder es eine politische Lösung gibt."
Niemand weiß, ob die SPLA sich tatsächlich nur verteidigt oder auch selber Rebellen angreift. Seit Ende Januar gilt eine Waffenruhe. Es wird aber weiter gekämpft und beide Konfliktseiten beschuldigen sich gegenseitig, immer wieder neu anzugreifen. Die Regierung spricht weiter von einem Putschversuch, die Oppositionellen sind in Haft oder im Ausland. Der Graben zwischen den Konfliktparteien ist tief – eine politische Lösung in weiter Ferne
"Es hängt davon ab, wann uns die Regenzeit trifft. Wenn sie uns mitten im Konflikt trifft, bedeutet das, dass der Konflikt bis ins nächste Jahr geht."
Die Regenzeit im Südsudan beginnt im April und dauert ein halbes Jahr. Beide Seiten könnten sie nutzen, um gegen Ende der Periode verstärkt loszuschlagen.
Noch ist Trockenzeit im Südsudan
Die Regenzeit kann aber nicht nur eine Verlängerung des Krieges bedeuten. Wenn es bis zu ihrem Beginn keine politische Lösung gibt, wird sich das Leid der Menschen vergrößern.
Noch ist Trockenzeit im Südsudan. Die Temperaturen erreichen 40 Grad Celsius und mehr. Mona gehört zu den rund 700.000 Binnenflüchtlingen in Südsudan. Sie steht in einem Flüchtlingslager in Juba in der Sonne und hofft auf ein Lebensmittelpaket des Welternährungsprogramms.
Mona hat es fast noch gut. Sie ist in einem Lager in der Hauptstadt Juba untergekommen. Wenn sie heute kein Paket bekommt, dann wahrscheinlich morgen. Im Rest des Landes läuft den Hilfsorganisationen die Zeit davon. In der Regenzeit werden 60 Prozent Südsudans unerreichbar. Bis dahin müssen Hilfsgüter im ganzen Land deponiert werden. Das sei fast nicht zu bewältigen, sorgt sich Challiss McDonough vom Welternährungsprogramm:
"Wir gehen davon aus, dass es Gebiete geben wird, in denen wir nicht genügend Essen vor der Regenzeit einlagern können. Deswegen benutzen wir schon jetzt auch den Luftweg, um Nahrungsmittel zu transportieren. Das ist eigentlich unsere absolute Notlösung, weil es sehr teuer ist. Frieden - oder zumindest Kampfpausen - wären wichtig, damit wir uns um die Menschen kümmern können."
Außerdem müssen die Helfer geplünderte Lagerbestände erst einmal wieder aufstocken. 3.700 Tonnen Lebensmittel wurden im ganzen Land dem Welternährungsprogramm gestohlen. Genug, um 220.000 Menschen einen Monat lang zu ernähren. Mehr als drei Millionen Menschen sind in Südsudan von Lebensmittelhilfen abhängig. Und viele davon sind auf der Flucht im Land von der Außenwelt abgeschnitten.
85.000 Menschen, die unter Bäumen schlafen
"Wir konnten für die Menschen in den UN-Lagern Hilfsmaßnahmen einrichten. Deshalb geht es jetzt vor allem darum, vom Konflikt Betroffene in den Gebieten zu erreichen, in die wir bislang noch nicht gekommen sind. In Lake State und Awerial gibt es rund 85.000 Menschen, die schlicht unter Bäumen schlafen."
Dem Kunden ist die Hose zu weit. Deshalb wird sie jetzt in der Schneiderei von Stella Bodus enger genäht.
"Wenn die Kunden ihre Kleider zu mir bringen, sind sie mal zu groß und mal zu klein. Vielleicht bekommen sie sie vom Markt, wenn ihre Frauen dahin gehen. Denn nur die können hier raus. Und dann kann es sein, dass sie zu große oder zu kleine Kleider kaufen und ich passe sie dann an."
UN-Soldaten bewachen ein Flüchlingscamp
UN-Soldaten bewachen ein Flüchlingscamp: Der Schutz von Flüchtlingen gehört zu ihrer Mission© picture alliance / dpa
Die Schneiderei liegt nicht in den Geschäftsvierteln von Juba, sondern ebenfalls in einem Lager für Binnenflüchtlinge in Südsudans Hauptstadt. Stella Bodus ist mit ihrem Mann Stephen Boang vor den Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Rebellen hierher geflohen. Jetzt leben sie in einem selbstgebauten Zelt, auf engstem Raum, so wie 15.000 andere Menschen. Die Männer trauen sich nicht mehr aus dem Camp. Doch auch für die Frauen ist das nicht ungefährlich, erzählt Stephen Boang:
"Wenn sie mit den Kleinbussen fahren, kommt es vor, dass die Passagiere einfach zu den Kasernen transportiert werden. Dort werden die Frauen vergewaltigt und den ganzen Tag festgehalten. Wenn sie wieder freigelassen werden, nimmt man ihnen vorher das Geld ab, das wir ihnen gegeben haben oder die Lebensmittel, die sie gekauft haben weg. Männer werden getötet, Frauen vergewaltigt. Darum haben wir Angst rauszugehen."
