Unser Reporter Hartwig Tegeler wohnt etwa eine halbe Stunde von Sumte entfernt. In einer Langzeitbeobachtung wird er in loser Folge immer wieder von dort berichten.
Sieben Flüchtlinge auf einen Einheimischen
Die Aufregung um das 100-Einwohner-Dorf Sumte bei Lüneburg war groß: Dort sollten 1000 Flüchtlinge untergebracht werden, hieß es. Mittlerweile wurde die Zahl auf 750 Menschen korrigiert. Nach vier Wochen leben nun mehr als 600 Flüchtlinge im Dorf.
Ein erster Herbststurm zieht über Sumte. Werner Bahll sitzt in seiner Küche.
"Ja, ich hab hier Kameras."
Der Endfünfziger Werner Bahll züchtet in Sumte Araberpferde.
"Und da, wo jetzt unten links ein Pferd läuft, in der Verlängerung hoch rechts hoch, sehen Sie, da kommen, Richtung Krusendorf, da kommen die Autos gefahren. Und da oben ist das Bild vom Stall."
Sein Hof liegt direkt gegenüber der Zufahrtsstraße zum Flüchtlingsheim. Einmal in den letzten vier Wochen ist eingetreten, was Werner Bahll befürchtet hatte: Ein Flüchtling war auf seiner Koppel und hat ein Kind auf ein Pferd gesetzt. Jetzt stehen Schilder da. In deutsch, englisch und arabisch. "Betreten verboten! Pferde nicht füttern!" Und dann eben der Überwachungsmonitor in der Küche:
"Und um die Sicherheit des Grundstücks und der Tiere zu gewährleisten, muss ich ... mache ich alles, um irgendwie ruhig schlafen zu können."
Ortsvermessung per Auto bei 50 Stundenkilometer. Bei diesem ersten Hupen - beginnt Sumte. 102 Einwohner. Hauptstraße. Gehöfte. Vorgärten. Provinz. Kein Geschäft, keine Kneipe. Alles erst vier Kilometer entfernt in Neuhaus. Mit dem "ruhig schlafen" war es vorbei, als die Sumter Mitte Oktober erfuhren, dass in ihrem alten Bürodorf mit seinem 250 Meter langen Flur und den abgehenden 20 Bungalows 1000 Flüchtlinge untergebracht werden sollten. - Hier übrigens, bei dem zweiten Hupen, ist Sumte zu Ende.
Bürgerversammlungen finden statt, auftauchende Neo-Nazis werden rauskatapultiert. Beobachtend, vorsichtig, ängstlich - so fasst Ortsvorsteher Christian Fabel die Stimmung vor der Ankunft der Flüchtlinge zusammen:
"Weil, hier auf dem platten Land ist man halt mit solchen, ja, mit solchen Sachen noch nicht so oft konfrontiert worden."
"Probleme sind dann zu lösen, wenn sie da sind"
Volker Voss von der Freiwilligen Feuerwehr Sumte. Er ist pragmatisch.
"Ich sage mal, wir können ja noch nicht viel sagen, wir wissen ja nicht, wie viel jetzt auf einmal kommen. Und was kommt. Wir lassen es auf uns zukommen. Und werden dann mal sehen, wie die Lage sich da denn entwickelt. Meine Prämisse ist eigentlich immer, Probleme sind dann zu lösen, wenn sie da sind. Und nicht schon vorher Probleme sehen, sich einzureden. Erstmal abwarten, gucken, was kommt. Und dann die Sachen anpacken, die anstehen."
Am Abend des 2. November legt sich dichter Nebel wie ein graues Tuch über das Elbautal. Dann, kurz nach acht Uhr, das Röhren des Dieselmotors eines Busses. Die ersten 50 Flüchtlinge sind da.
Frauen, Kinder, Männer. Greifen ihre Trolleys. Darin: alles, was sie noch besitzen.
Nach vier Wochen leben nun mehr als 600 Flüchtlinge in der Notunterkunft, die vom Arbeiter-Samariter-Bund betrieben wird. 25 Nationen, 100 Familien, 146 Kinder. Es kommt langsam Leben ins Heim, in dem die Menschen drei Monate oder mehr bleiben werden. Es gibt einen Kiosk, einen Telefon-, bald einen Frisörladen. An sechs Tagen die Woche fährt stündlich ein Shuttle-Bus nach Neuhaus, wo die Geschäfte sind.
Inzwischen gibt jeden Tag ein pensionierter Lehrer Deutschunterricht. Und die Sumter Nachbarn? Reinhold Schlemmer, der am nächsten dran wohnt, ist sehr zufrieden.
"Ich habe bisher mit unseren Flüchtlingen keine Huddeleien gehabt. Sie grüßen einen, wenn sie hier vorbeigehen: ´Hallo!´ Oder sie kommen ran, und wir unterhalten uns dann, so, wie ich das mit Händen und Füßen machen kann."
Zum Kennenlernen: Sonntagsspaziergang für Flüchtlinge
Werner Bahll, dessen Pferde-Koppeln vis-à-vis des Flüchtlingsheims liegen, hat mit Ortsvorsteher Christian Fabel einen regelmäßigen Sonntagsspaziergang für die Flüchtlinge installiert. Bahll ist enttäuscht über die geringe Zahl der Flüchtlinge beim ersten Mal. Aber:
"Das würde ich noch mal machen."
Manchmal ziehen nachts kleine Gruppen von Flüchtlingen nach Neuhaus. Ungewohnte Bewegung im Dorf, sagt Reinhold Schlemmer. Aber auch beängstigend, beunruhigend?
"Nein, nein."
Werner Bahll stimmt zu:
"Wir haben überhaupt keine Angst, wir haben keine Angst. Es tut uns von denen keiner was. Menschen tun sich nur was, wenn sie Hass aufeinander haben. Warum sollten die auf uns hier Hass haben. Und ich habe auf die überhaupt keinen ... gar nicht."
"Aufpassen müssen sie nur, nicht, dass sie nicht bei Nacht und Nebel hier noch angefahren werden. Weil das ein bisschen eng ist hier. Aber sie kennen sich aus, unsere Flüchtlinge. Und überwiegend sind das junge Menschen, mit 14, 15, 16, 17 Jahren sind die Jungens hier und haben diese weite Fahrt überstanden. Das ist doch eine Meisterleistung, sage ich mal."
Wie Reinhold Schlemmer von "unseren Flüchtlingen" spricht, das hat was von Willkommenskultur.