Süßholz hat "enormes Wirkungsspektrum"

Johannes Mayer im Gespräch mit Ute Welty |
Die Arzneipflanze des Jahres 2012, das Süßholz, hat dem Medizinhistoriker Johannes Mayer zufolge nicht nur antivirale Effekte und schützt die Schleimhäute: Weil es in den Cortisol-Stoffwechsel eingreife, habe es möglicherweise auch positive Auswirkungen auf das Gehirn, sagt der Spezialist für Klostermedizin.
Ute Welty: Etwa einen Meter hoch, Schmetterlingsblütler und beheimatet unter anderem in Zentralasien, am Mittelmeer und am Oberrhein. Die Rede ist vom Süßholz, von der Arzneipflanze des Jahres 2012. Und was die alles kann, das weiß vielleicht am besten Johannes Mayer. Er leitet die Forschungsgruppe Klostermedizin am Institut für Geschichte der Medizin in Würzburg. Guten Morgen, Herr Mayer.

Johannes Mayer: Guten Morgen.

Welty: Damit wir das Wortspiel gleich hinter uns haben: Wenn Sie sich so für das Süßholz begeistern, begeistern Sie sich dann auch fürs Süßholzraspeln?

Mayer: Ja das eigentlich nicht, weil das ist ja eigentlich eine Verstellung sozusagen. Man will sich unbedingt einschmeicheln und um eine weiche, warme Stimme zu bekommen, hat man dann das Süßholz genommen, gelutscht, gekaut, und das macht tatsächlich eine weichere Stimme, weil es die Schleimhäute schützt.

Welty: Also hängt die Redensart eng mit dem zusammen, was man tatsächlich mit dem Süßholz macht, um ihm seine heilenden Kräfte zu entlocken. Wann haben Sie das letzte Mal Süßholz geraspelt, um sich daraus zum Beispiel einen Hustentee zu kochen?

Mayer: Das war kurz vor Weihnachten, als ich selber mal leichte Probleme hatte.

Welty: Und da Sie nicht husten, war die Geschichte von Erfolg gekrönt?

Mayer: Ja, genau.

Welty: Woher kommt diese positive Wirkung? Was zeichnet die Pflanze genau aus?

Mayer: Die Hauptwirkstoffe der Pflanze sind die Saponine, und da ist wieder das Glycerizin dabei, das übrigens eine 50-fache Süßkraft von Rohrzucker hat. Dieser Stoff, der schützt die Schleimhäute sowohl in den Atemwegen, im Mund, im Rachen, aber auch im Magen, sodass wir auch bei Magenbeschwerden bis hin zu Schleimhautentzündungen auch Süßholz verwenden können.

Welty: Klingt ja eigentlich eher ein wenig absurd, denn von Süßem nimmt man ja bei Magenproblemen im Grunde doch Abstand.

Mayer: Ja, aber es ist nicht Zucker, und das ist hier der Vorteil. Außerdem sind dann auch noch Schleimstoffe drin, die auch ebenfalls so eine schützende Wirkung haben. Zusätzlich sind noch antivirale Wirkungen bezeugt. So werden auch die Erkältungsviren in Schach gehalten, und das ist dann wirklich ein enormes Wirkungsspektrum. Inzwischen ist auch die Forschung daran, noch weitere Gebiete herauszufinden, wo die Süßholzwurzel vielleicht sinnvoll ist.

Welty: ... , die da wären?

Mayer: Es ist zum Beispiel ein entzündungshemmendes Mittel auf der einen Seite und auf der anderen Seite hat es eventuell sogar eine positive Wirkung auf das Gehirn.

Welty: Das heißt, man wird schlauer, wenn man Süßholz raspelt und zu sich nimmt?

Mayer: Man kann vielleicht bestimmte Areale besser nutzen.

Welty: Welche denn?

Mayer: Das Gedächtnis überhaupt, denn das Süßholz greift in den Cortisol-Stoffwechsel ein, und daraus könnte man schließen, dass es eine positive Wirkung auch auf das Gehirn besitzt.

Welty: Wenn das alles so vielversprechend klingt, ist damit zu rechnen, dass der Bedarf an Süßholz weltweit wächst, und gibt es dann überhaupt genügend, um diesen Bedarf zu decken?

Mayer: Das ist eine ganz wichtige Frage, die Sie hier ansprechen. Es gibt tatsächlich das Problem, dass die Süßholzwurzel zu stark abgenutzt wird in manchen Regionen. Die Türkei kann heute schon weniger liefern als vor etwa 15 Jahren. In Deutschland wird für den Arzneitee allein 100 Tonnen verbraucht, und da muss man aufpassen, dass die Süßholzwurzel nicht in ihrem Bestand gefährdet wird.

Und deswegen haben wir eine gemeinsame Aktion mit dem WWF gemacht, in dieser Auslobung, das Süßholz zur Arzneipflanze des Jahres 2012, um auf diese Problematik auch hinzuweisen, dass wir eine kontrollierte Wildsammlung brauchen.

Welty: Das Problem ist, dass Süßholz weitgehend wild wächst, dass man es gar nicht so anbauen kann.

Mayer: Doch, man kann es anbauen. Aber das angebaute Süßholz hat seltsamerweise nicht einen so hohen Anteil an den wichtigen Wirkstoffen wie das wild wachsende.

Welty: Wächst nicht gut in Gefangenschaft?

Mayer: Es wächst gut, aber es entwickelt leider nicht diese hohen Anteile vor allem an Glycerizin, sodass wir lieber auf Wildsammlungen zurückgreifen, und die sind auch besser, denn ich brauche hier keine Düngemittel, ich brauche keine Pflanzenschutzmittel, was ja auch schon für den Verbraucher wieder ein Vorteil ist. Insofern hat die Wildsammlung gleich drei Vorteile, aber auf der anderen Seite müssen wir aufpassen, dass kontrolliert gesammelt wird, dass nach einem bestimmten Standard gesammelt wird, sodass der Bestand des Süßholzes nicht gefährdet wird durch die hohe Nutzung.

Welty: Der Medizinhistoriker Johannes Mayer über die Arzneipflanze des Jahres 2012, über das Süßholz. Ich danke sehr für dieses Gespräch.

Mayer: Ich danke auch.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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