Der Einkaufswagen denkt mit
Vor 60 Jahren eröffnete der erste Supermarkt in Deutschland. In Zeiten von Online-Handel und Digitalisierung muss sich auch die Lebensmittelbranche anpassen. Intelligente Supermärkte sollen in der realen wie in der virtuellen Welt den Kunden von morgen bedienen - und seine Vorlieben speichern.
Einkaufen kann ziemlich stressig sein: das lästige Schlangestehen an der Supermarktkasse, die Hektik des Einkaufens nach Feierabend oder die herumirrenden Kunden, die scheinbar ziellos in den Regalen nach Lebensmitteln suchen, die sie zu Hause gerade vermissen.
Geht all das nicht bequemer? Und ob, sagt Antonio Krüger. Er ist Professor für künstliche Intelligenz im Handel und Direktor des Innovative Retail Laboratory des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in St. Wendel im Saarland.
Er und seine Mitarbeiter arbeiten am Supermarkt der Zukunft. Sie erproben, zusammen mit einem Partner aus dem Handel, Techniken, die uns in Zukunft das Einkaufen erleichtern und gleichzeitig den Supermarkt in eine Art Erlebnispark umwandeln sollen. Dinge des täglichen Bedarfs würde man dann einfach online kaufen, in den Supermarkt ginge man nur noch für Frischwaren - und für das reine Shopping-Vergnügen, meint Antonio Krüger:
"Was bleibt den Einzelhändlern anderes übrig? Wenn Sie im Internet bequem bestellen können, müssen Sie darauf reagieren und eben etwas bieten, was das Internet so ohne Weiteres nicht bieten kann. Und einer dieser Aspekte ist eben so ein Erlebnisaspekt, dass ich mir bestimmte Sachen anschauen kann, dass ich aussuchen kann, dass ich Freude daran habe, mir Sachen auszusuchen. Und wir werden diese Entwicklungen sicherlich auch in den Supermärkten in zehn, 15, 20 Jahren sehen."
Bezahlen ohne Kasse, intelligente Einkaufswagen, digitale Preisschilder, selbstdenkende Regale, Wohlfühlzonen für den Kunden – so könnte in Zukunft die Einkaufswelt aussehen. Bereits im vergangenen Jahr ist Amazon mit einem kassenlosen Supermarkt in Seattle vorgeprescht.
Der Kunde zahlt mit seinen Daten
Noch einen Schritt weiter, dann spaziert der Kunde mit Brille virtuell durch Märkte. Ganz ohne Stress beladen wir vom heimischen Sofa aus unseren Einkaufswagen mit Äpfeln, Fleisch, Salat und Eiern vom regionalen Bioerzeuger, obendrein noch individuell auf persönliche Kundenwünsche hin konfektioniert. Diese schöne neuen Einkaufswelt hat aber ihren Preis. Sie ist nur zu haben, wenn der Kunde mit seinen Daten bezahlt.
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Seit vor ziemlich genau 60 Jahren in Köln der erste deutsche Supermarkt eröffnet wurde, hat sich das Prinzip des Einkaufens in solchen Märkten eigentlich nicht grundlegend verändert: Man nimmt einen Einkaufskorb oder -wagen, tut da alles rein, was man haben will, und am Ende fährt man zur Kasse und bezahlt. Ja, auch in Deutschland hat man dann oft keine Kassiererinnen mehr, sondern scannt selber. Aber sonst hat sich eigentlich seit Jahrzehnten nichts verändert. Aber wie wird das in Zukunft sein? Wie sieht der Supermarkt der Zukunft aus? Damit beschäftigt sich das Innovative Retail Laboratory in Sankt Wendel im Saarland. Sein Direktor ist Antonio Krüger, der ist auch Professor für künstliche Intelligenz im Handel an der Universität des Saarlands in Saarbrücken. Schönen guten Morgen, Herr Krüger!
Antonio Krüger: Guten Morgen!
Kassel: Wenn ich in zehn Jahren einen Supermarkt betrete, einen stationären Supermarkt, was wird dann voraussichtlich ganz anders sein als heute?
Krüger: Also, ich denke mal, was sich sicherlich verändern wird, ist die Art und Weise, wie wir an der Kasse unsere Zeit verbringen. Es werden viel mehr Bereiche sein, an denen ich entweder selber meine Waren scanne und damit dann bezahle, aber insbesondere wird es auch so sein, dass ich viel mehr elektronisch bezahlen werde, das heißt weniger Bargeld, mehr mit Karte. Sodass die Prozesse, wenn ich den Supermarkt verlasse, einfach auch schneller gehen. Das wird wahrscheinlich das sein, was wir in einigen Märkten jetzt schon sehen, aber wo ich mir sicher bin, dass das in zehn Jahren fast jeder Supermarkt haben wird.
