"Süß, schön, prächtig und sehr, sehr abgründig"
Titelsucht, abgeranzte Kaffeehäuser und ein hundsgemeiner Humor: Das Buch "Küss die Hand, Moderne" befasst sich mit den Eigenarten der österreichischen Hauptstadt. Herausgeberin Eva Menasse erklärt im Interview, was ihr an Wien besonders gefällt.
Liane von Billerbeck: Eine Stadt zwischen Barock und Balkan, deren Sprache manchen sehr grob vorkommt, in der man gut essen und trinken und ins Theater gehen kann, in die Oper natürlich auch, und in der man über den wohl schwärzesten Humor verfügt, der auf Deutsch zu haben ist: Wien. Dieser Stadt ist ein Buch gewidmet mit dem schönen Titel "Küss die Hand, Moderne", das jetzt im Corso Verlag erschienen ist, und als Herausgeberin, genauer gesagt als Gastgeberin, wie es auf dem Buch steht, fungiert eine Wiener Autorin, Schriftstellerin, die aber in Berlin lebt, Eva Menasse nämlich. Die hat sich allerlei Prominenz und literarische Kollegen eingeladen, um das Hohelied auf Wien zu singen, obwohl Hohelied ja schon mal der falsche Begriff dafür ist. Bisher gab es solche Bücher über Paris, London, Istanbul, Kopenhagen, Rom, Barcelona – nun also Wien. Herzlich Willkommen, grüß Gott, Eva Menasse!
Eva Menasse: Grüß Gott!
von Billerbeck: Da bin ich ja froh, dass Sie das auch sagen, ich wollte nämlich eigentlich fragen: Wie begrüßt man sich denn in Wien, wenn man kein Herr ist und nicht sagen kann "Küss die Hand"?
Menasse: Ja, eben mit "Grüß Gott", aber ich muss immer lachen, weil ich das in Berlin tunlichst nicht verwende. Ich kann mich erinnern: Vor ein paar Jahren ist ein Nachbar meiner Nichte begegnet im Treppenhaus, und sie hat natürlich automatisch "Grüß Gott" gesagt, und er zu mir anzüglich: "Aha, Besuch aus Grüß-Gott-Land?" – also ich vermeide das in Berlin tunlichst.
von Billerbeck: Über Wien hat ja jeder so sein Urteil und auch sein Vorurteil, eine ganze Reihe davon stimmen vielleicht, und die drucken Sie auch im Buch ab. Wie würden Sie einem Fremden, nicht einem Blinden, Wien beschreiben?
Menasse: Ach du liebe Zeit: süß, schön, prächtig und sehr, sehr abgründig in Kurzform, also die Langform wäre zu lang für hier.
von Billerbeck: Als Berlinerin, die ich bin, norddeutsch durch und durch, da gefiel mir ganz besonders eine Fußnote in Ihrem Buch – Sie wissen, wir sind ja gerade geplagt vom Fehlen solcher Fußnoten in gewissen Dissertationen –, bei Ihnen steht an einem Text, wahrscheinlich für wichtigtuerische deutsche Leser: "Wiener Schmäh wird nicht mit ä, sondern mit e gesprochen." Hat sich also die Lautverschiebung vom ä nach e aus dem norddeutschen Raum nach Wien übertragen, oder ist Wien etwa der Ursprung dieser Lautverschiebung?
Menasse: Ich habe keine Ahnung, ich begegne nur ständig Norddeutschen, die immer Schmäh sagen, und da zucke ich Wienerin zusammen und denke mir dann für die deutschen Leser: Die muss ich warnen, wenn die dann sozusagen als unbedarfte Touristen in Wien herumstolpern und zu den Einheimischen sagen, na, Sie haben ja einen tollen Schmäh, dann ist sozusagen schon alles aus. Deswegen war es mir wichtig, dass man auch als unbedarfter Deutscher weiß, dass man eben Schmeh sagt, so wie der Schnee, und nicht mit dem Umlaut-A.
von Billerbeck: Wenn wir schon beim Wiener Schmäh sind: Was ist das eigentlich?