"Wie sollen wir denn hier überleben?"
Stella Bodus ist deshalb froh, dass sie es geschafft hat, ihre Nähmaschine mit ins Lager zu bringen und so ihren Lebensunterhalt in dessen Schutz bestreiten kann.
"Wie sollen wir denn hier überleben? Wir haben keine Unterstützung. Darum haben wir nach Mitteln und Wegen gesucht, die Nähmaschine hierher zu bringen. Damit wir hier drinnen überleben können. Es bringen tatsächlich sehr viele ihre Kleider zu uns."
Die Vereinten Nationen sind humanitär, politisch und militärisch nahezu hilflos: Die UNMISS genannte Blauhelmmission im Land hat kein Mandat, gegen Rebellen vorzugehen. Sie soll die Sicherheitsorgane unterstützen, Menschenrechte überwachen und Flüchtlinge schützen.
Über mögliche Kampfhandlungen von UN-Soldaten möchte UNMISS-Sprecherin Ariane Quentier aber nicht sprechen:
"UNMISS ist unparteiisch. Unparteiisch, in dem Sinn, dass wir keine Seite in dem Konflikt unterstützen. Unparteiisch in der Unterstützung aller Flüchtlingen, egal wo sie herkommen, wer sie sind oder welchen politischen oder religiösen Hintergrund sie haben."
Während die Vereinten Nationen mit sich selber und dem verzweifelten Versuch beschäftigt sind, der Zivilbevölkerung zu helfen, machen politische und ethnische Grabenkämpfe der südsudanesischen Konfliktparteien die Verhandlungen schwierig.
In Juba sind die Flüchtlingslager längst Städte in der Stadt. Entlang der Fußwege durch die Lager gibt es viele Geschäfte. Außerdem Krankenhäuser, Wasserstellen und hunderte Sanitäranlagen. Täglich verändern sich diese Einrichtungen. Sie werden ausgebaut, verbessert und befestigt. Ein Indiz, dass sich UN und Flüchtlinge darauf einstellen, dass die Lager längere Zeit bestehen bleiben. Auch Kong Tjol hat einen Laden. Bei ihm kann man Mehl und Nudeln einkaufen:
"Es ist nicht Zeit, zurückzugehen. Selbst jetzt mit dem Waffenstillstand. Es gibt zu viele Menschen da draußen, die sich weigern den Waffenstillstand einzuhalten."
"Es gibt Massentötungen"
An einer anderen Stelle verkaufen zwei Jugendliche Kaugummis und Getränke. Sie haben ihren Stand am Rand des Weges auf Pappkartons aufgebaut. Schatten spendet ein roter Regenschirm. Darauf steht "Wählt Salva Kiir". Dabei hat der Machtkampf zwischen Südsudans Präsident Kiir und seinem politischen Gegner Riek Machar sie erst in dieses Lager getrieben.
Der Mann, der seinen Namen nicht sagen will, ist eine gesellschaftliche Respektsperson. Er trägt eine Art dunkelgrünen weitgeschnittenen Schlafanzug - im Südsudan ein Symbol für Menschen mit Bedeutung in ihrer privaten Umgebung. Zusammen mit zwölf anderen Männern sitzt er vor einem größeren UN-Zelt im Schatten. Sie sind so etwas wie der Ältestenrat des Flüchtlingslagers – und er ist ihr Sprecher:
"Es gibt Massentötungen. Und wenn wir heute umgebracht werden, können wir nicht rausfinden, wer uns umgebracht hat. Wir gehören hier alle zu einer ethnischen Gruppe. Was bedeutet das?"
Kiir von der Volksgruppe der Dinka und Machar von der Volksgruppe der Nuer spalten mit ihrem tödlichen Streit das Land. In den Lagern für die Binnenflüchtlinge findet man meistens Nuer. Doch in vielen Landesteilen müssen auch Dinka vor Gräueltaten der Rebellen flüchten. Den Glauben an die Zukunft geben die Ältesten im Lager in Juba dennoch nicht auf.
"Es wird verhandelt und die Menschen versuchen sich zu versöhnen. Wir haben Vermittler wie die ostafrikanische Vermittlungskommission IGAD oder auch lokale Politiker. Die Menschen diskutieren intensiv und treten in einen Dialog. Wo liegen die Wurzeln für diesen Konflikt? Sie werden es rausfinden."