Ein abgestimmtes Sortiment im Supermarkt der Zukunft
Kassel: Aber wird es weiter so sein, dass die Produkte einfach im Regal stehen und es steht ein Preis dran, oder vielleicht auch nur ein Code, den ich selber scannen muss? Oder wird sich auch an der Präsentation, an diesem Ablauf, schlichtweg daran, wie die Gänge sortiert sind, etwas ändern?
Krüger: Es wird so sein, dass das Sortiment viel stärker abgestimmt sein wird auf das, was online, das heißt per Internet zu mir nach Hause kommt. Ich vermute, dass es viel weniger so Artikel des täglichen Bedarfs, wie man das nennt, im Supermarkt selber geben wird, also, sprich, Sachen, die ich mir vielleicht in zehn Jahren eher bequem nach Hause liefern lasse, weil die für mich nicht so eine Entscheidungsfreude bereiten, wenn ich mir die Sachen aussuche. Und hingegen Sachen, die stärker einen Anteil haben, der Spaß macht, also beim Aussuchen, der einem auch wichtig ist, wie zum Beispiel frische Artikel, Gemüse, Obst natürlich oder auch Wein, solche Dinge, denke ich, werden im Markt in zehn Jahren eine größere Rolle spielen als heute.
Kassel: Das ist interessant, ich habe das Gefühl, in diesem Punkt hat die Zukunft ja gerade schon begonnen, weil doch ausgerechnet die erfolgreichsten Billigheimer, Lidl und Aldi, ihre Filialen plötzlich aufrüsten und verändern und sagen: Neonröhren und Pappkartons, das war gestern, wir wollen jetzt auch so Erlebniszentren bieten. Wird das in Zukunft im stationären Handel wirklich das Hauptding sein, Einkaufen als Freizeitvergnügen, als Event?
Krüger: Was bleibt den Einzelhändlern anderes übrig? Wenn Sie im Internet bequem bestellen können, müssen Sie darauf reagieren und eben etwas bieten, was das Internet so ohne Weiteres nicht bieten kann. Und einer dieser Aspekte ist eben so ein Erlebnisaspekt, dass ich mir bestimmte Sachen anschauen kann, dass ich aussuchen kann, dass ich Freude daran habe, mir Sachen auszusuchen. Und wir werden diese Entwicklungen sicherlich auch in den Supermärkten in 10, 15, 20 Jahren sehen.
Kassel: Nun ist ja Ihr persönliches Fachgebiet und der Kollegen, mit denen Sie zusammenarbeiten, die künstliche Intelligenz. Werden denn im stationären Supermarkt in Zukunft irgendwann mal die Kunden die einzigen Lebewesen aus Fleisch und Blut sein?
Krüger: Im Gegenteil. Weil eben das Erlebnis auch ein soziales Erlebnis ist – wir sind ja zum Glück keine Roboter –, dann würden uns vielleicht Maschinen und Roboter ausreichen, sondern wir brauchen tatsächlich Menschen, um uns auch wohlzufühlen. Und das heißt, da werden tatsächlich dann, so ähnlich wie man ein Gespräch auch auf dem Markt mit dem Marktmann oder der Marktfrau sucht, werden solche Ansprechpartner auch im Markt zukünftig, im Supermarkt vermutlich verstärkt dort sein, weil das eben den Unterschied macht zu einem Online-Einkauf, der ehre anonym ist.
Kassel: Nun haben Sie schon gesagt, der stationäre Handel wird sich auch einrichten auf das, was sich im Online-Handel entwickelt. Und es gibt Gerüchte dazu, dass Amazon, der Konzern, der ja in Berlin und München inzwischen eingestiegen ist in den Online-Handel mit Lebensmitteln, dass der gar nicht Geld verdienen will ganz klassisch mit der Gewinnspanne zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis – die sind auch vergleichsweise günstig im Moment, im Vergleich zu ihren Konkurrenten, die es ja auch schon gibt –, sondern dass die ihr Geld eben mit den Daten gewinnen wollen, die da gesammelt werden. Wird das in Zukunft sein, dass ich auch im stationären Supermarkt eigentlich gar nicht mehr meinen Schnaps und Schokolade, wie wir Männer das manchmal tun, anonym einkaufen kann?