Menasse: Man kann vielleicht ein paar Parameter erwähnen, die zum Wiener Schmäh gehören, das ist erstens eine gewisse Gemeinheit, die aber hintenrum ist, das ist der Gegensatz zum Berliner Humor, der ja immer erst mal sehr grob anfängt, und dann nett wird. Beim Wiener ist es umgekehrt: Es sieht immer nett aus und ist aber meistens hundsgemein.
Eine weitere Eigenart des Wienerischen und vielleicht sogar überhaupt des Österreichischen ist seine Lust am Sprachspiel, also die Worte werden gedreht und gewendet und man versucht, sich anzuschauen, was man noch alles damit machen kann, wie man sie neu kombinieren kann. Dieser Sprachwitz, dieses Kalauern ist etwas typisch Wienerisches. Und dann gibt es auch noch eine gewisse politische Inkorrektheit, die immer beim Wiener Humor dabei ist, die Deutsche meistens schockiert, mich inzwischen auch, ich bin jetzt schon seit über zehn Jahren in Berlin, und manchmal erbleiche ich vor Schreck, also wie die Wiener so ganz lustig sich gegenseitig anstoßend und schenkelklopfend über Frauen, Schwule, Minderheiten, was weiß ich was reden.
von Billerbeck: Das kann ja auch ganz normaler Rassismus sein.
Menasse: Das ist zum Teil auch tatsächlich Alltagsrassismus, aber das Problem des guten Wiener Humors ist, dass er eben an die Grenze geht und manchmal auch etwas drüber. Das habe ich versucht, in meinem Essay zu beschreiben. Also dieses An-die-Grenze-Gehen gehört schon zum schwarzen Humor auch dazu. Man kann keinen politisch korrekten, guten Humor haben, also das ist so eine Grenzgeschichte.
Ein weiteres Phänomen, das man aus Wien kennt, ist diese Titelsucht. Die verbindet sich dann sehr lustig mit dieser Geschichte: Wenn Sie sich – ich habe das gemacht –alte Wochenschauen anschauen, 50er-Jahre, österreichischer Fußball, und dann den Kommentar anhören, dann geht das ungefähr so: "Dr. Körner, Dr. Körner nimmt den Ball zu Ing. Pablaczek, Pablaczek zu Dr. Körner... " Also Sie haben ununterbrochen die Titel bei den Fußballern mitgenannt.
von Billerbeck: Das ist mir natürlich auch vorher eingefallen, der Titelfetisch, die Titelsucht der Österreicher und auch der Wiener, und ich dachte: Wie werden Sie wohl damit umgehen? Und Sie sind in dem Buch auf eine wunderbare Idee gekommen, weil Sie wollten darüber was machen, und dann haben Sie einfach das Kundensystem der Onlinebuchungen abgedruckt.
Menasse: Genau.
von Billerbeck: Ohne Namen, nur die Titel.
Menasse: Das hat die Redaktion in Hamburg gefunden. Die waren noch am überlegen, und irgendjemand hat dann auf diese Webseite geguckt, und da kann man eben seinen Titel eingeben mit so einem Kästchen, wo man dann runterscrollen kann – und das sind mehrere Seiten, also von Architekt ist glaube ich das erste, bis Z wie ... das ist am Schluss auch ganz absurd. Es sind Hunderte verschiedener Titel zur Auswahl, mit denen man seine Burgtheaterkarte buchen kann, und das hat gereicht, da brauchte man keinen weiteren Kommentar mehr.
von Billerbeck: Ein Klischee oder auch eine Wahrheit über Wien ist, dass man dort besonders guten Kaffee trinken könnte. Sie haben ein Stück über Kaffee und Kaffeehäuser, und das wird optisch untermalt von Fotos, auf denen einerseits die Leuchter, die Lampen an der Decke, und andererseits die Mittelfüße der Kaffeehaustische abgebildet sind. Was bitte sagt denn das über den Kaffee, der dann auf der Tischplatte getrunken wird?
