Ein Selbstmord und viele Fragen
Dem Intendanten des Stockholmer Stadttheaters, Benny Fredriksson, wurden schwere Vorwürfe wegen seines angeblich sexistischen Führungsstils gemacht. Fredriksson nahm sich vor zehn Tagen das Leben. Nun ist in Schweden eine Debatte über Medien und Verantwortung entbrannt.
Für viele Schweden, vor allem Schwedinnen, ist in den vergangenen Monaten ihre vermeintlich heile Welt kaputt gegangen: Gleichheit der Geschlechter, gegenseitiger Respekt, gerechtere Rollenverteilung? Und dann Berichte wie diese, anfangs fast ausschließlich aus der Theater- und Filmwelt:
"Er sollte meinen Vater spielen, packte mich im Nacken und drückte mir seine Zunge in den Mund. Er müsse erregt sein, um spielen zu können, sagte er. Er beugte sich zu mir, legte mir seine große Hand auf den Oberschenkel, nagelte mich mit seinem Blick fest und sagte: Wenn ich mit einer Schauspielerin arbeite, dann will ich kompletten Zugriff haben und ich meine kompletten Zugriff."
Düstere Weihnachtsansprache des Königs
Seither haben Tausende Frauen auch aus anderen Berufsfeldern schwere Vorwürfe gegen männliche Kollegen, oft Chefs erhoben: Machtmissbrauch, sexuelle Belästigung. Die #MeToo-Kampagne bewegte sogar den König dazu, in seiner Weihnachtsansprache ganz ungewohnt düster zu fragen:
"Wie gehen wir respektvoll miteinander um? Wie stärken wir Verantwortungsbewusstsein und Zivilcourage? Diese Fragen waren schon immer wichtig, aber sie wurden im Herbst noch wichtiger, nach den vielen Zeugenaussagen über unakzeptable Kränkungen."
Es gab von Anfang an mahnende Stimmen, die vor einer möglichen Hetzjagd warnten und auf die Schutzlosigkeit vieler mutmaßlicher Grabscher und Vergewaltiger hinwiesen. Und tatsächlich: Bis heute ist in Schweden nicht eine der #MeToo-Anschuldigungen von einem Gericht bestätigt worden.
Katastrophale Konsequenzen journalistischer Arbeit
Und mit Benny Fredriksson hat die Kampagne womöglich ihr erstes "anderes" Opfer. Åsa Linderborg vom Boulevardblatt Aftonbladet nahm im Fernsehen Stellung zum Vorwurf, den 58jährigen ehemaligen Chef des angesehenen Stockholmer Stadttheaters erst zum Ziel einer Rufmordkampagne gemacht und ihn damit zumindest indirekt in den Selbstmord getrieben zu haben:
"Wir haben rund 40 Zeugenaussagen gründlich und sachlich untersucht. Aber es ist der schlimmste Alptraum eines Journalisten, wenn man seine Arbeit gut gemacht hat und die dann solche katastrophalen Konsequenzen hat."
Schwere Vorwürfe von anonymen Zeugen
Viele dieser anonymen Zeugen hatten Fredriksson einen sexistischen Führungsstil vorgeworfen. Zum Höhepunkt der #MeToo-Hysterie, als Zweifel oder Widerrede politisch unkorrekt waren und die Medien munter draufhauten.
"Wir hatten einen Aufmacher, den ich entsetzlich fand, den hätte ich gerne rückgängig gemacht. Darin stand, dass Benny Fredriksson eine Mitarbeiterin zur Abtreibung gezwungen hatte, was natürlich nicht stimmt. Das ist die Entscheidung der Frau."
Seriöse Medien wie das öffentlich-rechtliche Sveriges Radio haben auch mitgemacht, allerdings nicht ganz so aggressiv und auch nicht ohne Bauchschmerzen, erklärt Kulturchef Mattias Hermansson:
"Wir hatten uns entschieden, die Mitteilung des Stadttheaters aufzugreifen, dass man die Vorwürfe gegen Fredriksson untersuchen werde. Unser Bestreben ist immer, maßvoll zu sein. Aber hier war es schwer, abzuwägen. Wie bleibt man auf der einen Seite zurückhaltend, während auf der anderen Seite eine der einflussreichsten Kulturpersönlichkeiten des Landes unter die Lupe genommen wird und dann zurücktritt, nachdem sich viele Angestellte in der größten Zeitung des Landes über ihn geäußert hatten."
Betretene Stimmung und Hoffnung auf eine ehrliche Debatte
Viele der Vorwürfe waren haltlos, das wissen wir heute. Aber Fredriksson ist tot, er nahm sich in Australien das Leben. Die Konsequenz: Betretene Katerstimmung und eine noch eher geflüsterte Frage von Medienmachern und #MeToo-Aktivistinnen: Sind wir vielleicht zu weit gegangen? Die Antwort beträfe längst nicht nur Åsa Linderborg vom Aftonbladet...
"Ich hoffe, dass es jetzt eine vernünftige presseethische Debatte gibt, ohne Eitelkeit und ehrlich."