"Kein ethnischer Konflikt, sondern ein politischer"
Außerhalb des Lagers, in Jubas Innenstadt, ist von einem Konflikt nur noch wenig zu spüren. Längst herrscht hier wieder Alltag. Die Geschäfte sind offen, Menschen gehen zur Arbeit, Zeitungen werden wieder gedruckt. Knappes Benzin und die nächtliche Ausgangssperre sind die einzigen Indizien für eine Krise. Aber die sehen die Menschen hier auf der Straße ganz anders.
"Es ist kein ethnischer Konflikt, sondern ein politischer. Die, die was anderes sagen, haben unrecht, weil wir ethnische Trennung innerhalb der Bevölkerung nicht mögen. Wir sind eine Nation."
Ob ethnisch oder politisch: Es ist ein Konflikt mit enormer Zerstörungskraft. Ganze Städte sind nicht mehr. Millionen von Menschen blicken in eine ungewisse Zukunft.
Armeesprecher Philip Agwer spricht an einem Podium
Sprecher der südsudanesischen Regierungsarmee SPLA: Philip Agwer© picture alliance / dpa
Eine politische Lösung wird es ohne überwachtes Waffenstillstandsabkommen so schnell wohl nicht geben, vermutet SPLA-Sprecher Agwer:
"Besser wäre ein Waffenstillstand mit einem Mechanismus, die Waffenpause zu überwachen. So kann die Partei benannt werden, die das Abkommen verletzt. Doch ein Abkommen ohne Überprüfungsmechanismus ist ein schwacher Waffenstillstand."
Politik als Schlüssel zu einer friedlichen Zukunft
Ein solcher Waffenstillstand ist allerdings nicht absehbar. Und so scheitern die Chancen für eine politische Lösung an sporadischen aber doch teils heftigen Gefechten. Toby Lanzer, Chef für die humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen im Südsudan, hofft trotzdem auf die Politik. Sie ist für ihn der Schlüssel zu einer friedlichen Zukunft des Landes:
"Es wurde schrecklich viel Blut vergossen und Schmerz gespürt. Eine stabile politische Versöhnung und ein echtes Fundament für eine Entwicklung dieses Landes wird einige Zeit brauchen. Es werden wichtige Signale sein, die die politischen Führer jetzt in den Friedensverhandlungen geben."
Und dann sind da noch die elf Millionen Südsudanesen. Sie leben getrennte Leben: Innerhalb oder außerhalb der Flüchtlingslager. Die einen in Not, die anderen wieder im Alltag – zumindest in Juba. Doch sie müssen auch eine friedliche Zukunft des Landes in ihren Alltag lassen.
Daniel Juma hat die Zerstörung der Provinzhauptstadt Bor miterlebt. Er sah die Leichen getöteter Zivilisten, Kindersoldaten und stand vor den Ruinen seines geplünderten Hauses. Drei Tage ist er zu Fuß, mit einem Boot und per Auto in die Hauptstadt Juba geflohen. Noch fällt es ihm schwer, an die Zukunft seiner Heimat zu glauben:
"Es war eine harte Situation, die wir nicht erwartet hatten, nachdem Südsudan unabhängig geworden war. Wir hatten die Vorstellung, dass es Zeit für Entwicklung, Zeit für Frieden, Zeit für Einheit ist. Jetzt ist unser Problem, wie wir wieder zum Frieden zurückfinden können. Wie wir wieder eine gute Einigkeit finden, die die Menschen zusammenbringt."
"Hier in Juba ist es wieder sicher"
Das Vertrauen in die Politik ist bei den Südsudanesen gering. Es gibt dennoch Hoffnung: Trotz des blutigen Konflikts bauen sie auf die Gemeinsamkeit der Menschen im Land.
"Wenn es Frieden gibt, bringt uns das wieder zusammen. Vor allem Dinka und Nuer. Es ist doch kein Problem. Wir sind noch am Leben und es ist unser Land. Und niemand ist besser als der andere. Wir sind alle gleich. Aber wenn Dinge in der Regierung passieren und das die normalen Menschen trifft, ist das schlimm."
"Es wird eine Zeit für Versöhnung geben. Denn ob wir es wollen oder nicht: Wir sind eine Nation. Eine junge Nation. Lasst uns erstmal über die Menschen reden. Warum reden wir über den Wiederaufbau? Der Mensch ist wichtiger. Leben wir in Sicherheit? Sind wir gesund? Haben wir die richtigen Gedanken? Es wird viele Fragen geben."
"Hier in Juba ist es wieder sicher. Alle gehen ihrer Arbeit nach. Ich habe nur eine Hoffnung: Dass die Einigung über einen Waffenstillstand zwischen den beiden Konfliktparteien auch eingehalten und respektiert wird. Sie sollen zusammen für die Entwicklung des Landes arbeiten. Diese Menschen hatten 21 Jahre gekämpft. Wir wollen nicht, dass sich das jetzt wiederholt."
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