Menasse: Das ist wirklich einer meiner Lieblingstexte in dem ganzen Band, von Thomas Kapielski, dem Berliner Autor. Ich war zuerst skeptisch, ob man ausgerechnet ihn in die Wiener Kaffeehäuser schicken sollte, aber die Idee hat sich nachher wirklich als brillant herausgestellt: Er hat die Kaffeehäuser wunderbar beschrieben und nach den genau richtigen Kriterien beurteilt, nämlich nach Abgeranztheit und Verrauchtheit. Also ein ordentliches Kaffeehaus darf natürlich niemals renoviert werden. Absolute Todsünde: Laminatfußboden reinlegen. Absolute Todsünde: ausmalen und den Zigarettenfilm von den letzten 50 Jahren irgendwie übertünchen. Also dass der Kaffee in Wien gut ist, würde ich ja bestreiten, dem Kapielski scheint er geschmeckt zu haben.
von Billerbeck: Wo würden Sie denn Kaffee trinken?
Menasse: Ich würde genau wie er immer gern ins Café Tirolerhof gehen oder auch ins Café Eiles oder ins Café Hummel, in diese Cafés, die wirklich noch so aussehen, wie sie in meiner Kindheit ausgesehen haben und auch schon in der Jugend meines Großvaters, also abgeranzt, irgendwie schäbig und daher ein Phänomen zeigend, das ich in Deutschland sehr vermisse, was Kaffeehäuser betrifft: diese totale Durchmischtheit des Publikums. In Wien in einem anständigen Kaffeehaus finden Sie von der Mindestrentnerin zum Studenten über den Rechtsanwalt, der sein Mandantengespräch führt, hin zu Künstlern, die ihre Premierenfeiern abhalten, wirklich absolut alles und jeden, jede Altersklasse und jede Einkommensstufe, bunt gemischt. Das ist etwas, was mich sozusagen demokratisch entzückt, obwohl Wien sonst viele Dinge hat, die nicht sehr demokratisch sind. Aber das ist etwas wahnsinnig Schönes am Kaffeehaus.
von Billerbeck: Eine Frage, die man sich auch stellt, die in vielen größeren Städten eine Rolle spielt, ist, wie sich die soziale Verteilung in so einer Stadt darstellt. Also in einer Stadt wie Hamburg beispielsweise, da lautet die erste Frage, wo wohnen Sie, und das sagt dann etwas über mich und auch über den Frager. Bei Ihnen gibt es einen Text, dass das keine Rolle spielt, wo man in Wien wohnt. Warum nicht?
Menasse: Das ist ein Text, der ist mir politisch wahnsinnig am Herzen gelegen, und ich bin ganz froh, dass wir da so einen tollen Text von Sybille Hamann bekommen haben. Ich habe das einmal in einem Interview in einer Zeitung in Deutschland gelesen, wo so ein Gentrifizierungsforscher Wien gelobt hat – das Zitat ist übrigens ganz hinten in diesen vermischten Texten auch noch mal abgedruckt –, wo dieser Mensch gesagt hat, dass Wien eigentlich das leuchtende Beispiel ist für eine Großstadt, die sich nicht segregiert, weil die Stadtverwaltung gut gearbeitet hat politisch in den letzten Jahrzehnten und immer dorthin Geld gibt, also öffentliches Geld, wo ein Quartier abzusinken droht, und nicht dorthin, wo die Leute ohnehin hinziehen, weil es gerade schick wird. Und dadurch ergibt sich eine Mischung, die in Wien immer noch funktioniert.
Es gibt natürlich diese sogenannten Ausländerviertel, wo man nicht unbedingt hinziehen will, aber es gibt solche Viertel auch, die sich gerade wieder umdrehen. Also der 2. Bezirk hat sich in den letzten 20 Jahren umgedreht: Das war in meiner Kindheit Prostitution und Spiele, also Glücksspiel, da hat man keinen Fuß hinbewegt, heute, wenn ich nach Wien ziehen würde, würde ich sofort in den 2. Bezirk ziehen wollen, allerdings könnte ich es mir heute glaube ich nicht mehr leisten. Und genauso ist es mit anderen Quartieren in Wien, und darauf bin ich als Wienerin aus der Ferne wahnsinnig stolz. Und das muss man auch mal beschreiben und sagen, denn gleichzeitig ist es ja so absurd, dass die Wiener – genau wie der Rest Österreichs – immer so geneigt sind, rechts zu wählen bei den Wahlen und immer dieses Ausländerthema unglaublich aufzublasen, und eben das in einer Stadt, die dank kluger Politik und anderer Faktoren eben nicht betroffen ist von diesen eminenten Brennpunkten, wie wir sie in Berlin zum Beispiel in Neukölln und in anderen Bezirken haben. Also das ist ein Text, der ist wirklich ein großes Anliegen von mir gewesen.