Kunden können die Daten-Preisgabe verweigern
Krüger: Also, ich glaube tatsächlich, das wird schwerer werden. Wenn Sie zum Beispiel digital bezahlen, das heißt mit Karte – EC-Karte, Kreditkarte –, dann können Sie ja schon mal gar nicht anonym sein. Also, sonst würde ja der Händler nicht an sein Geld kommen. Was ich aber glaube, ist – das ist ein sehr wichtiges Thema –, dass die Händler den Kunden die Option lassen werden, dass sie sagen: Okay, ich kann mit deinen Daten was Vernünftiges anfangen, indem ich dir zum Beispiel ein sehr gutes persönliches Angebot mache, was auf deine Bedürfnisse abgestimmt ist, vielleicht sogar ein intelligentes Abo, was genau das nach Hause liefert, was dich interessiert und so weiter. Aber dazu muss ich deine Daten sammeln. Wenn du damit einverstanden bist, kommen wir ins Geschäft.
Auf der anderen Seite wird es aber auch die Möglichkeit geben zu sagen: Nein, das möchte ich nicht, ich möchte bitte, meine Daten sollen direkt danach wieder gelöscht werden. Ich bin mir sicher, dass der Einzelhandel das respektieren wird. Dann werden die Angebote halt nicht so gut sein, eventuell werden dann aber auch die Preise ein bisschen höher sein.
Kassel: Was ich mich aber frage, ist nicht nur, was bedeutet das in Bezug auf Datenschutz und meine Persönlichkeitsrechte. Ich meine, es gibt natürlich – das geht jetzt schon sehr bedingt mit schlichten Kundenkarten – da eine viel bessere Möglichkeit für Anbieter, einen Überblick darüber zu gewinnen, was wird wirklich nachgefragt, was wird wirklich verkauft. Und wenn zum Beispiel ein Anbieter dann sieht, von den 60 Joghurtsorten, die ich eigentlich anbieten könnte, gehen zwölf zum Beispiel im Rheinland grundsätzlich nicht, dann kriege ich die in Köln plötzlich nicht mehr. Also, wird diese schöne neue Welt zu mehr Auswahl führen oder am Ende sogar zu weniger?
Krüger: Also, da sprechen Sie ein wichtiges Thema an. Es kann natürlich schon passieren, wenn man alle über einen Kamm schert, dass dann für den Einzelnen ein bisschen weniger Angebot da ist. Das Geheimnis hier ist auch, dass man die Sachen eben personalisiert, dass man relativ gut versteht, was der Einzelne gerne möchte, und ihm auch persönliche Angebote machen kann, sodass man eben nicht über einen Kamm geschoren wird. Und ein Vorteil, den Sie implizit genannt haben, also sozusagen den Sie angesprochen haben, ist aber tatsächlich der: Wenn der Händler genauer weiß in Zukunft, was seine Kunden wollen, dann muss er auch weniger wegwerfen.
Das sprechende Weinregal kam nicht gut an
Kassel: Großes Thema, wir geht allerdings jetzt zum Schluss unseres Gesprächs noch eine Kleinigkeit durch den Kopf. In Ihrem – ich nenne das mal so – Laborsupermarkt in Sankt Wendel, da lassen Sie doch gelegentlich auch so Testkunden durchlaufen, um mal zu gucken, wie finden sie das, was Sie da ausprobiert haben. Gibt es eigentlich Fälle, wo ein Wissenschaftler wie Sie und auch die Handelsexperten, mit denen Sie zusammenarbeiten, sagen, das ist fantastisch, was wir uns da haben einfallen lassen, das muss doch richtig Spaß machen – und dann laufen Ihre Testkunden dadurch und sagen, was für ein Quatsch, kann ich gar nichts mit anfangen?
Krüger: Ja, also, wir hatten zum Beispiel mal ein sprechendes Weinregal. Die Weine haben dann so mit den Kunden gesprochen und haben sich selber vorgestellt und erklärt, aber am Ende fanden die meisten Kunden das, glaube ich, immer zwar originell, aber es hat nicht zu mehr Verkäufen geführt und es war vielleicht auch ein bisschen albern, muss man ehrlich sagen.
Kassel: Ja, vielleicht ist es auch so, wenn einer sagt: Hallo, ich bin der Onkel Merlot, möchtest du mich kaufen? Ist vielleicht zu simpel, man muss das weiterentwickeln.
Krüger: Genau, ja.
Kassel: Und das wird jemand wie Antonio Krüger sicherlich tun! Er ist Professor für künstliche Intelligenz im Handel und der Direktor des Innovative Retail Laboratory. Und wir haben mit ihm über die Zukunft im Supermarkt und den Supermarkt der Zukunft gesprochen. Herr Krüger, vielen Dank und allseits guten Appetit!
Krüger: Ja, hat mich gefreut, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.