Was ein vergessenes Festival für die schwarze Community bedeutet
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Fast parallel zu Woodstock fand 1969 das Harlem Cultural Festival statt, mit den großen Namen der Black Music und schwarzem Publikum. Bislang weiß kaum jemand davon. Nun zeigt ein Film Aufnahmen von damals - mit erschreckenden Parallelen zu heute.
Woodstock kennen so gut wie alle: 1969 feierte das Festival in den USA Liebe und Brüderlichkeit. Allerdings fast ausschließlich mit weißen Künstlerinnen und Künstlern – und vor überwiegend weißem Publikum.
Dass es fast parallel ein anderes Festival gab – das Harlem Cultural Festival mit schwarzen Künstlerinnen und Künstlern und für ein fast ausschließlich schwarzes Publikum –, das weiß kaum jemand. Es startete elf Tage nach Woodstock und fand an sechs Sonntagen im Juli und August 1969 in einem kleinen Park im Westen des New Yorker Viertels Harlem und nur etwa hundert Meilen südlich von Woodstock statt.
Es waren große Namen dabei, wie Stevie Wonder, B.B. King, Sly & The Family Stone, Mahalia Jackson, Gladys Knight and the Pips oder Nina Simone. 300.000 Menschen sollen dort gewesen sein. Sie feierten "Black Music", eine selbstwusste afroamerikanische Musik, ebenso wie "Black History" oder "Black Consciousness". Es war ein Kulturfestival für die ganze Familie, mit Kinderbetreuung und Essen.
Der Regisseur Hal Tulchin filmte die Konzerte. Zwei Stunden-Feature des Materials liefen in einem New Yorker TV-Kanal, aber dann hieß es, es gebe kein Interesse an einem "schwarzen Woodstock". Das Material verstaubte jahrzehntelang in seinem Keller. Der Drehbuchautor und Produzent Robert Fyvolent hörte vor einigen Jahren davon – und erhielt schließlich die Rechte.
Der US-Musiker Questlove hat daraus nun die Musik-Dokumentation "Summer of Soul (…Or, When The Revolution Could Not Be Televised)" gemacht. Es ist sein Debüt als Filmregisseur - und teils Musikfilm, teils historische Dokumentation. Anhand der Acts erzählt er schwarze Musikgeschichte von Latin bis Jazz.
Mit bürgerlichem Namen heißt Questlove Ahmir Khalib Thompson. Der US-Amerikaner ist Schlagzeuger und Produzent zahlreicher Hip-Hop- und Soulkünstler und Drummer der Hip-Hop-Band The Roots, die er mit gegründet hat.
Der Teil des Filmtitels in Klammern bezieht sich auf das Gedicht und den Song von Gil Scott-Heron von 1971 "The Revolution Will Not Be Televised" (zu Deutsch in etwa: Die Revolution wird nicht im Fernsehen übertragen werden), der wiederum eine Anspielung auf einen Slogan der Black-Power-Bewegung aus den 1960er-Jahren ist.
In Questloves Film kommen Jahrzehnte nach dem Event auch Festivalbesucher und Musikerinnen zu Wort, die damals dabei waren. Zu sehen ist das Werk bei dem Streamingdienst Disney+.
Nach dem Mord an Martin Luther King
Hintergrund des Musikfestivals bildet auch im Film die gesellschaftlich-politische Atmosphäre von damals. In den Jahren zuvor waren die schwarzen Bürgerrechtler Malcolm X (1965) und Martin Luther King (1968) ermordet worden. 1969 waren die landesweiten Unruhen, die sich nach der Ermordung Martin Luther Kings Bahn gebrochen hatten, noch sehr präsent. Die Stadt habe das Festival erlaubt, um dem etwas Konstruktives entgegenzusetzen, erklärt Questlove.
"Es war eine wirklich verrückte Zeit. Wir brauchten etwas, das uns berührte. Wir brauchten diese Musik", erinnert sich eine Festivalbesucherin. Die Sängerin Gladys Knight trat damals mit The Pips auf dem Festival auf. Es habe sie damals fast umgeworfen, als sie auf die Bühne kam, erinnert sich die heute 77-Jährige. Ein so großes Publikum hätten sie damals absolut nicht erwartet.
Dass das Filmmaterial über das Festival damals überall abgelehnt wurde, ist für Questlove ein Beispiel für die Marginalisierung Schwarzer und ein Beweis, dass eine revisionistische Geschichtsschreibung existiert.
Falsche Sicht auf die Popgeschichte
Auch
Musikkritiker Oliver Schwesig sagt [Audio]
: "Mir ist beim Schauen auch nochmal klargeworden, wie falsch mir Popgeschichte jahrzehntelang erzählt worden ist: immer aus weißer Sicht, und schwarze Musik ist immer nur von außen betrachtet worden."
Man erlebe hier den Moment, in dem sich die Bedeutung des Begriffs "schwarz" Ende der 1960-Jahre ändere: von einer unterlegenen Minderheit hin zu Stolz und einem eigenen Kulturbewusstsein. "Eine gebeutelte Community findet auf diesem Festival Liebe, Gemeinschaft und Musik." Dass dieses Sichtweise von innen bislang so gut wie nicht erzählt worden ist, mache diesen Film – neben der hochkarätigen Musik und dem gelungenen Schnitt – so wertvoll.
Regisseur Questlove pflichtet ihm bei. Obwohl die Medienöffentlichkeit damals fehlte, habe das Festival dazu beigetragen, dass die schwarze Community entdeckte: "Black is beautiful."
Wieder Proteste, Schießereien, Tote
Bestürzt zeigt sich Questlove über die Parallelen zwischen damals und heute, die bei der Arbeit an dem Film immer deutlicher geworden seien. "Dieselben Dinge, um die es damals ging, um die geht es auch heute", sagt er.
Im Film sind Aussagen zu hören wie "Wir wollen ein neues Leben!" oder "eine schwarze Revolution des Bewusstseins". Auch die Musik transportierte die Forderung nach Veränderung der Gesellschaft.
Ist 50 Jahre später wirklich wieder dasselbe da: "Unruhen, Proteste, Tote, Schießereien und Ungerechtigkeiten?", so die rhetorische Frage des Regisseurs. "Die Antwort ist ein lautes: Ja."
Im Mai 2020 war der Afroamerikaner George Floyd bei einem Polizeieinsatz getötet worden. Daraufhin entlud sich die Verzweiflung angesichts der Polizeigewalt in Massenprotesten. Die "Black Lives Matter"-Bewegung erhielt starken Zulauf.
Das Werk über das Harlem Cultural Festival kam auf einem wichtigen Filmtreffen bereits sehr gut an: Beim Sundance-Filmfestival Ende Januar gewann "Sommer of Soul" den Großen Preis der Jury und den Publikumspreis.
Welche Kraft das Harlem Cultural Festival damals hatte, zeigt der Satz eines Mannes, der als Kind dabei war und im Film sagt: "Das Konzert verwandelte mein Leben in Farbe".
Autorin: Annette Bräunlein (Online-Redaktion)
Gesprächspartner im Audio: Oliver Schwesig (Redaktion "Tonart")
Gesprächspartner im Audio: Oliver Schwesig (Redaktion "Tonart")