Superlative aus dem Äther

Von Ralf Geissler |
In Deutschland leben zahlreiche - meist private - Radiostationen von den Einnahmen aus Werbespots. Was für viele Hörer heute normal ist, überraschte vor 90 Jahren noch sehr. Damals ging in New York die erste Hörfunkwerbung über den Äther.
"Achtung, meine Damen und Herren. Wir geben jetzt die heutigen Lebensmittelpreise bekannt: Rote Rüben 10 bis 15 Pfennig."

Früher brauchte es noch Marktschreier, um Sonderangebote zu preisen. Doch Anfang des 20. Jahrhunderts haben sie ausgedient. Das Radio ist erfunden. Und die Reklame kommt zu den Menschen ins Wohnzimmer. Am 28. August 1922 strahlt die New Yorker Radiostation WEAF die weltweit erste Hörfunkwerbung aus. Apartments in Queens werden angeboten. Ein Sprecher bewirbt Lage, Ausstattung und Preise vor dem Mikrofon. Live und zehn Minuten lang. Der Erfolg ist bescheiden. Fast ein Monat vergeht, bis der nächste Kunde seine Botschaft über den Sender schicken will. Trotzdem schimpfen die Zeitungsverleger sofort über den neuen Konkurrenten auf dem Werbemarkt. Im Fachblatt "Printer's Ink" heißt es.

"Radiofans sind hochklassige Unterhaltung gewohnt. Wenn sie sich nun anhören müssen, wie Werber ihre Waren anpreisen, werden sie das sehr wahrscheinlich übelnehmen – selbst dann, wenn das Gesagte so verpackt wird, als wäre es von öffentlichem Interesse."

Doch die Proteste der Verleger nützen nichts. Ab 1924 wird auch in Deutschland Radiowerbung ausgestrahlt.

"Wer gut und billig rauchen will, raucht Schwarz-Weiß. Echt und frisch, reiner Orient-Tabak. Und nur zweieinhalb Pfennig. Und jetzt spielen wir noch was. Servus!"

Noch wird Werbung nur vorgelesen. Doch schnell lernen die Macher, die Möglichkeiten ihres Mediums zu nutzen, setzen Musik und Geräusche ein. 1926 haben bereits eine Million Deutsche einen Radioapparat. Im selben Jahr beträgt der Werbeanteil in der Berliner Funkstunde schon beachtliche 20 Prozent. Mancher Hörer beschwert sich darüber. Um wütenden Briefen vorzubeugen, hat die fürs Radio zuständige Reichspost Werbung für Parteien, Religionen, Alkohol oder Vergnügungsstätten von vornherein verboten.

"Ihr müsst zu allen Zeiten
auf Schusters Rappen reiten.
Sie gehen auf harten Wegen,
dann muss man sie gut pflegen.
Drum nehmt für Schuhe allemal: Erdal, Erdal."

Dieses Werbelied stammt von Elly Heuss-Knapp. Die Ehefrau des späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss arbeitete in der Weimarer Republik als Werbetexterin. Sie hatte die Idee, Produkte mit einer immer wiederkehrenden Erkennungsmelodie zu verbinden. Heuss-Knapp dichtete für Nivea, Blaupunkt und Persil – bis ihr die Nationalsozialisten Auftrittsverbot erteilten.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg lockte die Hörfunkwerbung in Deutschland wieder Kreative an. Das Radio erlebte seine zweite Blüte. In fast jedem Haushalt stand nun ein Empfangsgerät.

"Werben heißt Erlebnisse schaffen",

lautete das Motto einer Schallplatte, die 1952 für Werbung im Radio warb. Die Hörfunksender der ARD hatten sie für interessierte Unternehmer produzieren lassen. Tenor: Werbung soll einprägsam, unterhaltend und humorvoll sein.

"Kennen Sie Porbelme? Nein? Aber das hier kennen Sie. (Tippgeräusche.) Und dabei passieren sie, die Probelme. Was sie schreiben wollten, war: Probleme. Und jetzt, halt, halt, halt, nicht das Papier auswechseln. Wechseln sie nur die Buchstaben aus. Mit TippEx."

Mitte der 80er-Jahre startet in Westdeutschland der private Rundfunk. Nun gibt es Programme wie in den USA, die sich nur durch den Verkauf von Sendezeiten finanzieren. Manche Programme werden eigens für die Werbewirtschaft konzipiert. Mit der Zeit verändert sich auch die Werbung. Das oft mit Liebe komponierte Reklamelied stirbt aus, bedauert 2004 der Hamburger Produzent Jan Lohrengel.

"Es ist immer weniger geworden. Der Trend ging jetzt eindeutig hin zu einem Signet mit Logo-Charakter, wir nennen das Audio-Logo. Das beste Beispiel dafür sind das Klavier von der Telekom oder das Herzschlagen von Audi am Ende eines jeden Spots."

Heute strahlt ein Privatradio pro Jahr bis zu 80.000 Werbespots aus. Die längeren dauern 15 Sekunden. Das ist kein Vergleich mehr zu den zehn Minuten der ersten Radio-Werbung in New York. Es weiß übrigens niemand mehr, wer diese vorgetragen hat. In den Archiven ist nur überliefert, dass sich der Sprecher als Mister Blackwell vorstellte.
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