Sünde und Vergebung

Von Almut Finck |
Hugo von Hofmannsthals "Jedermann" gehört zu Salzburg wie die Nockerln, der Schnürlregen und Wolfgang Amadeus Mozart. Dabei hat das "Spiel vom Sterben des reichen Mannes" seine Wurzeln im Berlin der Kaiserzeit. Dort wurde es vor 100 Jahren uraufgeführt.
"Je-der-mann ..."

So klingt der Tod. Jedermanns Tod.

"Jedermann …"

Als sein grausiger Ruf erstmals über eine Bühne hallt, liegt ein
Duft von Pferdeäpfeln und Raubtierschweiß in der Luft. Denn Regisseur Max Reinhardt, der das große Schautheater liebt, hat als Spielort für die Uraufführung des Jedermann am 1. Dezember 1911 einen Zirkus gewählt: den 5000 Zuschauer fassenden Bau des Circus Schumann in Berlin.

"Jedermann, jedermann …"

Ob es aber nur am Stallgeruch lag, wenn das Lob der Presse
mehr als verhalten ausfiel? Zwar hatte der große Reinhardt das Stück Hugo von Hofmannsthals üppig ausstaffiert: mit Licht- und Schattenspiel, Orgelklängen und Engelsharfen - und fantastischen Kostümen.

Wachsfigurenkabinett!

... spottete die Wochenzeitung "Die Welt am Montag".

Kunsthistorische Vorträge mit Lichtbildern und Musik sind gewiss eine schöne Sache. Aber im Theater haben sie nichts zu suchen.

Dabei war der 1874 geborene Autor des Jedermann kein Irgendwer, sondern der wichtigste Vertreter der Wiener Moderne, schon mit 16 ein feinsinniger Sprachkünstler, frühreif, genial, vom Dichter Stefan George in den Kreis seiner Jünger geholt.

Der Autor hat nichts zu sagen,

... polterte gleichwohl einer wie Gerhart Hauptmann.

Ein sauberer antiquierter Spaß, der beweist, dass sein Verfasser Zeit und Geld hatte.

Eine Stichelei unter Konkurrenten, mag sein. Aber in einem hatte der Dramatiker Hauptmann recht: Hofmannsthals Spiel vom Sterben des Reichen Mannes war seltsam anachronistisch.

Das Jedermann-Motiv kannte man bereits in den frommen Mysterienspielen des christlichen Mittelalters. Jedermann besitzt Macht und Geld, liebt das Huren und Prassen. Doch eines Tages platzt ein Fremder mitten in ein Bankett, das er gibt, und behauptet, der Schöpfer selbst habe ihn geschickt. Angst überkommt da den reichen Mann.

"Was will mein Gott von mir?
Abrechnung will er halten mit dir!
Müsst ich das tun, da käm ich in Not.
Auch kenn ich dich nit, was bist für ein Bot?
Ich bin der Tod …"

Jedermanns Gäste geben Fersengeld. Keiner will ihn begleiten auf seiner letzten Reise, keiner im Angesicht Gottes für ihn sprechen.

"Fährst in die Gruben nackt und bloß,
So wie du kamst, aus Mutters Schoß."

Am Ende ist also auch der reichste Mann nur ein armer Tropf.
Doch Jedermann wird geläutert. Von seinen Sünden bekehrt steigt er ins Grab. Wer ihm zur Seite steht? Sein Glaube.

"Heil ihm, mich dünkt es ist an dem,
Dass ich der Engel Stimmen vernehm,
Wie sie in ihren himmlischen Reihn
Die arme Seele lassen ein."

Soviel christliche Allegorik stößt bei den modernen Großstadt-Berlinern von 1911 auf Befremden. Der Durchbruch für Hofmannsthals Stück um Sünde und Vergebung kommt erst 1920 im katholischen Salzburg.

Europa hat grade den schrecklichsten aller bisherigen Kriege erlebt, die Menschen suchen Halt. Max Reinhardt plant Völker verbindende Friedensspiele und eröffnet mit einer Neuinszenierung des Jedermann.

Mit dabei, wie schon in Berlin: der legendäre Alexander Moissi.

"Nimm die Belehrung von mir an
Das war ein weiser und hoher Mann,
Der uns das Geld ersonnen hat,
An nieder’n Tauschens und Kramens statt."

Heute ist Hofmannsthals Stück auch in der Stadt der Uraufführung wieder zu sehen. Regie führt alljährlich, seit 1986, die Schauspielerin Brigitte Grothum. An Renommee hinkt die Berliner Inszenierung der in Salzburg hinterher, noch zumindest. Dort, unterhalb der Festung Hohensalzburg und vor der malerischen Kulisse des barocken Doms, wurde der Jedermann inzwischen mehr als 600 Mal gegeben, mal ent-, mal verkitscht und alle paar Jahre, bisweilen grausam, aktualisiert. Zuletzt, Signum der Banken- und Eurokrise, hat man den blanken Hintern des Mammon mit Blattgold bepinselt. Echt soll es gewesen sein.