von Billerbeck: Die Schriftstellerin Eva Menasse war bei uns zu Gast über Wien, "Küss die Hand, Moderne" heißt das bei Corso erschienene Buch, das unseren Hörern ans Herz gelegt sei. Frau Menasse, danke fürs Kommen!
Menasse: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Eva Menasse: Grüß Gott!
von Billerbeck: Da bin ich ja froh, dass Sie das auch sagen, ich wollte nämlich eigentlich fragen: Wie begrüßt man sich denn in Wien, wenn man kein Herr ist und nicht sagen kann "Küss die Hand"?
Menasse: Ja, eben mit "Grüß Gott", aber ich muss immer lachen, weil ich das in Berlin tunlichst nicht verwende. Ich kann mich erinnern: Vor ein paar Jahren ist ein Nachbar meiner Nichte begegnet im Treppenhaus, und sie hat natürlich automatisch "Grüß Gott" gesagt, und er zu mir anzüglich: "Aha, Besuch aus Grüß-Gott-Land?" – also ich vermeide das in Berlin tunlichst.
von Billerbeck: Über Wien hat ja jeder so sein Urteil und auch sein Vorurteil, eine ganze Reihe davon stimmen vielleicht, und die drucken Sie auch im Buch ab. Wie würden Sie einem Fremden, nicht einem Blinden, Wien beschreiben?
Menasse: Ach du liebe Zeit: süß, schön, prächtig und sehr, sehr abgründig in Kurzform, also die Langform wäre zu lang für hier.
von Billerbeck: Als Berlinerin, die ich bin, norddeutsch durch und durch, da gefiel mir ganz besonders eine Fußnote in Ihrem Buch – Sie wissen, wir sind ja gerade geplagt vom Fehlen solcher Fußnoten in gewissen Dissertationen –, bei Ihnen steht an einem Text, wahrscheinlich für wichtigtuerische deutsche Leser: "Wiener Schmäh wird nicht mit ä, sondern mit e gesprochen." Hat sich also die Lautverschiebung vom ä nach e aus dem norddeutschen Raum nach Wien übertragen, oder ist Wien etwa der Ursprung dieser Lautverschiebung?
Menasse: Ich habe keine Ahnung, ich begegne nur ständig Norddeutschen, die immer Schmäh sagen, und da zucke ich Wienerin zusammen und denke mir dann für die deutschen Leser: Die muss ich warnen, wenn die dann sozusagen als unbedarfte Touristen in Wien herumstolpern und zu den Einheimischen sagen, na, Sie haben ja einen tollen Schmäh, dann ist sozusagen schon alles aus. Deswegen war es mir wichtig, dass man auch als unbedarfter Deutscher weiß, dass man eben Schmeh sagt, so wie der Schnee, und nicht mit dem Umlaut-A.
von Billerbeck: Wenn wir schon beim Wiener Schmäh sind: Was ist das eigentlich?
Menasse: Man kann vielleicht ein paar Parameter erwähnen, die zum Wiener Schmäh gehören, das ist erstens eine gewisse Gemeinheit, die aber hintenrum ist, das ist der Gegensatz zum Berliner Humor, der ja immer erst mal sehr grob anfängt, und dann nett wird. Beim Wiener ist es umgekehrt: Es sieht immer nett aus und ist aber meistens hundsgemein.
