Südtiroler Literatur

Weltoffen dreisprachig

56:04 Minuten
Eine Skulptur von Walther von der Vogelweide ist zum Teil zu sehen. Die Skulptur des deutschsprachigen Mittelalter-Lyrikers ist von unten fotografiert, der Hintergrund ist blau.
Denkmal für Walther von der Vogelweide in Bozen. Die Skulptur des deutschsprachigen Mittelalter-Lyrikers steht auf dem nach ihm benannten Waltherplatz. Neben Deutsch wird in Südtirol auch Italienisch und Ladinisch gesprochen. © imago / Südtirolfoto / imago stock&people
Von Matthias Kußmann |
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Südtirol ist bekannt für Äpfel, vor Jahrzehnten waren es Bombenanschläge. Inzwischen ist die Provinz Italiens befriedet. Geblieben sind Vorbehalte und Fremdheitsgefühle zwischen den Sprachgruppen in der Region, von denen die Literatur (auch) erzählt.
„Alto Adige“ ist der italienische Name für Südtirol. In der nördlichsten Provinz des Landes werden drei Sprachen gesprochen und drei Kulturen gelebt: Italienisch, Deutsch und Ladinisch. Diese Vielfalt macht die wohlhabende Region zu einem europäischen Vorzeigeprojekt, bringt aber auch Spannungen und Konflikte mit sich.

Sprengstoffanschläge und Bomben

Südtirol war jahrhundertelang vorwiegend deutschsprachig. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Provinz von Italien annektiert. Diktator Benito Mussolini wollte den Landstrich „italianisieren“. Er verhängte Sanktionen gegen die deutschsprachige Bevölkerung und schickte zehntausende Italiener vor allem nach Bozen, für die er ein riesiges Viertel mit Wohnungen und Industrie errichten ließ.
1948 sollte ein Autonomiestatut für Gleichberechtigung der drei Sprachgruppen sorgen, doch Italiener wurden weiter bevorzugt. Die deutschsprachigen Einwohner radikalisierten sich und verübten Attentate auf symbolträchtige Orte sowie die Infrastruktur, dann auch auf italienische Sicherheitskräfte.
Sepp Mall setzt sich in seinen Büchern mit dieser Gewaltgeschichte auseinander. „Weil es auch unsere Geschichte ist, also die Geschichte Südtirols, die zum Teil zwar historisch aufgearbeitet ist, aber sonst kaum präsent ist im Alltag“, sagt er.

Gleichberechtigung der Sprachgruppen

1972 trat das Zweite Autonomiestatut in Kraft, das Südtirol befriedete. Es macht die „autonome Provinz“ in vielen Hinsichten unabhängig von der Regierung in Rom und fördert das gleichberechtigte Miteinander der Sprachgruppen. Eine alte Forderung aber löst es nicht ein: den Schulunterricht in allen drei Sprachen der Provinz. Nur in den Schulen der kleinsten Sprachgruppe, der ladinischen, gibt es ihn.

Von deutscher Seite wird immer wieder gesagt: Achtung, wir verlieren unsere Identität, unsere deutsche Tiroler Identität, wenn wir zu nahe ans Italienische herankommen. Wenn Kinder mehrsprachig aufwachsen, lernen sie das Deutsche schlecht usw. Bestimmte Italiener, die das ähnlich sehen, von der anderen Seite aus, haben auch ihre Gründe, nämlich ihre "Italianità" zu verlieren – die sie, wie sie sagen, mit dem Rest Italiens verbindet. Das sind, glaub' ich, die Ängste, die dahinterstehen.

Sepp Mann, Autor aus Südtirol

Ämter nach Proporz

Die deutsche Sprachgruppe ist mit knapp 70 Prozent die größte der Südtiroler Bevölkerung, 26 Prozent gehören zur italienischen, nur viereinhalb Prozent zur ladinischen. Die kleinste Gruppe ist in deutlich geringerem Maße an den politischen Entscheidungen beteiligt als die beiden größeren: Politische Posten in Südtirol werden nach Proporz vergeben, also nach dem Bevölkerungsanteil der Sprachgruppen. Das zwingt Ladinerinnen und Ladiner, auf deutsch- und italienischsprachige Menschen zuzugehen und deren Sprachen zu lernen, um überhaupt wahrgenommen zu werden.
Die ladinische Autorin Rut Bernardi zeigt sich denn auch illusionslos: „Die Ladiner kommen so als Folklore vor, kann ich fast sagen. Das ist ganz nett. Ein Politiker grüßt vielleicht auf Ladinisch oder lernt einen Gruß auf Ladinisch, aber das war’s schon. Die würden sich nicht bemühen, einen Sprachkurs zu machen, damit sie auch mit den Ladinern Ladinisch sprechen können. Ich kenne bis jetzt keinen.“
Nicht nur die Ladiner klagen. Die deutschsprachigen Südtiroler leiden noch immer darunter, dass sie als weitaus größte Bevölkerungsgruppe während der Italianisierung benachteiligt wurden. Inzwischen sorgt die Proporzregelung aber dafür, dass sie die meisten einflussreichen Stellen besetzen – was wiederum die Italienischsprachigen unzufrieden macht, die darauf pochen, schließlich in Italien zu leben.

Politisierte Sprache

Der italienische Schriftsteller Stefano Zangrando sagt: „Ich bin damit aufgewachsen, dass man mir gesagt hat: 'Pass auf, wenn du 18 bist, musst du die italienische Rechte wählen, damit du die Italiener verteidigst gegen die Deutschen.' In dem Moment, als ich das verstanden hatte, hab ich gesagt: Das geht doch nicht!“
Diese Spannungen und die Distanz der Sprachgruppen sind unterschwellig vorhanden, sie bestimmen das Südtiroler Leben aber nicht. Vorbei sind die Zeiten, als man in bestimmten Gegenden besser den Mund hielt, weil die Sprache als Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsgruppe interpretiert wurde. Für die Schriftstellerinnen und Schriftsteller ist die gesteigerte Aufmerksamkeit für Sprache natürlich Alltag, aber als Südtirolerinnen und Südtiroler müssen sie immer deren Politisierung umschiffen.
(pla)

Das Manuskript der Sendung können Sie hier herunterladen.

Es sprechen: Anika Mauer, Stefan Kaminski und Christoph Gawenda
Ton: Martin Eichberg
Regie: Stefanie Lazai
Redaktion: Jörg Plath
Produktion Deutschlandfunk Kultur 2022

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