Eine weitere Eigenart des Wienerischen und vielleicht sogar überhaupt des Österreichischen ist seine Lust am Sprachspiel, also die Worte werden gedreht und gewendet und man versucht, sich anzuschauen, was man noch alles damit machen kann, wie man sie neu kombinieren kann. Dieser Sprachwitz, dieses Kalauern ist etwas typisch Wienerisches. Und dann gibt es auch noch eine gewisse politische Inkorrektheit, die immer beim Wiener Humor dabei ist, die Deutsche meistens schockiert, mich inzwischen auch, ich bin jetzt schon seit über zehn Jahren in Berlin, und manchmal erbleiche ich vor Schreck, also wie die Wiener so ganz lustig sich gegenseitig anstoßend und schenkelklopfend über Frauen, Schwule, Minderheiten, was weiß ich was reden.
von Billerbeck: Das kann ja auch ganz normaler Rassismus sein.
Menasse: Das ist zum Teil auch tatsächlich Alltagsrassismus, aber das Problem des guten Wiener Humors ist, dass er eben an die Grenze geht und manchmal auch etwas drüber. Das habe ich versucht, in meinem Essay zu beschreiben. Also dieses An-die-Grenze-Gehen gehört schon zum schwarzen Humor auch dazu. Man kann keinen politisch korrekten, guten Humor haben, also das ist so eine Grenzgeschichte.
Ein weiteres Phänomen, das man aus Wien kennt, ist diese Titelsucht. Die verbindet sich dann sehr lustig mit dieser Geschichte: Wenn Sie sich – ich habe das gemacht –alte Wochenschauen anschauen, 50er-Jahre, österreichischer Fußball, und dann den Kommentar anhören, dann geht das ungefähr so: "Dr. Körner, Dr. Körner nimmt den Ball zu Ing. Pablaczek, Pablaczek zu Dr. Körner... " Also Sie haben ununterbrochen die Titel bei den Fußballern mitgenannt.
von Billerbeck: Das ist mir natürlich auch vorher eingefallen, der Titelfetisch, die Titelsucht der Österreicher und auch der Wiener, und ich dachte: Wie werden Sie wohl damit umgehen? Und Sie sind in dem Buch auf eine wunderbare Idee gekommen, weil Sie wollten darüber was machen, und dann haben Sie einfach das Kundensystem der Onlinebuchungen abgedruckt.
Menasse: Genau.
von Billerbeck: Ohne Namen, nur die Titel.
Menasse: Das hat die Redaktion in Hamburg gefunden. Die waren noch am überlegen, und irgendjemand hat dann auf diese Webseite geguckt, und da kann man eben seinen Titel eingeben mit so einem Kästchen, wo man dann runterscrollen kann – und das sind mehrere Seiten, also von Architekt ist glaube ich das erste, bis Z wie ... das ist am Schluss auch ganz absurd. Es sind Hunderte verschiedener Titel zur Auswahl, mit denen man seine Burgtheaterkarte buchen kann, und das hat gereicht, da brauchte man keinen weiteren Kommentar mehr.
von Billerbeck: Ein Klischee oder auch eine Wahrheit über Wien ist, dass man dort besonders guten Kaffee trinken könnte. Sie haben ein Stück über Kaffee und Kaffeehäuser, und das wird optisch untermalt von Fotos, auf denen einerseits die Leuchter, die Lampen an der Decke, und andererseits die Mittelfüße der Kaffeehaustische abgebildet sind. Was bitte sagt denn das über den Kaffee, der dann auf der Tischplatte getrunken wird?
Menasse: Das ist wirklich einer meiner Lieblingstexte in dem ganzen Band, von Thomas Kapielski, dem Berliner Autor. Ich war zuerst skeptisch, ob man ausgerechnet ihn in die Wiener Kaffeehäuser schicken sollte, aber die Idee hat sich nachher wirklich als brillant herausgestellt: Er hat die Kaffeehäuser wunderbar beschrieben und nach den genau richtigen Kriterien beurteilt, nämlich nach Abgeranztheit und Verrauchtheit. Also ein ordentliches Kaffeehaus darf natürlich niemals renoviert werden. Absolute Todsünde: Laminatfußboden reinlegen. Absolute Todsünde: ausmalen und den Zigarettenfilm von den letzten 50 Jahren irgendwie übertünchen. Also dass der Kaffee in Wien gut ist, würde ich ja bestreiten, dem Kapielski scheint er geschmeckt zu haben.
von Billerbeck: Wo würden Sie denn Kaffee trinken?
Menasse: Ich würde genau wie er immer gern ins Café Tirolerhof gehen oder auch ins Café Eiles oder ins Café Hummel, in diese Cafés, die wirklich noch so aussehen, wie sie in meiner Kindheit ausgesehen haben und auch schon in der Jugend meines Großvaters, also abgeranzt, irgendwie schäbig und daher ein Phänomen zeigend, das ich in Deutschland sehr vermisse, was Kaffeehäuser betrifft: diese totale Durchmischtheit des Publikums. In Wien in einem anständigen Kaffeehaus finden Sie von der Mindestrentnerin zum Studenten über den Rechtsanwalt, der sein Mandantengespräch führt, hin zu Künstlern, die ihre Premierenfeiern abhalten, wirklich absolut alles und jeden, jede Altersklasse und jede Einkommensstufe, bunt gemischt. Das ist etwas, was mich sozusagen demokratisch entzückt, obwohl Wien sonst viele Dinge hat, die nicht sehr demokratisch sind. Aber das ist etwas wahnsinnig Schönes am Kaffeehaus.
von Billerbeck: Eine Frage, die man sich auch stellt, die in vielen größeren Städten eine Rolle spielt, ist, wie sich die soziale Verteilung in so einer Stadt darstellt. Also in einer Stadt wie Hamburg beispielsweise, da lautet die erste Frage, wo wohnen Sie, und das sagt dann etwas über mich und auch über den Frager. Bei Ihnen gibt es einen Text, dass das keine Rolle spielt, wo man in Wien wohnt. Warum nicht?
Menasse: Das ist ein Text, der ist mir politisch wahnsinnig am Herzen gelegen, und ich bin ganz froh, dass wir da so einen tollen Text von Sybille Hamann bekommen haben. Ich habe das einmal in einem Interview in einer Zeitung in Deutschland gelesen, wo so ein Gentrifizierungsforscher Wien gelobt hat – das Zitat ist übrigens ganz hinten in diesen vermischten Texten auch noch mal abgedruckt –, wo dieser Mensch gesagt hat, dass Wien eigentlich das leuchtende Beispiel ist für eine Großstadt, die sich nicht segregiert, weil die Stadtverwaltung gut gearbeitet hat politisch in den letzten Jahrzehnten und immer dorthin Geld gibt, also öffentliches Geld, wo ein Quartier abzusinken droht, und nicht dorthin, wo die Leute ohnehin hinziehen, weil es gerade schick wird. Und dadurch ergibt sich eine Mischung, die in Wien immer noch funktioniert.
Es gibt natürlich diese sogenannten Ausländerviertel, wo man nicht unbedingt hinziehen will, aber es gibt solche Viertel auch, die sich gerade wieder umdrehen. Also der 2. Bezirk hat sich in den letzten 20 Jahren umgedreht: Das war in meiner Kindheit Prostitution und Spiele, also Glücksspiel, da hat man keinen Fuß hinbewegt, heute, wenn ich nach Wien ziehen würde, würde ich sofort in den 2. Bezirk ziehen wollen, allerdings könnte ich es mir heute glaube ich nicht mehr leisten. Und genauso ist es mit anderen Quartieren in Wien, und darauf bin ich als Wienerin aus der Ferne wahnsinnig stolz. Und das muss man auch mal beschreiben und sagen, denn gleichzeitig ist es ja so absurd, dass die Wiener – genau wie der Rest Österreichs – immer so geneigt sind, rechts zu wählen bei den Wahlen und immer dieses Ausländerthema unglaublich aufzublasen, und eben das in einer Stadt, die dank kluger Politik und anderer Faktoren eben nicht betroffen ist von diesen eminenten Brennpunkten, wie wir sie in Berlin zum Beispiel in Neukölln und in anderen Bezirken haben. Also das ist ein Text, der ist wirklich ein großes Anliegen von mir gewesen.
von Billerbeck: Die Schriftstellerin Eva Menasse war bei uns zu Gast über Wien, "Küss die Hand, Moderne" heißt das bei Corso erschienene Buch, das unseren Hörern ans Herz gelegt sei. Frau Menasse, danke fürs Kommen!
Menasse: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.